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HEILBRONN/ Theater: LE NOZZE DI FIGARO – Zauber der Verwandlungskraft

20.05.2023 | Oper international

Wolfgang Amadeus Mozarts „Le nozze di Figaro“ am 20.5.2023 im Theater/HEILBRONN

Zauber der Verwandlungskraft

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Foto: Jochen Quast

In der Inszenierung von Axel Vornam triumphiert in jedem Fall die Kraft der szenischen Verwandlung. Der Graf Almaviva ist auch hier ein hoffnungsloser Schürzenjäger, der den Frauen am Hof nachstellt, obwohl er mit Gräfin Rosina verheiratet ist. Auch die Kammerdienerin seiner Frau, Susanna, möchte er gegen Bezahlung erobern. Das Problem ist nur, dass Susanna in dessen Kammerdiener Figaro verliebt ist. Da die Hochzeit der beiden kurz bevor steht, kann der Graf nur das „Privileg der ersten Nacht“ für sich in Anspruch nehmen. Darüber ist jedoch Susanna so verzweifelt, dass sie den Grafen zusammen mit Figaro in der Hochzeitsnacht in einen Park locken will, wo ihn seine Gräfin erwarten soll, um ihn zu täuschen. Im historisch passenden Bühnenbild von Tom Musch und den einfallsreichen Kostümen von Toto wird die Gefährlichkeit dieses Plans gar nicht geleugnet – und es kommt zu immer wieder neuen Einfällen und Nuancen der Situationskomik, die sich nicht bremsen lässt.

Napoleon bezeichnete Mozarts „Figaro“ gar als „Sturmvogel der Revolution“, was ebenfalls ganz versteckt angedeutet wird. Axel Vornam gelingt es bei dieser subitlen Inszenierung jedoch, die Form und Struktur der eigentlich recht komplizierten  Handlung klar auf den Punkt zu bringen. Dies zeigt sich vor allem in der ausdrucksstarken Charakterzeichnung der Gräfin, die dem schamlosen Treiben ihres Mannes ein Ende setzen möchte. So fragt sie sich in einer berührenden Arie, „wo bloß die schönen Stunden hin sind“. Und auch der liebestolle Page Cherubino hat bei dieser rasanten Aufführung nur noch die Frauen im Kopf und stellt ebenfalls der überforderten Susanna nach. Und die als Susanna verkleidete Gräfin sucht sich Cherubino mit der Drohung vom Leibe zu halten, sie werde Leute herbeirufen.

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Foto: Jochen Quast

Der Reiz von Lorenzo da Pontes Opera buffa nach Beaumarchais offenbart sich in dieser punktgenauen Inszenierung bei vielen Einzelheiten. Dies zeigt sich insbesondere bei der fast satirischen Enttarnung des untreuen Grafen durch die eigene Frau, die den Schleier zurückschlägt und fragt, ob auch ihre Bitte ohne Wirkung bleiben soll. Dem Happy End beim Hochzeitsschmaus steht nichts mehr im Wege. Und man begreift, dass Mozarts „Figaro“ nicht nur wegen dem „Recht der ersten Nacht“ irgendwie politisch ist. Vor allem musikalisch ist diese Aufführung gelungen. Dies liegt vor allem an dem umsichtigen Dirigenten Motonori Kobayashi, der das Württembergische Kamerorchester Heilbronn mit akribischer Präzision dirigiert und dabei kein Detail aus den Augen verliert. Auch die Choreografie von Eric Rentmeister setzt immer wieder optische Glanzpunkte. In rasanter Allegrobewegung eilt die Ouvertüre dahin – und die davonflitzenden Gedanken unterstreichen hier den Reiz des musikalischen Lustspiels. Die Intrigenkomödie nach Beaumarchais kann sich auch klanglich voll entfalten. Ebenso deutlich in ihrer formalen Struktur werden die  beiden großen Finale des zweiten und vierten Aktes, die als durchkomponierte Stücke eine starke Aussagekraft haben. Das dramatische und seelische Geschehen wird von den Sängerinnen und Sängern immer wieder konsequent und leuchtkräftig umgesetzt. Trotzdem  wirkt das vollkommene Bild des Rokoko durchaus brüchig, was der Schönheit der melodischen Linie aber nie schadet. Frazan Adil Kotwal (Bariton) verleugnet keineswegs die herrische Geste des Grafen Almaviva beim Allegro maestoso, wohingegen Junoh Lee (Bass) dem Figaro eine geradezu bewegliche Parlando-Diktion verleiht. Witzig wirkt vor allem jene Passage mit den Hörnern, die klar macht, was Figaro verschweigt. Und Figaro gewinnt letztendlich das Verwirrspiel, weil er ganz genau weiß, was er will. Lizaveta Volkava (Sopran) überzeugt als Gräfin nicht nur bei der ausdrucksvollen Cavatina „Porgi amor“ zu Beginn des zweiten Aktes, deren Es-Dur hier fast schon geheimnisvoll wirkt. Aline Quentin (Sopran) trifft als Cherubino den jugendlich blühenden Ton auch bei der Arie „Non so piu cosa son, cosa faccio“ genau. Der Verwirrung in Es-Dur sind keine Grenzen gesetzt. Johanna Pommranz (Sopran) überzeugt als Susanna vor allem bei der Gartenarie in F-Dur, die kunstvoll Figaros Cavatina „Se vuol ballare“ aufgreift. In weiteren Rollen gefallen ferner Elena Tasevska (Mezzosopran) als Marzellina, Gabriel Fortunas (Bass) als Arzt Bartolo in Sevilla, Leopold Bier (Tenor) als Musiklehrer Basilio und Richter Don Curzio, Dominika Majdanova (Sopran) als Antonios Tochter Barbarina sowie Lukas Krimmel (Bass) als Gärtner Antonio und Onkel der Susanna. Der Chor der Landleute, Bäuerinnen und Diener ist mit Seda Argut, Ellen Avenmarg, Bianca Deli, Merle Fuhr, Dilara Güldiken, Aiyana Martinez Schatz, Stefanie Mass, Rachel Silverman, Lena Winter, Till-Severin Anders, Maurice Drautz und Luka Tepsic opulent besetzt.

