Helsinki: ELEKTRA – Premiere am 2.9.2016
Mit dieser Neuinszenierung befindet sich die Finnische Nationaloper in illustrer Gesellschaft: Nach der Premiere im Jahre 2013 in Aix-en-Provence, nach der Scala, der Met, der Berliner Staatsoper, nach Barcelona war nun Helsinki an der Reihe, und – um das Fazit vorweg zu nehmen – es war ein triumphaler Erfolg, posthum auch für den Regisseur PATRICE CHÉREAU, der im Herbst 2013 verstorben und dessen szenische Einstudierung nun von VINCENT HUGUET übernommen worden war. Viele der Zuschauer, die Chéreaus Ring-Deutung im Bayreuth des Jahres 1976 damals nicht nachvollziehen konnten/wollten, konnten sich aber der Sogkraft seiner Arbeit mit den Sängern nicht entziehen, die aus diesen singende Schauspieler machte. Seitdem ist der Begriff „Personenführung“ hoffähig geworden, und Personenführung war es auch, die dieser Produktion den Stempel aufdrückte und sie zum stark akklamierten Ereignis machte.
Szenenbild – Foto: Stefan Bremer
Für die heutige Zeit äußerst ungewohnt, stülpte Chéreau dem Werk nicht seine eigene Sichtweise über, sondern blieb weitestgehend nahe an der Stückvorlage und füllte sie durch seine Kunst, die Sänger zu persönlichkeitsstarken Akteuren zu machen, mit Leben, somit Gesang, Mimik, Gestik, die ganze Körpersprache zu einer beeindruckenden und bewegenden Einheit verschmelzend. Ganz in diesem Sinne dienten RICHARD PEDUZZI’s karges Bühnenbild und CAROLINE DE VIVAISE’s Kostüme dieser Verdichtung, der Reduzierung auf das Wesentliche.
In EVELYN HERLITZIUS hatte Chéreau eine Sänger-Darstellerin gefunden, die seine Vorstellungen von Elektra kongenial umzusetzen in der Lage war. Ihre Stimme, deren Registerbrüche anfangs etwas irritierten, war immer und wird immer Geschmacksache bleiben, ist eigentlich auch keine echte hochdramatische, aber dies sind angesichts dieser fulminanten Gesamtleistung sekundäre Einwände – eine Kerze, die an beiden Enden brennt. Somit ist die Umsetzung des Schlusses, der üblicherweise Elektra nach ihrem Triumph-Tanz tot zusammenbrechen lässt, nur konsequent: Wie ein erloschener Vulkan, nach innen fliehend, bleibt sie regungslos sitzen, alles um sie herum vergessend,
Elisabet Strid (Chrysothemis) und Evelyn Herlitzius – Foto: Stefan Bremer
Wie Evelyn Herlitzius war auch WALTRAUD MEIER schon in Aix-en-Provence dabei. Ihre Klytämnestra entspricht so gar nicht den herkömmlichen Vorstellungen von dieser Figur und ist trotzdem oder gerade deswegen ungemein faszinierend. Kein sattes Alt-Register, kein „weiblicher Bass“ in dieser Rolle, sondern im Volumen sehr zurückgenommen, jedes Wort nuanciert auskostend, war die Meier ihrer Bühnentochter eine ebenbürtige Widersacherin, keine „heruntergekommene“ Furie, sondern eine immer noch attraktive Königin – eine Studie der Extraklasse. Es war ein Glückfall für diese Aufführung, dass in ELISABET STRID eine Chrysothemis gefunden worden war, die das Damen-Terzett auf Augenhöhe abrundete. Eine sehr schön timbrierte Stimme von hohem Wiedererkennungswert mit einer für diese Rolle unerlässlichen Leuchtkraft in der Höhe und beeindruckender dramatischer Intensität.
Mit MIKA POHJONEN’s jugendlichem Heldentenoral war Ägisth dramatischer als heute üblich besetzt – wie ein Gruß aus alten Zeiten, bevor diese Rolle von Charaktertenören vereinnahmt wurde. in Orest hat TOMMI HAKALA eine weitere Partie gefunden, in der er sein immer dunkler und dramatischer werdendes Material überzeugend präsentieren kann. Gekonnt bewältigte DAN KARLSTRÖM die verflixt hohe Tessitura des Jungen Dieners, und als Alter Diener und Pfleger des Orest gelangen JYRKI KORHONEN und ESA RUUTTUNEN bewegende Rollenporträts. Auffallend großkalibrig war die 5. Magd mit KIRSI TIIHONEN besetzt, um die es in den letzten Jahren still geworden ist. Schließlich sang sie noch bis vor wenigen Jahren an Bühnen wie Helsinki, Essen oder sogar der Scala das hochdramatische Fach.
Evelyn Herlitzius (Elektra) und Tommi Hakala (Orest) – Foto: Stefan Bremer
Riesenapplaus natürlich für den Dirigenten ESA-PEKKA SALONEN und das hervorragende Orchester der Finnischen Nationaloper. Richard Strauss wird die Forderung zugesprochen, seine großvolumige Komposition, die in die Klänge der Moderne führt, sollte wie zarte Elfenmusik klingen. Dabei mag der Komponist korpulentere Elfen vor Augen und Ohren gehabt haben, denn angesichts dieses Riesenorchester ist diese Forderung nahezu unmöglich zu erfüllen. Doch hätte ich mir gewünscht, dass für Salonen, der bei der Premiere in Aix-en-Provence mit Elektra erstmalig eine Strauss-Oper dirigiert hatte, die Stimmen von Menschen weniger als instrumentale Stimmen im Orchester gedient hätten. Trotz dieses Einwands konnte man sich der dramatischen Wucht seiner Interpretation nicht entziehen.
Sune Manninen