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Helmut Deutsch: „GESANG AUF HÄNDEN TRAGEN“

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12.04.2019 | buch

Foto:  Shirley Suarez (Titelbild Helmut Deutsch)

Helmut Deutsch: „GESANG AUF HÄNDEN TRAGEN“

Henschel Verlag ISBN 978-3-89487-803-0;  erschienen im März 2019;  222 Seiten;  € 26.80

Karl Masek – 12.4. 2019

„Mein Leben als Liedbegleiter“, so lautet der Untertitel der musikalischen Autobiografie des 1945 in Wien geborenen Helmut Deutsch. Im Prolog geht er, der von vielen Sängerinnen und Sängern als „kongenialer Partner“, ja sogar als „unfehlbare Institution“ bezeichnet wird, ausführlich auf den Liederabend von Diana Damrau  und  Jonas Kaufmann 2018 bei den Salzburger Festspielen (Hugo Wolfs „Italienisches Liederbuch“) ein. Nietzsches berühmter Ausspruch: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“ zieht sich schließlich fast leitmotivisch durch dieses Buch. Man ist geneigt, es in einem Zug durchzulesen…

Mit 25 Jahren war Helmut Deutsch bereits Professor an der Wiener Musikhochschule (da hatte er immerhin bereits einen Liederabend mit Irmgard Seefried bestritten!), seine Weltkarriere als musikalischer Partner vieler Stars der Kunstlied-Szene nahm nach Jahren der Unterrichts-, Korrepetitoren- und Einstudierertätigkeit Ende der 70er Jahre Fahrt auf. Das war jedenfalls zu einer Zeit, als es noch üblich war, dass die „Begleiter am Klavier“ für unantastbare Sängerstars untergeordnete musikalische Zuarbeiter und Assistenten waren. Es war weiters die Zeit der alteingesessenen Platzhirschen, wenn man liest, wie schwierig es gewesen sein muss, sich in der Welt von Gerald Moore, Leonard Hokanson, Erik Werba, Irvin Gage,… emporzuarbeiten.

Der Autor gibt über diese Anfangsjahre spannende Einblicke. Man erfährt erhellende Geschichten über Persönliches, über Eigenheiten so mancher Sänger. Hermann Prey z.B. muss eine ziemlich komplizierte Persönlichkeit gewesen sein. Er kehrte überdeutlich den Chef hervor und ließ apodiktisch nur „seine“ Tempi , „seine“ Lesart gelten, war im Konzertalltag höchst pedantisch, höchst misstrauisch, wenn er vermutete, dass das Klavier zu dominant sein könnte oder „hübsche weibliche Umblätterinnen“ gar die Aufmerksamkeit des Publikums über Gebühr beanspruchen könnten. Dennoch war die zwölfjährige, schließlich intensive künstlerische Zusammenarbeit mit Prey für Helmut Deutsch von besonderer Bedeutung und Bereicherung. Ich habe niemals einen zweiten Sänger erlebt, der sich so mit dem Klavierpart auseinandersetzte wie Prey…“, so Deutsch im Kapitel, das  allein dem legendären Bariton gewidmet und letztlich zu einer berührenden Hommage geworden ist.

Das sensible Eingehen auf unterschiedlichste Sängerpersönlichkeiten und ihren „Gesang auf Händen zu tragen“  bewirkte schließlich, dass man sich in zunehmendem Maße darum riss, Helmut Deutsch als kongenialen Partner und Gestalter am Podium zu haben. Profund begründete „Liebeserklärungen“ an Sänger/innen gibt es im Buch eine Menge, für Peter Schreier und Piotr Beczala bis Jonas Kaufmann und Michael Volle, für Diana Damrau bis Angelika Kirchschlager und Camilla Nylund – und neuerdings für den Jüngsten dieser Sängergilde, den Schweizer Tenor Mauro Peter, den er als Professor in München vor wenigen Jahren noch selbst unterrichtet hat und mittlerweile mit ihm regelmäßig in Wien, bei der Schubertiade in Hohenems/Schwarzenberg sowie vielen Musikmetropolen auftritt.

Ob über seine Kindheit und Jugend samt Ausbildung, Japan als Musikland und bevorzugter künstlerischer Aufenthalt über zwei Jahrzehnte, ob seine Arbeit als Unterrichtender von Wien über München und Frankfurt bis zu den Meisterkursen (sehr kritisch beleuchtet!), oder die Kapitel „Werktreue und Freiheiten“ bzw. „Die Presse“: Deutsch bezieht Stellung, bringt die Dinge auf den Punkt, formuliert erfrischend lebendig, oft mit feinem, ironischem Humor.

Zwei besonders hübsche Geschichten in diesem Buch möchte ich noch erwähnen: „Missa Solemnis“-Probe 1965 in Berlin mit Herbert v. Karajan.  Helmut Deutsch war damals als junges Chormitglied des Wiener Singvereins dabei. Karajan möchte vom Tenorsolisten Fritz Wunderlich eine Stelle mit besonderem Ausdruck haben, knarzt ihm diesen Ausdruck vor, um schließlich dazu überzugehen, nur mit den Händen ein wunderschönes Legato zu formen. Wunderlich, staubtrocken: „Ja, mit den Händen kann ich es auch so…“. Da musste selbst Karajan lachen. Oder: Ein Erlebnis mit dem Kritiker Franz Endler, der in einer Rezension schrieb: „Am Flügel Hubert Deutsch“. Helmut Deutsch fühlte sich bemüßigt, F.E. auf diesen Irrtum aufmerksam zu machen. Der antwortete zu seiner Verblüffung: „Wen interessiert eine Kritik ein paar Tage später… ich werde es schon gutmachen!“ Bald darauf eine überaus positive Kritik über einen Liederabend. Am Ende der Satz: „Noch einige wenige Konzerte dieser Qualität, und niemand mehr wird den Namen Helmut Deutsch verwechseln…“

Akribisch zusammengestellt ist die Diskographie am Ende des Buches mit 104 Aufnahmen von 1976 bis 2019.  Je 3x „Die schöne Müllerin“ und „Die Winterreise“ – und besonders viel Brahms und Hugo Wolf.

Ein lesens- und empfehlenswertes Buch mit instruktivem, uneitlem  Blick hinter die Kulissen des Klassikbetriebs!

Karl Masek

 

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