Copyright: Pfalztheater Kaiserslautern/ Brenner
Premiere von Giuseppe Verdis „La Traviata“ am 20.2.2020 mit dem Pfalztheater Kaiserslautern im Theater/HEILBRONN
EINE SELBSTBESTIMMTE FRAU
Die Inszenierung von Rene Zisterer will Violetta Valery nicht als Opfer, sondern als selbstbestimmte Frau zeigen. Die Entschleierung gesellschaftlicher Verhältnisse tritt hier deutlich hervor. Im schlichten Bühnenbild von Agnes Hasun und den recht einfallsreichen Kostümen von Marcel Zaba erscheint Violetta Valery dabei als sehr jugendlich wirkende Edelkurtisane, die mit Herren aus den höchsten Kreisen verkehrt. Alles, was Rang und Namen hat, feiert mit ihr auf einem Ball, zu dem sie eingeladen hat. Als ihr der junge Alfredo Germont vorgestellt wird, verliebt sie sich in ihn. Dies geschieht allerdings zum Missfallen ihres aktuellen Liebhabers Baron Douphol. Trotzdem werden Alfredo und Violetta ein Paar und ziehen zusammen. Eines Tages erhält Violetta Besuch von Alfredos Vater, der von ihr verlangt, wegen der Familienehre auf den Sohn zu verzichten.
Diese Szene wird in der Inszenierung mit glaubhafter Personenführung wirkungsvoll herausgestellt. Schweren Herzens willigt Violetta ein, zumal sie weiß, dass sie an einer tödlichen Tuberkulose leidet. Sie hinterlässt Alfredo einen Brief, in dem sie behauptet, in ihr altes Leben zurückkehren zu wollen. Auf einem Ball trifft Alfredo sie in den Armen ihres früheren Liebhabers und beschimpft sie als Hure. Als Giorgio Germont seinem Sohn später seine Intrige gesteht, ist es bereits zu spät. Violetta stirbt.
Die kahlen Quadern des Bühnenbildes unterstreichen hier die triste Seelenlandschaft. Im Hintergrund sieht man einmal sogar die Weite des Meeres, was eine recht melancholische Aura hinterlässt. Im Kontrast hierzu stehen die durchaus glamourösen Ballszenen, die das gesellschaftliche Leben karikieren. Stellenweise könnten diese Kontraste auch noch stärker herausgearbeitet werden. Der Gegensatz von Öffentlichkeit und Intimität tritt insbesondere im dritten Akt hervor, wo Violetta Valery bereits todkrank im Bett liegt. Es ist erstaunlich, dass Verdi diese Oper in nur 45 Tagen schrieb, nachdem er „Die Kameliendame“ von Alexandre Dumas dem Jüngeren 1852 gesehen hatte. Dumas verarbeitete darin seine Affäre mit der Edelkurtisane Marie Duplessis, die an Tuberkulose gestorben war.
Uwe Sandner dirigierte das Orchester des Pfalztheaters Kaiserslautern sehr einfühlsam. Furios geballte Dramatik stand dabei neben dem verhaltenen Seelengemälde mit zarter Tönung. Der unbeugsame Formwillen dieses Meisterwerks wurde bei der Premiere sehr schön herausgearbeitet. Dies kam auch den Sängerinnen und Sängern zugute, die sich im Ensemble gut entfalten konnten. Die Orchestervorspiele zum ersten und dritten Aufzug zeigten bei dieser Wiedergabe einen geradezu durchsichtigen harmonischen Glanz, der sich immer weiter verfeinerte. Violettas Schicksalsmotiv und Alfredos Liebesmelodie wurden von Irina Simmes und Angelos Samartzis ausgezeichnet betont. So traten die wesentlichen thematischen Bindungen in leidenschaftlicher Weise hervor. In weiteren Rollen überzeugten aufgrund feiner Charakterzeichnung Polina Artsis als Flora Bervoix, Monika Hügel als Annina, Nikola Diskic als fulminanter Vater Giorgio Germont, Tae Hwan Yun als Gastone und Daniel Böhm als markanter Baron Douphol. Eindringliche Konturen in der Rollengestaltung besaßen ferner Kihoon Han als Marquis d’Obigny, Bartolomeo Stasch als Doktor Grenvil, Hyeong-Joon Ha als Gast bei Flora und Alexandru Popescu als Dienstmann. Chor und Extrachor des Pfalztheaters unter der energischen Leitung von Gerhard Polifka agierten mit starker voluminöser Strahkraft. Die Musik beleuchtete hier deutlich mit einem Objektiv die Geschichte – einmal in Großaufnahme in Violettas Scena ed Aria am Ende des ersten Aktes, ein anderes Mal etwas kleiner bei Alfredos Trinklied „Libiamo ne‘ lieti calici“. Irina Simmes‘ Koloraturen blitzten dabei ebenso hochvirtuos hervor wie Angelos Samartzis‘ strahlkräftige Kantilenen. Und bei Gastons Stierkämpferlied „E Piquillo un bel gagliardo“ auf Floras Fest im zweiten Akt geriet die Szene sogar in einen elektrisierenden Sog, der das gesamte Ensemble erfasste.
Uwe Sandner bewies als umsichtiger Dirigent hier besonderes Profil. Das Schema der dynamischen Steigerung stand bei dieser Interpretation stets im Mittelpunkt. Angelos Samartzis‘ ungemein höhensichere Tenorstimme wechselte bei der Deklamation zwischen Erzählton und pathetischem Vortrag, als er dem Publikum von seinem Glück mit Violetta erzählte. Der Cantabile-Charakter der Arie trat dabei zusammen mit einem facettenreichen Sechzehntelpizzicato hervor. Und auch in den hohen Streichern wurde die innere Glut dieser feinnervigen Musik nuancenreich nachgezeichnet. Der bedrohliche Achtel-Rhythmus in den Bässen gipfelte zuletzt im Fortissimo der punktierten Achtel im Orchester, wobei sich die Tenorstimme klanglich stets überzeugend durchsetzen konnte. Dies galt selbstverständlich auch für die chromatische Melodieführung. Das Miterleben mit der Melodie stand bei dieser Interpretation glücklicherweise stets im Mittelpunkt. Irina Simmes gelang der Ausbruch „Amami, Alfredo“ am Ende ihres letzten Gesprächs mit Alfredo sehr leidenschaftlich. Uwe Sandner achtete hier als Dirigent auf einprägsame Strukturen. Dass die zahlreichen melodischen Wendungen bei diesem Werk untereinander verwandt sind, machte Sandner mit dem Ensemble ebenfalls in präziser Weise deutlich. Der walzerartige Zauber des Pariser Nachtlebens entfaltete dabei eine starke Intensität. Verdi weigerte sich übrigens, die Geschichte der Edelprostituierten in die moralisch weniger bedenkliche Zeit des Ancien Regime zurückzuverlegen, wie es die venezianische Theaterleitung verlangte. Für das gesamte Ensemble gab es zuletzt begeisterte Beifallsstürme.
Alexander Walther