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HEILBRONN/Gastspiel Theater Heidelberg: LULU – Gefährliches Spiel mit der Liebe

19.02.2022 | Oper international

Premiere: Theater Heidelberg gastiert mit Alban Bergs „Lulu“ am 18.2.2022 im Theater/HEILBRONN

Gefährliches Spiel mit der Liebe

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Jennifer Lary. Foto: Theater Heidelberg

„Keine andere Musik aus unserer Zeit ist so menschlich wie die von Berg, und davor erschrecken die Menschen“, schrieb Theodor W. Adorno über Alban Bergs unvollendet gebliebene Oper „Lulu“ nach den Tragödien „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ von Frank Wedekind, die ihre vollständige Uraufführung erst 1979 in Paris erlebte. In Heilbronn war nun die zweiaktige Fassung in einer Gesamtbearbeitung von Eberhard Kloke für Soli und Kammerorchester zu erleben. Im Gegensatz zur Fassung von Friedrich Cerha (der ja den dritten Akt vollendete) lebt diese Version von der Detailarbeit der einzelnen Instrumente, die oftmals noch genauer wie vorher zu hören sind.

In der subtilen Inszenierung von Axel Vornam  (Bühne: Tom Musch; Kostüme: Cornelia Kraske) spielen optische Visionen eine große Rolle. Man sieht  Lulus Erscheinung wie in einem imaginären Bilderrahmen, der sich ständig erweitert. Ansonsten erinnert viel an das Ambiente der Stummfilmzeit in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Eine deutsche Großstadt, Paris und London werden im großbürgerlichen Ambiente sichtbar, Drehtüren machen den Blick auf einen obskuren Hintergrund frei. Lulu erscheint tatsächlich als die „Urgestalt des Weibes“, die bereit ist, ihre Umgebung vollkommen zu verführen – Frauen wie Männer. Alle sind von ihr hingerissen. Sie entkommt dank ihrer Schönheit dem sozialen Elend. Um gesellschaftlich aufzusteigen, spielt sie allerdings ein gefährliches Spiel mit der Liebe, das letztendlich eskaliert. Lulu, die Frau des Medizinalrats Doktor Goll, betört einen Kunstmaler. Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes wird sie die Frau dieses Malers, den sie kurze Zeit später aufgrund ihrer Untreue in den  Selbstmord treibt. Am Ziel ihrer Wünsche ist sie aber erst als Ehefrau des Chefredakteurs Doktor Schön, den sie schließlich in einer Panikreaktion erschießt. In suggestiven Video-Sequenzen von Stefan Bischoff sieht man, wie Lulu im Gefängnis ein klägliches Dasein fristet. Das sind eindringliche Passagen, die deutlich an einen Stummfilm erinnern. Mit Alwa, dem Sohn Doktor Schöns, geht sie nach ihrer Entlassung nach Frankreich. Durch Vermittlung der lesbischen Gräfin Geschwitz war sie aus dem Zuchthaus befreit worden. Vom dritten Akt erklingt zuletzt nur noch das Ende. Man sieht in einem unheimlichen Rundgang Männer mit verzerrten Masken, die den Lustmörder Jack the Ripper darstellen, dem Lulu als Prostituierte in London schließlich zum Opfer fällt. Stark ist das Schlussbild, wo die ebenfalls von Jack tödlich getroffene Gräfin Geschwitz von der Empore herab verkündet: „Lulu! Mein Engel! Lass dich noch einmal sehen! Ich bin dir nah! Bleibe dir nah – in Ewigkeit!“

Insgesamt kann man sagen, dass es Axel Vornam gelungen ist, einen elektrisierenden dramaturgischen Bogen zu spannen. Manche Passage könnte hier auch noch unmittelbarer und direkter sein. Unter der einfühlsamen Leitung des kurzfristig eingesprungenen Dirigenten Hartmut Keil musizierte das Orchester des Theaters Heidelberg wie aus einem Guss, wobei die geschlossenen musikalischen Formen sehr gut zu Gehör kamen. Das „Poco Adagio“ des kanonischen Duetts, in dem der Maler Lulu umwirbt, sowie der melodramatische Auftritt des Medizinalrats stachen leuchtkräftg hervor. Es gelang Hartmut Keil mit dem Orchester an diesem Abend auch, den menschlichen und humanen Impetus der Musik von Alban Berg zu betonen, der die Zwölftontechnik ja mit der Spätromantik verbunden hat. Lulus Monolog an der Leiche des Malers in Form einer „Canzonetta“ gestaltete die Sopranistin Jenifer Lary in der Titelrolle höcht virtuos und verführerisch. Auch die chromatischen Motive beim Auftritt des Asthmatikers Schigolch sowie die Entfaltung eines einzigen Rhythmus vom Grave bis zum Prestissimo beim Gespräch Schöns mit dem Maler gerieten ausserordentlich expressiv. Ragtime und English Waltz sorgten im dritten Bild für viel Schwung. Die ostinate Rhythmik und die ständige Beschleunigung der Harmonik  bei der Entdeckung der Leiche des Malers spitzten sich hier immer mehr zu, ließen den Sängerinnen und Sängern aber auch genügend Freiraum. Thematische und satztechnische Spitzfindigkeiten zeigten zudem bei den plastisch gestalteten Leitmotiven eine starke Wirkung, die immer mehr zunahm.  Das Klavier für den Athleten und das Saxophon für Alwa erreichten eine ungeahnte Intensität. Die Pentatonik des Athleten wurde von den Quinten der Gräfin Geschwitz  ergänzt, die von der Altistin Zlata Khershberg differenziert interpretiert wurde. Durchführung und Reprise im Stil einer „Sonate“ gipfelten im Dialog von Lulu und Doktor Schön. Fanfaren für den Gymnasiasten und massive Klavierakkorde für  Rodrigo wurden mit bunten Klangfarben bereichert. James Homann gestaltete mit markantem Bariton Doktor Schöns fünfstrophige Arie. Und Jennifer Lary brillierte nochmals bei Lulus berühmtem Koloraturlied. Alwas Liebesbekenntnis geriet zu einem geradezu hymnischen Rondo. Die Sängerriege konnte sich wirklich hören lassen. Klassizistische Tendenzen durch Vereinfachung der rhythmischen Struktur blitzten leuchtkräftig hervor. Das Schichtendenken der polymetrischen Konstruktionen kam auch in der Kammermusikfassung deutlich zum Vorschein.

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Foto: Theater Heidelberg

In weiteren Rollen überzeugten Marta Swiderska als Theatergardobiere und exaltierter Gymnasiast, Wilfried Staber als Medizinalrat und keuchender Schigolch, Joao Terleira als Maler, Corby Welch als Alwa, Ipca Ramanovic als Tierbändiger und Athlet, Ewandro Stenzowski als Prinz und Kammerdiener, Woo Kyung Shin als Theaterdirektor sowie Matthias Jaegg als Bühnenarbeiter.

Viel Applaus und „Bravo“-Rufe für das Philharmonische Orchester Heidelberg und das gesamte Ensemble. 

Alexander Walther

 

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