Mozarts Welttheater gewinnt dadurch deutliche Kontur in dieser interessanten Koproduktion des Theaters Heilbonn mit dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn und der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart.  Suggestiv wirkt zudem das Fandango-Ballett in der Choreografie von Eric Rentmeister, wo die spanischen Effekte fast ironisch aufs Korn genommen werden. Eine gewisse Nähe zu Glucks Don-Juan-Ballett ist hier nicht zu überhören.  Der Zauber der nächtlichen Suchszene kommt bei dieser Aufführung nicht nur szenisch, sondern auch musikalisch voll zur Wirkung. Wie bei der Ouvertüre die Motive den Quintraum durchmessen und zuletzt über ihn hinausdrängen macht der Dirigent Motonori Kobayashi mit dem fulminant musizierenden Württembergischen Kammerorchester Heilbronn sehr gut deutlich. Man kann verstehen, warum das Meisterwerk in Wiener Adelskreisen als problematisch empfunden wurde. Trotzdem hat es Kaiser Joseph II. letztlich freigegeben. Die sexuelle Ausnutzung der Untertanen durch die Herren wird bei dieser Aufführung vor allem musikalisch als reizvolles Zusammenspiel heterogener Kräfte deutlich. Aus dieser harmonischen Architektur kann bei der Interpretation durch Motonori Kobayashi eigentlich kein Takt herausfallen. Die Kräfte des Heiteren und Tänzerischen triumphieren ebenfalls. Barbarinas Suche nach der Nadel in f-Moll  sowie das Brief-Duett Susannas mit der Gräfin stehen musikalisch eng beieinander. Der Zauber des nächtlichen Gartens wird im sordinierten Klang der Streicher in geheimnisvoller Weise sichtbar. Und die pastorale Sechsachtel-Bewegung gewinnt starke Intensität. Figaros „Non piu andrai“ gipfelt im Tempo eines Geschwindmarschs in den Fagotten,  Oboen und Hörnern. Und das Pizzicato der Streicher unterstreicht deutlich Cherubinos an die Frauen gerichtete Kanzone. Den Wechsel der Motive erfasst der Dirigent bei dieser Aufführung genau. Die immer wieder wechselnd ineinandergreifenden Kompositionsebenen offenbaren die unglaubliche Beweglichkeit der einzelnen Klangkonstellationen. Der Impuls der Spontaneität gipfelt hierbei in immer neuen kontrapunktischen Verstrickungen. Begeisterung, Jubel für alle Beteilgten.

Alexander Walther

 

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