„Orlando“ von Georg Friedrich Händel im Theater Heilbronn
FURIOSE KOLORATUREN
Händels „Orlando“ als Koproduktion mit der Stuttgarter Musikhochschule am 18. 3. 2017 im Theater/HEILBRONN
Orlando: Johanna Pommranz, Konstantin Krimmel, Owen Willets, Sara Maria Saalmann, Lisbeth Rasmussen Juel. Copyright: Thomas Braun
„Orlando“ ist Händels Oper mit den meisten Accompagnato-Rezitativen und einer rasanten melodischen und rhythmischen Entwicklung, der der Regisseur Axel Vornam in seiner Inszenierung Rechnung trägt (Bühne und Kostüme: Tom Musch; Video: Nikolai Stiefvater). Das „Gloria Hotel“ steht hier szenisch im Mittelpunkt, in dem die schöne Angelica den scheinbar verwundeten Medoro gesund pflegt. Immer wieder dreht sich das seltsame Rondell dieses Hotels, gibt dann den Innenraum mit der „Rezeption“ frei. Später werden die Beschriftungen und Schilder des „Gloria Hotels“ grell aufleuchten, um die verwirrende Situation noch weiter zu steigern. Es gibt sogar Video-Aufnahmen vom Syrien-Krieg um Aleppo zu sehen. Zeitbezüge sind gewollt. Wir befinden uns eben auf den Schlachtfeldern des Krieges, wo Orlando schon so manchen Sieg davon getragen hat.
Er hat sich nun aber in Angelica verliebt, das wird in der Inszenierung mächtig deutlich. Diese Liebe überwindet Grenzen und ändert alles. Er vergisst seine Verpflichtungen als Kämpfer. Angelica liebt jedoch heimlich Medoro und möchte ihn trotz seines niederen Standes heiraten. Doch auch Dorinda ist in Medoro vernarrt, kann aber akzeptieren, dass Angelica und Medoro wirklich füreinander geschaffen sind. Diese Erkenntnis löst bei Orlando rasende Eifersucht aus. Dieser Wahn wird für alle Beteiligten unberechenbar und gefährlich, was sich auch bei der psychologisch geschickten szenischen Zuspitzung in der Inszenierung von Axel Vornam andeutet. Es regnet plötzlich rote Konfetti. Zoroastro sorgt daraufhin als eine Art Deus ex machina für ein Happy End, indem er Angelica und Medoro vor Orlando in Sicherheit bringt. Und zuletzt rieselt winterlicher Schnee herab.
Musikalisch ist diese Aufführung mit dem vorzüglichen Württembergischen Kammerorchester Heilbronn unter der souveränen Leitung des Barock-Spezialisten Michael Form ein wahres Freudenfest. Vor allem die furiosen Koloraturen des britischen Counter-Tenors Owen Willetts sorgen immer wieder für ein rasantes chromatisches Feuerwerk, das sich ständig zuspitzt. Johanna Pommranz gestaltet die Dorinda mit zarten melodischen Figurationen und einem präzisen Siciliano-Rhythmus. Auch der dezente Bordun-Bass bildet dabei eine reizvolle Begleitung zum pastoralen Hintergrund für die Nachtigall, die facettenreich von der Geige zur Stimme und wieder zurück wechselt. Insgesamt gesehen gelingt es den jungen Talenten der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart sehr gut, crescendo und decrescendo auf einer einzigen Tonhöhe zu singen und auch die dynamische Balance zu halten. Dies zeigt sich ebenso bei der weich timbrierten Sara-Maria Saalmann als Angelica, die eine große Palette an Emotionen aufzuweisen hat. Lisbeth Rasmussen Juel gestaltet Medoro mit vielen klangfarblichen Nuancen und Facetten, die sich immer weiter verfeinern und variieren. Konstantin Krimmel stellt Zoroastro mit klarer Akzentuierung und langgehaltenen Tönen dar, die den melodischen Fluss ungemein beschleunigen. Elisabeth Baranzew zeigt als Isabella leuchtkräftige Spitzentöne ohne gesangliche Blässe.
„Orlando“ entstand übrigens 1732/1733 für die vierte Saison der New Royal Academy of Music, die Georg Friedrich Händel leitete. Er bedient sich hier aus der fantastischen Ritterepik von Ludovico Ariostos „Orlando furioso“ aus dem Jahre 1516. Die sechs Opern-Terzette werden von Michael Form, den fulminanten Sängern und dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn mit nie nachlassender Energie forsch betont. Hervorragend gestaltet Owen Willetts die große Wahnsinns-Szene am Ende des zweiten Aktes mit dem raschen Wechsel von Arien und Accompagnato-Teilen. So prägt sich die reiche Charakterisierungskunst bei der Arie „Vaghe pupille“ stark ein. Im Fünfachteltakt zeigt sich die Zersetzung von Orlandos Geist und seiner ungeheuren emotionalen Verwirrung. Der Wahnsinn wird hier musikalisch in den schillerndsten Farben beschworen. Funkelnde kontrapunktische Verästelungen, Arabesken, Girlanden und Kaskaden lassen das Publikum hier nicht zur Ruhe kommen. Michael Form besitzt als Dirigent die Gabe, die klanglichen Schönheiten dieser bedeutenden Partitur in beglückender Weise zum Klingen und Leuchten zu bringen. Die dynamische Gliederung wird zwar von einem starken „Espressivo“ beherrscht, doch Michael Form vermeidet glücklicherweise unnötige Temposchwankungen. So kommt es nie zur Romantisierung – es triumphiert der reine Barock-Klang in eindringlicher Weise. Händel spricht als magischer Tonkünstler unmittelbar zu uns. Die Darsteller agieren hier nicht nur, sondern reagieren unmittelbar auf die sich überstürzenden Ereignisse. Dadurch wird die starre Folge von Rezitativen und Arien aufgehoben. Und die Form der da-capo-Arie mit ihrer ABA-Struktur hält den Fluss der Emotionen deswegen nicht an. Die Durchsichtigkeit und Klarheit von Händels Musik sticht dadurch grell hervor.
Großer Jubel für alle Beteiligten.
Alexander Walther