Alberich bricht aus dem Ei. Copyright: Ralph Larmann
HELSINKI: DAS RHEINGOLD – NI am 14. September 2019
Fulminater Start in einer neuen “Ring”
Nachdem der Altmeister Götz Friedrich auf Einladung des damaligen Generalintendanten Walton Groenroos der Finnischen Nationaloper (FNO) von 1996-99 als deren Auftragswerk seinen dritten und sehr sehenswerten „Ring“ inszeniert hatte, den ich auch erleben und rezensieren konnte und in dem die große finnische Wotan-Hoffnung Juha Uusitalo bekannt wurde, begann man nun mit einer Neuinszenierung der Tetralogie von Richard Wagner. Mit dem „Rheingold“ legte man am Töölönlahti-See einen fulminanten Start hin. Dieser neue „Ring“ wird diesmal von einem rein finnischen leading team erarbeitet. Anna Kelo übernimmt die Regie, Mikki Kunttu das Bühnenbild und die Video-Regie sowie Erika Turunen die Kostüme. Am Pult des erstklassigen Orchesters der Finnischen Nationaloper steht der international bekannte Dirigent Esa-Pekka Salonen, der schon längst einmal nach Bayreuth gehört hätte. Anna Kelo arbeitet seit 1994 an der FNO als assistant director und seit 1998 als chief assistant director. Sie graduierte am Moscow GITIS (Russian State Institute of Scenic Art) in den frühen 1990er Jahren. Mikki Kunttu darf als der berühmteste Lichtdesigner in Finnland bezeichnet werden und bestätigte diesen offenbar völlig berechtigen Ruf in dieser „Rheingold“-Produktion auf eindrucksvolle und nachhaltige Weise.
In einem Programm-Artikel schreibt Anna Kelo, die damals die Assistentin von Friedrich bei seiner Produktion war, dass sie vom „Ring“ Patrice Chéreaus 1976 in Bayreuth, den sie im Fernsehen sah, inspiriert wurde und jener „Ring“ für sie zu einer life-changing experience wurde. Sie findet die Geschichte außerordentlich interessant und fesselnd – wie wahr! Bei ihr finden die Götter in der Antike statt, in der die Herrschenden sich ja bekanntlich durch ausufernden Hedonismus, Völlerei und ein Desinteresse am Wohlergehen des ihnen untergebenen Volkes „auszeichneten“. Selten habe ich ein solch opulentes 2. Bild im „Rheingold“ erlebt wie dieses. Wir sehen die Götter in schweren Marmor-Sesseln in einem schon während der Verwandlungsmusik von Mikki Kunttu angedeuteten römischen Palast mit dorischen und korinthischen Kapitelen vor dunkel dräuenden Wolkenbergen bräsig ihren Morgen verbringen. Sklavinnen servieren standesgemäß frisches Obst zum Frühstück. Die Kostüme von Erika Turunen passen bestens dazu. Das mag zunächst als Bild sehr konventionell wirken, gewinnt aber eine tiefere Bedeutung, wenn man an Wagners Vorliebe für das Antike Theater denkt. Aber diese Ästhetik erscheint auch einen erschreckend aktuellen Bezug zu unserer Gegenwart zu haben. Vergleiche zu heutigen Staatenlenkern möge jeder selbst anstellen…
Die Riesen verlangen ihren Lohn. Copyright: Ralph Larmann
Als auf einmal Freia mit schlechten Nachrichten auf die Bühne kommt und die Riesen als wahrlich riesige Lichtproduktion im Hintergrund die ganze Szene beherrschen, kommt diese schale Ruhe im Nu durcheinander. Größte Nervosität tritt bei Wotan ein, wie mit den berechtigten Ansprüchen der Riesen nun umzugehen sei. Dann beginnt das ganze Drama mit von der fortschreitenden Realität erzwungenem Goldraub und grenzenloser Gier nach Macht. Ein großartiger und ideenvoller Einstieg in Wagners Tetralogie!
Aber schon im 1. Bild ist die Gier nach Macht auf der Seite des Schwarzalben, Wotans dunklem Gegenpart, zu erleben. In einem düsteren Bild sehen wir, wie sich die Rheintöchter anmutig auf einem Felsenriff tummeln, bis der selten hässliche Alberich aus einem faulen schwarzen Ei hervorbricht und ihre Ruhe zu stören beginnt. Da ein Ei metaphorisch immer für ein neues und damit junges Leben steht, scheint es hier mit dem alten Alberich nicht ganz schlüssig zu sein. Man könnte aber argumentieren, dass mit seinem Ausbruch aus dem Ei ein Neubeginn, ja ein neues Zeitalter in der Entwicklung beginnt. Dieser Neubeginn findet ja wirklich statt, wenn auch negativ konnotiert, und immerhin aus einem faulen schwarzen Ei heraus. Also einverstanden! Etwas befremdlich erschien mir aber, dass Wotan im Dialog mit Fricka im „Rheingold“ auf sein erblindetes Auge deutet, wenn er zu ihr sagt: „Um dich zum Weib zu gewinnen, mein eines Auge setzt‘ ich werbend daran..“, obwohl es doch gar nicht dieses war!
