Heibronn: Puccinis „Madama Butterfly“ mit dem Staatstheater Meiningen im Theater Heilbronn am 24.1.2025
Wie von einem anderen Stern
Copyight: Christina Iberl
In der Regie von Hendrik Müller wird die Handlung gleich zu Beginn in die Zukunft versetzt. Da erscheint plötzlich der Marineleutnant der USA Pinkerton als Astronaut, der auf der Erde landet und die amerikanische Flagge hisst. Im Bühnenbild von Marc Weeger ist dies aber nicht der beste Einfall dieser Inszenierung. Die Handlung spielt weitgehend im und auf dem Haus, das Pinkerton mit Hilfe des Heiratsvermittlers Goro in Nagasaki erwirbt. Er geht eine Ehe auf Zeit mit der Geisha Cio-Cio-San ein, die alles sehr ernst nimmt und sich mit Pinkerton eine glückliche Zukunft erhofft. Packend erscheint auch jene Szene, wo Cio-Cio-San von ihrer Familie und dem Onkel Bonzo verflucht wird. Die Tristheit des zweiten Aufzugs wird in der Inszenierung ebenfalls sehr gut herausgearbeitet. Denn Pinkerton ist längst nach Amerika zurückgekehrt – und „Butterfly“ Cio-Cio-San und ihre Dienerin Suzuki leben in völliger Abgeschiedenheit. Fürst Yamadori wirbt vergeblich um Butterfly, die ihn spöttisch darauf hinweist, dass sie schon eine amerikanische Ehefrau sei. Eine neue Sichtweise findet Hendrik Müller für den dritten Aufzug, wo Butterfly mit Pinkertons amerikanischer Frau konfrontiert ist, die ihr den Sohn wegnehmen will. Hier hat Pinkerton mit seiner Frau Kate wegen Cio-Cio-San auch heftige Auseinandersetzungen, die stärker ins Gewicht fallen als bei anderen Inszenierungen.
Obwohl die Bühne aufgrund der Buntheit oft überladen wirkt, gelingen hier trotzdem Momente berührender Intimität und Schlichtheit. Das Kind der Butterfly ist allerdings eine Puppe, was manchmal etwas befremdlich wirkt. Trotzdem zeichnet Müller die heftige Dramatik des Geschehens in überzeugender Weise nach, gerade weil er auf Historismus und Realismus keinen besonderen Wert legt. Die Figuren werden eher plakativ gegenübergestellt: Amerika gegen Japan, Barbie und Ken gegen den japanischen Kaiserschmetterling. Hendrik Müller möchte als Regisseur mit der Butterfly mitleiden. Es wird aber auch deutlich, dass sie sehr stark auf sich fixiert ist. Es ist Suzuki, die es Cio-Cio-San ermöglicht, ihren obsessiven Traum weiterzuleben. Trotzdem ist Butterfly ihr gegenüber aggressiv. Und Konsul Sharpless wird über ein sexuelles Verhältnis mit Suzuki verbunden. Müller hat sich an einer Welt orientiert, die im Begriff ist unterzugehen. Die Architektur wird von der Natur zurückerobert. Cio-Cio-Sans Kopfkino steht im Mittelpunkt. Man sieht auch ihr Bild auf der riesigen Leinwand und hört ihre Stimme, wenn sie verzweifelt auf Pinkerton wartet. Man denkt hier an verlassene Städte und Industrieanlagen. Das schillernd-virtuelle Traum-Setting beherrscht die Szene bis zum Schluss. Die Handlung wird dann durch den Selbstmord Cio-Cio Sans mit dem Dolch ihres Vaters gleichsam zerrissen. Das farblich opulente Bildangebot fesselt bei dieser Schlussszene am meisten. Da sieht man in riesiger Vergrößerung das blutüberströmte Gesicht der Butterfly, vor der Pinkerton erschüttert zusammengebrochen ist. Die Kostüme von Katharina Heistinger sind ausgesprochen fantasievoll und exotisch gestaltet.
Copyight: Chritina Iberl
Musikalisch gelingen bei dieser Aufführung bewegende harmonische Bilder. Der einfühlsame Dirigent Kens Lui arbeit mit der Meininger Hofkapelle das exotische Flair von Puccinis Musik glaubwürdig heraus, ostasiatische Momente der Melodik stechen in berührender Weise hervor. Beim Übergang vom zweiten zum dritten Akt kommt die Stimmung des Wartens in der auf fünf Tonstufen der Pentatonik aufgebauten Musik mit den Stimmen des Chors in eindrucksvoller Weise zur Geltung, wobei die klangmalerische Eindringlichkeit nicht nachlässt. Dies gilt insbesondere für die ausgezeichnete Gestaltung Cio-Cio-Sans durch die wandlungsfähige Sopranistin Cecilia Eguiarte Guevara, die das italienische Opernmelos glanzvoll zum Leuchten bringt. Auch auf die einzelnen Motive legt Kens Lui als Dirigent großen Wert. Dies gilt nicht nur für die japanische Nationalhymne „Kimi ga yo“, die kurz anklingt, sondern vor allem auch für das Nagasaki-Motiv mit dem Episoden-Rhythmus. Der Fugato-Charakter blitzt ebenfalls leuchtkräftig hervor, denn „Madama Butterfly“ fängt ja mit einer schmalen Fuge gleich zu Beginn an. Überhaupt überzeugt die Verarbeitung japanischer Elemente bei dieser Aufführung einmal mehr. In weiteren Gesangsrollen fesseln Marianne Schechtel als Suzuki, Yerim Park als Kate Pinkerton, Matthew Vickers als leuchtkräftiger Pinkerton und Shin Taniguchi als undurchsichtiger Sharpless. Tobias Glagau kann als Heiratsvermittler Goro überzeugen. Raphael Hering gibt einen fast unnahbaren Fürsten Yamadori, während Selcuk Hakan Tirasoglu als Priester Bonzo sehr robust auftritt. Außerdem gelingen weitere Rollenporträts mit Sang-Seon Won als Kaiserlicher Kommissar, Elizaveta Antipova als Mutter Cio-Cio-Sans, Hyeyoung Kim als Tante Cio-Cio-Sans und Aisling McCarthy als Cousine Cio-Cio-Sans. Der Chor des Staatstheaters Meiningen liefert immer wieder berührende gesangliche Momente. Ein großer Pluspunkt bei dieser Interpretation ist, dass der Dirigent Kens Lui Puccinis abwechslungsreiche Instrumentation sehr gut zur Geltung bringt. Klingt ein Motiv mehrfach hintereinander, gibt ihm Puccini eine andere Instrumentation. Hörner und Trompeten markieren die Auftritte Pinkertons markant, während die weichen Klänge der Holzbläser die Auftritte Butterflys unterstreichen. Ihr wunderbares Melos wird von den leidenschaftlichen Geigen und vom vollen Orchester unisono beschworen. Bei Butterflys Verwandten, bei Yamadori und Goro heben Fagotte, Klarinetten und Oboe sehr deutlich den Buffocharakter hervor. Die blumigen Szenen blühen mit den Harfen in reizvollen Arabesken und Kaskaden auf, die das bunte Bühnenbild schmücken. So ergänzen sich Musik und visuelle Handlung trotz einiger Abstriche sinnvoll. Zuletzt viele „Bravo“-Rufe für Cecilia Eguiarte Guevara als Cio-Cio-San, begeisterter Beifall aber auch für das gesamte Team.
Alexande Walther