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HELSINKI: TRISTAN UND ISOLDE – Natur und Kunst im Einklang

18.05.2016 | Oper

Helsinki: „TRISTAN UND ISOLDE“ – 17.5.2016 – Natur und Kunst im Einklang

Helsinki TRISTAN Isolde Brangäne
Johanna Rusanen-Kartano , Lilli Paasikivi. Copyright: Heikki Tuuli

Da ging doch vor 150 Jahren (Urauffg. 1865) und noch lange danach die Mär durch die Musikwelt,dass das eine völlig unverständliche, unsingbare und unspielbare Oper sei,  textlich wie musikalisch. Die Zeiten haben sich gründlich geändert. Besucher jeden Alters werden heute in unterschiedlichsten Aufführungen an größten und kleinsten Bühnen von der Geschichte des selig-unseligen Wagnerschen Liebespaars ergriffen. Für „fortgeschrittene“ Wagnerianer und professionelle Kritiker mögen drastische Neudeutungen und szenische Absurditäten heutzutage essentiell sein  – „ich weiß es anders“: „Mich dünkt, sollt passen Ton und Wort“ – in atmosphärischen Räumen, und die Geschichte erschließt sich von selbst – „kinderleicht“ sozusagen.

So geschehen in dieser Eigenproduktion der Finnischen Nationaloper aus dem Jahr 2013 (deren Premiere im „Merker“ 6/2013 von Klaus Billand ausführlich rezensiert wurde). Die moderne Achitektur des Opernhauses mit seiner langgestreckten Seeseite  gewährt inmitten einer weitläufigen Parkanlage durch die dominierenden riesigen Glasfenster aus den Foyers einen Ausblick auf die Natur, die, wie im ganzen Land, so auch in der Hauptstadt mehr Raum einnimmt als alle Häuser und Straßen. Wald und Wasser sind die dominierenden Elemente, denen man sich auch im  Stadtgebiet von Helsinki stundenlang wandernd und sinnend anvertrauen kann.

So wie die Natur draußen war auch die Bühne im Opernhaus nicht verbaut. Das Spiel mit hell-dunkel-Kontrasten liegt in solch nördlicher Breite wohl nahe. Das hell ausgeleuchtete hölzerne Schiffsdeck, das die volle Bühnenbreite einnimmt, nur links durch zwei Wände abgegrenzt, an die sich anfangs Isolde und Brangäne, offensichtlich in Verzweiflung, pressen, weicht nach Einnahme des fatalen Tranks einem jähen Nachteinbruch, wo im Hintergrund ein schwarzer Mond das restliche Licht verdeckt und Markes Gefolge fackeltragend den Raum füllt. Wenn vor diesem Bild mit den vielen flackernden Feuern der Vorhang fällt, gruselt es einen vor allem Kommenden.

Die Liebesnacht spielt vor und zwischen acht bühnenhohen, knorrigen, Schatten werfenden Baumstämmen (oder Säulen?). Nur im fernen Hintergrund ahnt man die Noch-Existenz des Tageslichts, das ja bekanntlich vor Aktschluss über alle hereinbricht. Ebenso trist wie geheimnisträchtig ist das Szenenbild des 3. Aktes mit diversen hölzernen Schiffsbestandteilen und rotem Sand dazwischen. Die drei großen hölzernen „Finger“, die in die Luft ragen, sind gespenstisch. Ganz hell wird es erst wieder, wenn Tristan und Isolde in weißen Gewändern nebeneinander auf dem hölzernen Boden liegen – „alles tot“, wie auch das Gefolge  – stehend als Mahnmal nur noch König Marke, der es mit allen so gut gemeint hat…Und dennoch ist der Schluss nicht deprimierend. Die unsäglich ergreifende menschliche Tragödie, durch den hochpoetischen Text und die immer wieder so unfassbar expressive Musik, die alle Höhen und Tiefen der menschlichen Seele auslotet, wurde von der Regisseurin Elisabeth Linton durch liebevolle Personenführung zugleich aufregend, berührend und – im Einklang mit der Musik – erhebend realisiert. Alle Sängerdarsteller konnten ihre – und Richard Wagners! -Intentionen umsetzen und sich von ihrer besten Seite zeigen. Die Ausstatter Steffen Aarling (Bühne) und Marie i Dali (zeitlich neutrale Kostüme) seien für ihre zweckdienliche und dennoch fanatasievolle Arbeit bedankt.

Es war eine „Tristan“- Wiedergabe auf lyrischer Basis, von der poesievollen Textgestaltung  her ebenso wie stimmlich und orchestral. Diesbezüglich wage ich fast von einem Wunder zu sprechen. Der finnische Dirigent Hannu Lintu, dessen Biographie zu entnehmen ist, dass er hauptsächlich bei Konzerten im Einsatz ist (mit etlichen Führungspositionen in Finnland und weltweit als Gast),  vermochte auf verblüffende Weise drei Akte lang mit nie nachlassender Spannung und höchster Intensität die Musik prägnant und die Gesangspartien wortklar erklingen zu lassen. Nicht nur weil das Orchester der Finnischen Nationaloper im verhältnismäßig schmalen Graben in leicht reduzierter Zahl und mindestens zur Hälfte mit Frauen besetzt, angetreten war, kam es nie zu unbändigen Klangeruptionen, sondern weil dem durchaus energisch agierenden Maestro offensichtlich die Gefühlsdichte und Verinnerlichung der Emotionen auch noch im „Todeswonnegrauen“ am wichtigsten war. Besonders eindrucksvoll fand ich, wie es Hannu Lintu immer wieder gelang, auf heftige  Gefühlsausbrüche des vollen Orchesters, am eindringlichsten im 3. Akt, ganz fein gesponnene, innige piano-Passagen folgen zu lassen. sodass nie Leerläufe entstanden. Natürlich wurde nicht die Klangqualität der Wiener Philharmoniker geboten, die allerdings, auch und gerade unter renommierten Dirigenten, des öfteren zum Selbstzweck wird. In Helsinki aber war alles auf die musikdramatische Aussage hin konzipiert und daher einem sicherlich nicht aus lauter „Wagner-Profis“ bestehenden Publikum das Werkverständnis erleichtert.