Alberich gewinnt das Rheingold. Copyright: Ralph Larmann
Sehr schön zeigt sich das Gold im entsprechenden Moment als eine goldleuchtende Ader im Riff, endlich mal wieder eine gute und realistische Idee zu diesem Thema. Phänomenal dann die Goldgewinnung durch Alberich: Auf seiner Hand treffen sich grelle goldene Strahlen punktgenau wie die Hälfte eines Sternes – das Gold hat sich virtuell in seiner Hand eingefunden! Auch im 3. Bild gelingt eine überaus eindrucksvolle chiffrenartige Goldprojektion. Die meisten Bilder, besonders jene in den Zwischenspielen, werden durch Kunttu schemenhaft verfremdet, was Assoziationen zwar ermöglicht, aber niemals zu eng werden lässt. Das nenne ich eine gelungene Video-Regie!
Erda mit Fasolt im Hintergrund. Copyright: Ralph Larmann
So noch nie gesehen war auch der Erda-Auftritt. Sie steigt in einem immer länger und weiter werdenden Kleid aus dem Boden auf. Auf dieses Kleid projiziert Kunttu bereits den kommenden Weltenbrand mit hoch lodernden Flammen – eine tolle Idee des leading teams! Denn was sagt Erda: „Alles was ist, endet, ein düstrer Tag dämmert den Göttern…“ Und dessen scheint sich Wotan im Finale zu erinnern. Die anderen Götter sind bei den hohl-bombastischen Klängen des Einzugs nach Walhall bereits zwischen vier riesigen weißen vertikalen Platten verschwunden, auf denen statt altrömischer Opulenz nun triste schwarze Bauhaus-Strukturen zu sehen sind, die lange und immer länger werdende schwarze Schatten werfen. Wotan taucht in ihrer Mitte auf, sieht die Entwicklung mit Schecken und versucht noch einmal krampfhaft nach unten, also wohl in die alte schöne Zeit hinunterzugreifen, wie um sie festzuhalten – allein es ist zu spät! Die Tafeln schwärzen sich von oben langsam ein und werden so zum sichtbaren Zeichen des baldigen Endes der Götter.
Bis auf Sari Nordqvist waren alle Stimmen, in einer rein finnischen Besetzung, gut bis sehr gut. Tommi Hakala, der im Friedrich-„Ring“ noch der Gunther war, sang nun einen ausdrucksstarken und agilen Wotan mit kräftiger Stimme, bester Diktion und guter Höhe bei darstellerisch starker Präsenz. Die als Fricka international, auch aus dem Braunschweig-„Ring“ bei den Salzburger Osterfestspielen bekannte Lilli Paasikivi, gleichzeitig auch Generalintendantin der FNO, sang eine starke Göttergattin mit ihrem vollen und wohlklingen Mezzo sowie souveräner Darstellung. Der junge Tuomas Katajala war ein überaus präsenter Loge mit roten Haaren und einem facettenreichen Tenor, mit dem er gerade für diese so spezielle Rolle ideal besetzt war. Dem noch jungen Sänger traue ich eine weiterhin interessante Entwicklung im Wagner-Fach und nicht nur hier zu, zumal er auch exzellente darstellerische Qualitäten unter Beweis stellte. Der international bewährte Jukka Rasilainen, mit mittlerweile über 100 Alberich-Darstellungen, gab auch hier wieder ein interessantes Rollenpotrait zum Besten mit einem spastischen Nicken, welches er nach einer zufälligen Begegnung mit einem Spastiker auf der Straße übernommen hatte. Mit seinem Heldenbariton war Rasilainen wieder ein eindrücklicher Albe, eine seiner Glanzrollen! (Ein Interview, das ich in Helsinki mit ihm bei dieser Gelegenheit machte, befindet sich im vorigen Heft 10/2019).
Reetta Haavisto sang eine mädchenhafte Freia mit einem schönen Sopran. Tuomas Pursio, im Leipziger „Ring“ der „Rheingold“-Wotan und Alberich, war hier ein stimmlich und spielerisch auftrumpfender Donner. Jyrki Korhonen als Fafner und Koit Soasepp als Fasolt mit einem kantablen Bass bei guter Höhe waren ihre Angelegenheit stimmlich eindrucksvoll vortragende Riesen, obwohl Fafner bei Loges Monolog einschlief… Markus Nykänen gab einen kraftvollen Froh und Dan Karlström einen guten und aufgeregten Mime. Unter den Rheintöchtern, die alle sehr gut sangen, stach Marjukka Teppponen als Woglinde mit ihrem vollen und klaren Sopran hervor. Mari Palo war Wellgunde und Jeni Packelen, zeitweise mit etwas verquollener Tongebung, Flosshilde. Ja, und Sari Nordqvist klang als so imposant auftretende Erda leider recht abgesungen und enttäuschte damit in dieser so zentralen Szene.
Esa-Pekka Salonen setzte bei diesem hedonistischen Treiben der Götter ganz auf Pathos. Selten habe ich auch ein so mystisch verklärtes Vorspiel gehört. Die Musiker des Finlands nationaloperas orkester zeigten sich von ihrer besten Seite und ließen auch ihre Erfahrung mit dem „Ring“ vor 20 bis 10 Jahren erkennen. Musikalisch passte die Interpretation Salonens optimal zum Geschehen auf der Bühne, sodass dieses „Rheingold“ ein erster großer Wurf in die neue finnische Tetralogie wurde. Ich bin gespannt auf die „Walküre“ im Mai 2020.
Klaus Billand
Das Maß ist voll! Foto: Ralph Larmann