Hessen-Parcours zu Welterbestätten, 25.09.2013
von Ursula Wiegand
Das deutsche Bundesland Hessen ist reich an Welterbestätten. Doch wie viele sind es? „Sagen wir 7, denn das sind diejenigen, die zugänglich sind und sich für Besucher besonders lohnen, meint Hans-Jürgen.Sasse von der Hessen-Agentur. Genau genommen sind es 6 Welterbestätten sowie die „Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, die zum UNESCO-Weltdokumentenerbe zählen.
Landkarte von Hessen
Mit dieser Anzahl bietet das knapp 23.000 qkm große Bundesland mehr an solch bewahrenswerten Schätzen als manch eine Nation. Das lockt, doch für Hessen-Neulinge hat eine Welterbe-Tour womöglich einige Tücken. Ein Auto mit „Navi“ wäre von Vorteil.
Die meisten Welterbestätten liegen im engeren oder weiteren Umfeld von Frankfurt am Main, die wir quasi im Uhrzeigersinn umrunden.
Grube Messel, Forscher unterm Zelt. Foto: Ursula Wiegand
Erstes Ziel ist die Grube Messel südlich von Frankfurt und nordöstlich von Darmstadt. Seit 1995 ist sie ein Weltnaturerbe, auf den ersten Blick aber nur eine große grüne Mulde. Erst im Besucherzentrum und bei der Führung wird klar, dass sich hier die Erdgeschichte 47 Millionen Jahre zurückverfolgen lässt.
Damals herrschte in dieser Gegend ein tropisches Klima. Nach der Explosion heißer unterirdischer Gesteinsschichten entstand ein Maarkrater, der sich mit Wasser füllte. In ihm lebten und verendeten Fische und Getier aus dem Regenwald. Algenschlamm bedeckte die auf den Grund gesackten Reste. Der daraus entstandene Ölschiefer wurde bis 1962 abgebaut.
Grube Messel, Insektenfresser, ein Original. Foto: Ursula Wiegand
Schon während der industriellen Nutzung hatte man Fossilien entdeckt. Proteste von Bevölkerung und Wissenschaftlern verhinderten Pläne, die Grube als Mülldeponie zu nutzen. Stattdessen begannen die Forscher zu graben und fanden uralte Hölzer sowie Überbleibsel von Amphibien, Insekten, Vögeln und Säugetieren.
Grube Messel, das Urpferdchen (Replik). Foto: Ursula Wiegand
„Mit bislang rund 10.000 Funden ist Messel weltweit eine der ergiebigsten Fossilienlagerstätten,“ schreibt die Deutsche UNESCO-Kommission. Geforscht wird dort nach wie vor. Einiges ist vor Ort als Kopie zu sehen, anderes wie der Insektenfresser und ein Mini-Krokodil sind Originale. Berühmt wurde das Urpferdchen, dessen Abdruck – eine Replik – im Gelände gezeigt wird. Quicklebendig wäre es der Star in jedem Streichelzoo. (www.grube-messel.de)
Kloster Lorsch, Torhalle, Plakat. Foto: Ursula Wiegand
Solche Altersrekorde kann das 38 km südwärts liegende Benediktinerkloster Lorsch an der südhessischen Bergstraße nicht bieten. Erhalten ist ohnehin nur die Torhalle (auch Königshalle genannt), ein einmaliger Bau aus karolingischer Zeit und schon seit 1991 Weltkulturerbe. Die zierliche Halle mit der rot-weiß gemusterten Fassade datiert von 764, feiert also in 2014 ihren 1.250. Geburtstag. Das heißt, sich schön zu machen. Deswegen versteckt sie sich zurzeit hinter einem Gerüst, nur ein Plakat zeigt ihre wahre Anmut.
Kloster Lorsch, Torhalle, Schwerterschärfungsspuren. Foto: Ursula Wiegand
Bei der Baustellenführung (täglich, außer montags, um 14 Uhr) fallen Details auf, wie die Kratzspuren auf einer Säule am Eingang. Hier hätten die Soldaten ihre Schwerter geschärft, weiß der Begleiter. Im 1. Stock zeigt er freigelegte Wandmalereien aus dem 11. und 14. Jahrhundert.
