Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

HILDESHEIM/ Theater für Niedersachsen: MEDEA von Giovanni Pacini. Premiere

03.10.2021 | Oper international

Giovanni Pacini: Medea • Theater für Niedersachsen/Stadttheater Hildesheim • Premiere: 02.10.2021

 Eine brillante Ausgrabung, die man nicht vergessen wird

http://www.omm.de/veranstaltungen/musiktheater20212022/bilder/HI-medea-2.jpg
Foto: Tim Müller

Es ist immer wieder beeindruckend, welch grosse Projekte die sogenannten «kleinen» Häuser stemmen. Nachdem die Räuber-Trilogie der vergangenen Saison zuerst von Wasser und dann von Corona geraubt wurde – welch schönes Wortspiel -, hat sich das Theater für Niedersachsen für diese Saison eine Medea-Trilogie vorgenommen. Zu diesem Konzept der Trilogien gehört, dass zu Unrecht vergessene Meisterwerke, die sich mit bekannten Stoffen auseinandersetzen, programmiert werden. Die Umschreibung der niedersächsischen Dramaturgie, «Brillante Ausgrabungen, die man gesehen haben muss und so schnell nicht wieder vergessen wird», trifft für «Medea» von Giovanni Pacini voll ins Schwarze.

«Medea» ist ein Werk der zweiten Karriere des am 11. Februar 1796 in Catania als Sohn des bekannten Tenors Luigi Pacini geborenen Komponisten. Bevor der junge Giovanni 1808 zum Unterricht nach Bologna geschickt wurde, erhielt er den ersten Gesangsunterricht von seinem Vater. Dieser ebnete seinem Sohn auch den Weg zum Debut als Komponist am Mailänder Teatro di S. Radegonda, wo er selbst von 1810 bis 1813 als Tenor engagiert war. Pacinis erste Karriere bis zu seinem Rückzug von der Bühne im Jahre 1835 ist geprägt von Opere buffe und semiserie, die alle mehr oder minder von Rossinis Stil beeinflusst sind. Die Opern der zweiten Karriere ab 1839, nach dem frühen Tod Bellinis und dem Weggang Donizettis aus Italien war Pacini einer der führenden Komponisten Italiens, sind von einem hochromantischen Musikstil, einer dichten, reichhaltigen Instrumentierung und dem Bestreben nach einem möglichst realistischen Musikdrama geprägt.

Das Libretto der am 28. November 1843 am Teatro Carolino in Palermo uraufgeführte «Medea» legt das Gewicht ganz der Romantik entsprechend auf die dunklen Seiten des Menschen, jene Umstände, die Medea schliesslich ihre Kinder töten lassen. Die Scheidung von Jason, damit dieser Creusa heiraten kann, liegt im Fokus. Die überaus reich instrumentierte Musik der Partitur, angesichts der zahlreichen Instrumental-Soli muss Pacini bei der Uraufführung ein erstklassiges Orchester zu Verfügung gehabt haben, erinnert an den reifen Donizetti, vor allem aber an die «patriotischen» Opern Verdis, die zu diesem Zeitpunkt grösstenteils noch gar nicht komponiert sind. Die Höhepunkte im instrumentalen Bereich sind ein Concertato von Harfe und Trompete oder die ausgedehnte Einleitung des Finales durch die Trompete. Pacini und sein Librettist Benedetto Castiglia verzichten im Bestreben ein möglichst realistisches Musikdrama zu gestalten auf eine zu kleinteilige Ausgestaltung der Oper: ihre Medea umfasst nur neun Nummern. Die musikalische Gestaltung erinnert nicht nur in vielem an Verdis Nabucco sondern weist vor allem in die Zukunft: Wie sähe unser Spielplan aus, wenn es Verdi nicht gegeben hätte? Oder besser (und realistischer): Wie könnten unsere Spielpläne aussehen, wenn wir uns nicht nur auf Verdi fixieren würden?

Das orchester des tfn unter musikalischer Leitung von Florian Ziemen bringt Pacinis Meisterwerk mit grossem Einsatz und viel Leidenschaft schwungvoll zu Gehör. Die Koordination der Blechbläser mit dem restlichen Orchester wird sich sicher noch verbessern und dann bleiben, bis auf die Bühnenmusik, die präsenter sein (oder lauter eingespielt werden) könnte, kaum mehr Wünsche offen.

Die Inszenierung von Beka Savić legt den Fokus auf die Machtstrukturen, die den Eklat herbeiführen. Das Bühnenbild der Inszenierung von Anna Siegrot, ein silbernes Gerüst, das die zum Unheil führenden Machtstrukturen verkörpert, kommt mit seinen verschiedenen Ebenen den Solisten, vor allem aber dem Chor zu Gute. Der opernchor des tfn, einstudiert von Achim Falkenhausen,  ist, trotz coronagerechter kleiner Besetzung, stimmschön höchst präsent.

Zachary Wilson gibt mit seinem prächtigen Bariton einen würdigen Creonte. Uwe Tobias Hieronimi singt Calcante, den Priester des Apollo. Robyn Allegra Parton ist Medea. Man kann ihr nur uneingeschränkte Bewunderung zollen, mit welcher Energie und Bühnenpräsenz sie die monströse Partie mit all ihren Facetten verkörpert. Yohan Kims Interpretation des Giasone ist an diesem Abend durch verengte Höhen seines Tenors beeinträchtigt. Neele Kramer gibt Cassandra und Creusa. Xin Pan als Licisca und Julian Rohde als Lisimaco ergänzen das Ensemble.

Eine brillante Ausgrabung, die man nicht vergessen wird.

Weitere Aufführungen:

09.10.2021, 23.10.2021, 08.12.2021, 22.12.2021, 06.01.2022, 04.02.2022 und 12.02.2022.

02.10.2021, Jan Krobot/Zürich

 

Diese Seite drucken