Helsinki TRISTAN und Kurwenal 3.Akt
Tomi Hakala (Kurwenal), Robert Dean Smith (Tristan). Copyright: Heikki Tuuli

Die berührendste Sängerleistung – inmitten einer hochrangigen einheimischen Besetzung – kam diesmal von Robert Dean Smith. Meine Tristan-Favoriten waren immer jene Tenöre, die nicht nur mit todernstem Gesicht ihr heldisches Stimmpotential demonstrierten, sondern auch selig lächeln und mit Hingabe ihren schönen Text zu formulieren und zu intonieren vermochten. Smith durfte, auf der Basis langjähriger Rollenerfahrung stimmlich souverän, dank einer ihm entgegen kommenden Regie hier sein ganz persönliches, sehr sympathisches Rollenporträt zeigen. Allein schon in seinem Gesicht spielte sich ein Großteil der innigen Gefühle eines herzlich liebenden Menschen ab, der alle ihn beherrschenden Emotionen so sehr genießt, wie Wagner es wohl bei deren Vertonung getan hat. Ihm zuzuschauen und seinem ebenmäßigen Gesang ohne Ecken und Kanten zu lauschen, war einfach ein Genuss. Verstärkt durch die Rücksichtnahme des Dirigenten auf des Sängers spezielle vokale Gaben, erlebte man nicht einen mittelalterlichen Heros, sondern einen mittels der Musik über sich selbst hinauswachsenden Menschen von heute.

Seine Liebespartnerin Johanna Rusanen-Kartano durfte zudem in der imposanten Gewandung einer Königstochter auftreten, was ihrer gewichtigen Figur die rollengemäße Würde verlieh. Vor allem aber sprach auch aus ihrem hübschen, ausdruckfähigen Gesicht alles, was Isolde an unterscheidlichsten Gefühlen bewegt, bis zum – nach Alltagsmaßstäben – kurzen, aber dank Wagners Musik allumfassend demonstrierten gemeinsamen Glück, das nur in wenigen „Tristan“-Produktionen so unmissverständlich ausgelebt werden darf. Die beiden dürfen einander inbrünstig küssen und immer wieder leidenschaftlich umarmen und – die Musik kommt dadurch doppelt zur Geltung. Frau Rusanen-Kartano hatte mit ihrem kraftvollen, hell-leuchtenden Sopran, der in allen Lagen gleich gut anspricht, auch keine vokalen Probleme. Zuletzt konnte sie wirklich glaubhaft machen, dass sie mit ihrem „mild und leise lächelnden“ Tristan in „des Weltatems wehendem All“ ertrinkend, versinkend ihr finales Glück gefunden hat.

Ganz hervorragend war auch die Brangäne von Lilli Paasikivi, die mit vollem, weichem Mezzo und langem Atem sowie großem körperlichen Einsatz ihrer Herrin eine aufopfernde Begleiterin war und dem Publikum mit ihrer leidenschaftlichen Anteilnahme am tragisch-schönen Geschehen dieses noch näher brachte. Ebenso gelang dies Tommi Hakala als Kurwenal. Sein wohlfundierter kräftiger Heldenbariton war das richtige Pendant zum Lyriker Tristan und seine verzweifelten gestischen Reaktionen auf die Aktionen seines geliebten Herren waren für die  Zuschauer auch dahingehend aufschlussreich, dass sie zeigten, dass zwischen dem Liebespaar und deren wohlmeinenden Begleitern unüberbrückbare Welten liegen. Wagner wusste, warum er für Brangäne und Kurwenal keine Verklärungsmusik komponiert hat..,

Leider hörten wir nicht den Premierensänger Matti Salminen, aber Jyrki Korhonen war als Marke eine durchaus interessante Variante. Er hat keine so schöne Stimme, aber sein sehr kraftvoller, markiger Bass und sein souveränes Auftreten beließen dem König seine Würde. Das letztendliche Verstehen und Verzeihen hätte halt ein bisschen mehr Kantabilität gebraucht. Olli Tuovinen als Melot, Tuomas Katajala als schönstimmiger Seemann und Hirt (als Tod in schwarzer Kutte und Kapuze auftretend) und Jussi Merikanto als Steuermann füllten ebenfalls ihre Rollen voll aus. Der in unüblich großer Zahl  auftretende Chor sang mit großer Eindringlichkeit (Chorleiter: Marco Ozbič und Marge Mehkilane).

Ein überaus diszipliniertes Publikum, dessen verbale Pausenkommentare uns natürlich unverständlich bleiben mussten, schien von Werk und Wiedergabe sehr angetan. Dass die Billetteure jeweils vor Aktbeginn Ausschau hielten, ob keine Handys eingeschaltet blieben, war eine erfreuliche Randerscheinung. Der schöne, halbrunde, dreirangige  Zuschauerraum, der von allen – bequemen – Plätzen gute Sicht und Hörverhältnisse bietet, lädt zur Wiederkehr ein!                 

Sieglinde Pfabigan

 

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