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HELLE NÄCHTE

22.11.2017 | FILM/TV, KRITIKEN

FilmCover  Helle Nächte x~1

Filmstart: 24. November 2017
HELLE NÄCHTE
Deutschland, Norwegen / 2017
Regie: Thomas Arslan
Mit: Georg Friedrich, Tristan Göbel u.a.

Wollte man das gegenwärtige Angebot von Filmen analysieren, würde ein hoher Prozentsatz davon von Familie handeln – desgleichen bei Büchern, Fernsehspielen, Zeitungsartikeln. Das Thema der Generationen – vielmehr von deren Auseinanderbrechen – scheint virulent wie je. Thomas Arslan, der deutsch-türkische Filmemacher, der für seine Analyse deutsch-türkischer Schicksale bekannt wurde, hat diesmal einen Film ohne die geringste vordergründig-politische Implikation gedreht.

Nur eine Familiengeschichte – nein, genauer gesagt: eine Vater-Sohn-Geschichte. Ein Road Movie, es führt durch das nördliche Norwegen. Der Versuch einer Annäherung, Versuch einer Aufarbeitung – und gänzlich ohne die sonst in solchem Rahmen aufgebotenen Klischees. Auf dieser Reise wird absolut nichts künstlich aufgemotzt, gibt es keine aufregenden Ereignisse, keine Natur- und sonstigen Katastrophen, keine dramatischen Begegnungen. Einfach wie ein abgefilmtes Stück Leben. Und auch kein „Ergebnis“, mit dem man sich zufrieden auf den Weg machen kann. Thomas Arslan verzichtet auf all das. „Helle Nächte“ ist einem Segment trauriger Wirklichkeit auf der Spur.

Zu Beginn ein Telefongespräch. Michael redet mit einer entfernten Schwester über den verstorbenen Vater. Die Familie ist offenbar schon seit längster Zeit heillos zerbrochen – nein, die Schwester kommt nicht zum Begräbnis. Michael wird hinfahren. „Man wird nur einmal beerdigt.“ Schon hier schlägt Georg Friedrich den Ton an: Trocken, spröde, alles andere als verbindlich. Auch mit seiner Freundin, die ihn damit konfrontiert, ein Jahr nach Amerika zu gehen, gibt es keinerlei freundlichen Umgangston. Man weiß: Dieser Mann kriecht in sich selbst hinein und kommt nicht leicht heraus.

Und dann ist da Michael mit seinem langhaarigen Sohn Luis (Tristan Göbel): Warum dieser mitfährt zu dem Begräbnis nach Norwegen, erfährt man später. Er wollte einfach Opas Haus sehen. Dass er dafür mit seinem Vater zusammen sein muss, den er endlos nicht gesehen hat, seitdem die Eltern sich getrennt haben und er mit seiner Mutter am Land wohnt – das geht ihm sozusagen am A vorbei. Zwei lapidare, aber im Grunde verletzte, verletzliche und grobe Charaktere bleiben sich in der Folge nichts schuldig.

Helle Nächte, die zwei x x~1

Der Vater, der von seinem Sohn so gut wie nichts weiß, will das zufällige Beisammensein durch das Begräbnis nützen: ein paar Tage gemeinsam verbringen, durch Norwegen fahren, ein bisschen wandern, alles, was dem Jungen nur unverständiges Kopfschütteln abringt. Er mag nicht einmal reden, worüber? Am allerwenigsten will er Erklärungen, was warum schief gelaufen ist zwischen den Eltern, wozu der Vater ansetzen möchte. Nur keine Sentimentalitätssuppe, bloß nicht.

Was immer der Alte versucht, um auch nur ein Gespräch zu beginnen, der Junge wird ihn zurückweisen. Da gibt es nichts, was auch nur friedliche Co-Existenz garantiere… Nicht einmal über Filme (für jeden ein gemeinsames Thema) können sie einigermaßen miteinander reden. Irgendwann begreift man, dass sie schweigen, weil sie einander nichts zu sagen haben.

So fährt man mit ihnen durch Norwegen, lange im Auto sitzend (in einer großartigen Passage auch in den Nebel, durch den Nebel), lapidare Sätze, Landschaft, eine Hütte, mit einem norwegischen Mädchen kann Luis kommunizieren, mit dem Vater nicht. Einmal geht das Benzin aus, einmal fährt der Vater wütend weg, weil der Sohn gar zu brutal-unhöflich war, alles nicht weiter dramatisch. Sie wandern, der Junge springt durch die Gegend (wenn er denn seine Aversion gegen den ganzen Ausflug überwinden kann), der Vater keucht sich eines. Man schläft im Zelt. Der Film setzt Schritt für Schritt einen filmischen Fuß vor den anderen. Das könnte langweilig sein. Und ist in seiner trocken-traurigen Aussichtslosigkeit seltsam spannend…

Am Ende fliegen sie heim, offenbar jeder woanders hin. Nichts ist geklärt, nichts ausgesprochen, keine triefende Versöhnung, keine Beschwichtigung für den Kinobesucher, der sich nach Harmonie sehnt. Starren Gesichts sitzt Georg Friedrich im Bus. Abspann.

Das war’s, und das ist nicht wenig. Nicht nur, weil die beiden Darsteller (außer ihnen gibt es nur in Kürzestrollen zwei andere) so stark sind – auf Schauspielerkino ist das auch nicht ausgerichtet. Da möchte ein Drehbuch-Regisseur keine falsche Hoffnungen machen, dass menschliche Kommunikation um jeden Preis möglich sein muss, wie uns die Plapperer in unsäglichen US-Filmen und öden TV-Laber-Shows vormachen wollen. Wie man hier sieht (und wie man es in tiefster Seele weiß): Es klappt nicht immer. Der helle Himmel Norwegens hat keine Erlösung gebracht.

Renate Wagner

 

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