Lorsch, Reichskloster von Karl dem Großen, wurde schnell ein Zentrum von Reichtum, Macht und Wissen. Im Scriptorium verfassten die Mönche den Lorscher Kodex und das Lorscher Arzneibuch. Letzteres ist die älteste erhaltene Sammlung von Klosterrezepten in den deutschsprachigen Ländern. Das wertvolle Original wird in der Staatsbibliothek Bamberg verwahrt. (www.kloster-lorsch.de).
Lorch am Rhein mit der St. Martinskirche. Foto: Ursula Wiegand
Lorsch oder Lorch? Ein „s“ und rd. 109 km gen Nordwesten machen den Unterschied zwischen Kloster Lorsch und Lorch am Rhein, einem Weinstädtchen mit romanisch-keltischen Wurzeln.
In Windungen fließt der breite Strom dahin, Lastkähne sind unterwegs. An den Sonnenhängen reihen sich weithin die Weinstöcke. Wir sind auf der Rheingauer Riesling-Route und freuen uns schon auf einen Schoppen im „Hotel im Schulhaus“. Das war früher wirklich eine Schule und ist jetzt eine komfortable Bleibe. Bei der Abreise bekommen wir sogar ein Pausenbrot als Wegzehrung.
Burg Rheinstein im Blick. Foto: Ursula Wiegand
Auf dem gegenüberliegenden Rheinufer ragen die Burgen Reichenstein und Rheinstein stolz empor. Zwei von insgesamt 40 allein auf den 65 Kilometern zwischen Rüdesheim im Süden und Koblenz im Norden.
Sie sind das i-Tüpfelchen in dieser malerischen Landschaft, dem Welterbe Oberes Mittelrheintal. (www.welterbe-mittelrheintal.de). Mit dieser Auszeichnung hat die UNESCO die Symbiose von 2.000 Jahren Menschenwerk und uralter Naturkulisse gewürdigt. Aus gutem Grund gehört der Rheinsteig zu den beliebtesten deutschen Wanderwegen.
Von Assmannshausen (8 km südlich von Lorch) schweben wir mit der Seilbahn hinauf zum Jagdschloss Niederwald, eine „location“ mit gut 500jähriger Tradition. 1948 arbeiteten im „Grünen Salon“ Konrad Adenauer – damals Oberbürgermeister von Köln – und die Länderchefs am Entwurf zum deutschen Grundgesetz.
Niederwalddenkmal von 1883. Foto: Ursula Wiegand
Von hier führt ein breiter Waldweg zum 38 m hohen Niederwalddenkmal. Besucher aus aller Herren Länder lichten sich zu Füßen der Germania ab, eine Riesenskulptur von Johannes Schilling, der seine Tochter Clara als Modell nahm.
Anlass für dieses Denkmal war die Bildung des Deutschen Kaiserreiches 1871 nach dem Sieg über Frankreich. Während der sechsjährigen Bauzeit gab es einen Zwischenfall: Ein Arbeiter wurde verschüttet, überlebte aber im Bein des Kriegers links unten. Er hätte die Zeit lieber gegenüber, im Bein der Friedensgöttin, verbracht, so sein Kommentar nach der Errettung. 1883 weihte es Kaiser Wilhelm I ein und entging dabei per Zufall einem Attentatsversuch.
Niederwaldtempel. Foto: Ursula Wiegand
Die grandiose Germania schaut mit wehenden Locken nach rechts Richtung Rüdesheim. Versteht sich. Einen ähnlich schönen Blick haben wir von einem antikischen Pavillon, den der Winzer Adolf Störzel auf eigene Kosten und mit Hilfe seiner Kunden in Stand setzen ließ.
Rüdesheim, in der Drosselgasse. Foto: Ursula Wiegand
Jede Flasche verkaufte er mit 1 Euro Renovierungszuschlag, und das funktionierte. Denn durch Rüdesheim und speziell durch die Drosselgasse drängen sich Menschen aus aller Welt, und viele stärken sich im Gasthaus „Rüdesheimer Schloss“. (www.ruedesheimer-schloss.com).
Saalburg im Taunus. Foto: Ursula Wiegand
Nun steuern wir nordwärts zum rd. 400 km entfernten Römerkastell Saalburg nahe Bad Homburg im Taunus. Dort bauten die Römer gegen Ende des 2. Jahrhunderts zunächst eine Holzburg, danach eine steinere Festung. In einem Dorf lebten bis zu 2.000 Soldaten, die meisten zum Bewachen des Limes, der Grenzbefestigung zum Germanengebiet.
