Premiere: Gastspiel „Die Italienerin in Algier“ von Gioacchino Rossini mit dem Pfalztheater Kaiserslautern im Theater am 23.3.2022/HEILBRONN
Sprühende Buffo-Laune
Foto: Marco Piecuch
„Ich weiß, wie man Männer zähmt“. Das glaubt man der gewieften und feurigen Italienerin Isabella gerne, die aufgrund eines Schiffbruchs nach Algier gekommen ist, um ihren früheren Freund Lindoro zu suchen, den sie schließlich findet. Dabei nutzt sie die grenzenlose Verliebtheit Mustafas aus, der als „Geisel der Frauen“ sein Unwesen treibt. Denn dieser ist seiner sanften Gattin Elvira überdrüssig, er hat statt dessen Verlangen nach einer leidenschaftlichen Italienerin. Dieser Wunsch wird ihm aber nur zum Schein erfüllt, denn Isabella nutzt seine grenzenlose Verliebtheit nur aus, um alle europäischen Sklaven (einschließlich Lindoro) aus den Klauen Mustafas zu befreien. Mustafa hat Isabellas Begleiter Taddeo sogar zum Statthalter ernannt – und er selbst wird in die kuriose Gemeinschaft der „Pappataci“ aufgenommen, deren Ordensregeln in Essen, Trinken, Nichtstun und Schlafen bestehen. Mustafa gibt sich auch in der subtilen Inszenierung von Andreas Baesler dieser Beschäftigung mit solchem Eifer hin, dass er gar nicht merkt, wie er für dumm verkauft wird. Hier meint man sogar, dass Rossini das spätere Scheitern seiner Ehe mit der berühmten Sängerin Isabella Colbran vorausgeahnt hat. So erreicht Isabella letztendlich ihre und aller europäischen Sklaven Befreiung. Mustafa ist die ganze Sache zuletzt egal, weil er begreifen muss, dass einer klugen Frau nichts unmöglich ist.
Foto: Marco Piecuch
Im Bühnenbild von Hartmut Schörghofer und in den Kostümen von Anke Drewes werden ganz bewusst Brücken zu unserer Gegenwart geschlagen. Man sieht eine karge Industrielandschaft und nimmt Container wahr, auf denen „Rossini & Co.“ steht. Handys werden zu eifriger Kommunikation benutzt, und das Fernsehen zeigt sogar erotische Filmszenen mit Sophia Loren und Marcello Mastroianni. Da darf eine exotische Palme nicht fehlen. Zum Zirpen der Grillen erkennt man schließlich das Weltall mit gewaltigen Sternschnuppen – und auch die bunten Attrappen tragen zur ironisch-satirischen Zuspitzung bei. Nicht jeder Einfall dieser Inszenierung ist geglückt – und doch gelingt es Andreas Baesler hier immer wieder, einen großen dramaturgischen Bogen zu spannen sowie Handlung und Musik sinnvoll miteinander zu verbinden.
Noch besser wie die Inszenierung gelingt es jedoch dem umsichtigen Dirigenten Anton Legkii zusammen mit dem dezent musizierenden Orchester sowie dem von Gerhard Polifka sorgfältig einstudierten Herrenchor des Pfalztheaters Kaiserslautern, die kunstvollen thematischen Zusammenhänge dieser von Rossini im Alter von 21 Jahren geschriebenen Partitur offenzulegen. Der perlende Zauber der Harmonik und der große Kantilenenreichtum blühen hier immer wieder auf. Und dabei sind noch Verfeinerungen in der Klangbalance möglich, die zuweilen aus dem Gleichgewicht gerät. So kommt der „Schwan von Pesaro“ zu seinem Recht. Dies zeigt sich vor allem bei der fabelhaften Interpretation der Partie Isabellas durch Lamia Beuque, die auch den enormen Klangfarbenreichtum dieser Rolle ausgezeichnet verdeutlicht. Auch Mustafa ist mit dem robusten Bassisten Marcell Bakonyi hervorragend besetzt. So kann sich die geradezu sprühende Laune der buffonesken Szenen des Pappataci-Terzetts bestens entfalten. Die Installation des Kaimakam und das rasant dargebotene Quartett im zweiten Akt gewinnen ebenfalls starke Intensität. Die rasenden Tempi und berühmten Crescendi lassen dabei nichts zu wünschen übrig. Die übrigen Gesangspartien sind mit Ines Vinkelau als Elvira, Rosario Chavez als Zulma, Bartolomeo Stasch als Haly, Milos Bulajic als Lindoro sowie Daniel Böhm als Taddeo ebenfalls überzeugend besetzt.
Die atemlos hereinbrechenden Themen und selbstbewusst-vorwärtsdrängenden Melodien werden von diesem gut aufeinander abgestimmten Ensemble facettenreich erfasst. Prickelnde Rhythmen und spannungsreiche Ostinati lassen das harmonische Geschehen in geradezu elektrisierender Weise Revue passieren. Und auch die ariosen Passagen werden dabei immer wieder ausdrucksstark beleuchtet. Zu weiteren musikalischen Höhepunkten gehören bei dieser Aufführung die aufwühlend dargebotene Kavatine des wiedergeliebten Geliebten Lindoro, das vor Spielwitz sprühende Duett zwischen Lindoro und Mustafa sowie Isabellas Arie „Per lui che adoro“, wo die elegant-brillanten Passagen eine gewisse Koketterie nicht verbergen. Lamia Beuque verfügt in jedem Fall über eine enorme gesangliche Beweglichkeit, die die Ausdruckstiefe und unglaubliche Grazie dieser Musik mit feiner Magie erfasst. Orientanklänge wecken sogar Assoziationen zu Mozarts „Entführung aus dem Serail“. Chromatische Bewegungen und Modulationen korrespondieren mit opulenter Parlandokunst und einem Belcanto-Blumenstrauß. So gab es zuletzt Jubel und verdiente „Bravo“-Rufe für dieses bemerkenswerte Ensemble.
Alexander Walther