Saalburg-Museum, römische Wandmalerei. Foto: Ursula Wiegand
Die dennoch siegreichen Germanen zerstörten das Kastell. Erst ab 1894 förderten Ausgrabungen die Umrisse zutage. Von 1897-1907 dauerte die von Kaiser Wilhelm II veranlasste Rekonstruktion. Vermutlich ist die Saalburg seither perfekter, als sie es je war. Nur einiges stammt im Museum aus Römerzeiten, so die aus Stücken zusammengesetzten Wandmalereien, die einen nachgebauten Wohnraum zieren. (www.saalburgmuseum.de ).
Ein paar Gehminuten weiter veranschaulicht ein Lattengebilde, wie der 550 km lange – teils aus Holz gefertigte – römische Grenzwall in etwa ausgesehen hat. Unter der Bezeichnung Obergermanisch-Raetischer Limes ist er seit 2005 ein UNESCO-Welterbe.
Hotel Schloss Waldeck mit Edersee. Foto: Ursula Wiegand
Nach 300 km Fahrt erreichen wir schließlich Schloss Waldeck hoch über dem Edersee, eine zum 4-Sterne-Hotel umfunktionierte Burg aus dem 11. Jahrhundert samt Superaussicht und feiner Küche. Nein, – kein Welterbe, aber weitgehend authentisches Mittelalter. Auf Tatsachen beruht auch die Folter-Führung „Hinter Schloss und Riegel“. Nur was für starke Nerven! (www.schloss-hotel-waldeck.de)
Nationalpark Kellerwald-Edersee, Christianseck. Foto: Ursula Wiegand
Fast zu Füßen von Schloss Waldeck beginnt der Nationalpark Kellerwald-Edersee, der jüngste in Deutschland, ein wahres Erholungs- und Wanderparadies. Gerne vertreten wir uns am See entlang die Füße, stapfen dann ins Gelände zum Aussichtspunkt Christianseck und schließlich ein Stück auf dem 70 km langen Urwaldsteig.
Nationalpark Kellerwald-Edersee, Urwaldsteig. Foto: Ursula Wiegand
Hier gelangen wir ins Herz des Nationalparks: in die 2011 zum UNESCO-Naturerbe geadelten alten Rotbuchenwälder, die sich über 5.700 Hektar erstrecken. Allerdings müssen sie sich diese Ehre mit den Buchenwäldern auf Rügen, im Hainich und in den Karpaten teilen. Aber – sind die in Brandenburg nicht genau so dicht und schön? Vielleicht sollten die UNESCO-Experten auch mal diese anschauen.
Nun sozusagen letzte Ausfahrt Kassel, nur 48 km. Hier lebten und arbeiteten rd. 55 Jahre die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm. Die große Landesausstellung zum 200. Geburtstag ihrer Kinder- und Hausmärchen ist zwar beendet, doch im Museum (im Belvedere) bleiben die beiden Geistesgrößen dauerhaft lebendig.
Kasseler Bergpark Wilhelmshöhe, der Herkules. Foto: Ursula Wiegand
Das Rennen machte jedoch gerade Kassels Bergpark Wilhelmshöhe, ein ausgedehnter, barock möblierter Landschaftspark aus dem 18. Jahrhunderts mit 250 m langer Kaskade und einem offenen Riesenschloss, auf dem eine Herkules-Statue thront. Seit dem 23. Juni 2013 trägt dieses Ensemble den Titel Weltkulturerbe. Die UNESCO sah diesen Bergpark, einer der größten Europas, als einzigartiges Beispiel der Baukunst des Europäischen Absolutismus.
Der 8,30 m große Herkules (= Herakles, Sohn des Zeus), Kassels Wahrzeichen, schaut jedoch etwas griesgrämig in den Herbstnebel. Vielleicht dürfen Helden nicht lächeln. Vielleicht auch, weil am 3. Oktober für dieses Jahr Schluss ist mit den beliebten Wasserspielen. (www.kassel.de und www.museum-kassel.de ).
Da oben regungslos herumzustehen, ist sicherlich langweilig. Vermutlich würde er gerne mal durch den Park joggen, um für den nächsten „Kassel Marathon“ zu trainieren. Oder, noch besser, genau wie wir Hessens übrige Welterbestätten besuchen.
Infos unter www.hessen-tourismus.de und www.hessen-tourismus.de/reiseziele/unesco-welterbestaetten ____________________________________________________________________________