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HEILBRONN/ Gastspiel des Theaters Heidelberg: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER. „Die Militärakademie lässt grüßen“. Premiere

14.10.2016 | Oper

HEILBRONN: „Der fliegende Holländer“ von Richard Wagner im Theater Heilbronn mit dem Theater Heidelberg

DIE MILITÄRAKADEMIE LÄSST GRÜSSEN

Premiere von Wagners „Fliegendem Holländer“ mit dem Theater Heidelberg am 13. Oktober 2016 im Theater/HEILBRONN

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James Homann, Namwon Hu. Copyright: Annemone Taake

Dieses Gastspiel des Theaters Heidelberg offenbart ein Regietalent. Denn Lydia Steier ist es gelungen, die unheimlichen und gespenstischen Facetten dieses Meisterwerks spannend auf die Bühne zu bringen. Der durch einstigen Hochmut seit Jahrhunderten auf die Weltmeere verdammte „Fliegende Holländer“ ist hier in den dunklen Räumen einer trostlosen Militärakademie gefangen. Erst die Liebe einer Frau kann ihn erlösen. Da erscheint der norwegische Kapitän Daland, der nach schwerem Sturm in der Militärakademie gestrandet ist. Die Seeleute sitzen wie Schüler auf ihren harten Stühlen. Im Hintergrund sieht man eine amerikanische Flagge. Der Holländer lockt Daland mit ungeheurem Reichtum, der soll ihm die Hand seiner Tochter Senta versprechen. Lydia Steier gelingt es hier immer wieder, die komplizierten Handlungsfäden zu entwirren. Holländer und Senta sind zwei Außenseiter. Der Holländer ist in dieser Inszenierung ein schwer traumatisierter Mensch, der im Grunde genommen nicht verkraftet hat, was an Bösem in der Welt passiert. Er leidet ungeheuerlich. Und Senta hilft ihm, in dem sie sich der Gesellschaft radikal verweigert. Die Situation in der Elite-Militärschule wird immer problematischer und eskaliert zunehmend. Die Seeleute sehen sich das Kriegsgeschehen im Film an. Aber es gibt in dieser Gesellschaft keine Opposition. Alles Negative wird systematisch ausgeblendet. Es gibt eine regelrechte „Gleichschaltung“. Alle sind perfekt, schön, poliert und blond. Lydia Steier macht aber eindringlich deutlich, dass der Holländer den Krieg voll erlebt hat. Er hat die Bilder der Schlachtfelder mit den toten Körpern im Kopf, wächst zu dämonischer Größe heran (Bühne: Susanne Gschwender). Aber auch die Seeleute sehen sich die Kriegsszenen im Film an. Die Sehnsucht des Holländers nach einer Frau wird immer größer. Senta möchte den Holländer ebenfalls erlösen, er soll ihr aus der Enge ihrer kleinen Welt heraushelfen. Zuletzt hat er einen Totenschädel in der Hand. Skelettierte Leichen kommen auf ihn zu, alles erinnert an Hauffs „Gespensterschiff“. In einem Anfall größter Verzweiflung erschießt sich Senta. Im Hintergrund sieht man das gewaltige Meer, dessen Wellen in den Zuschauerraum zu dringen scheinen. Da hat Lydia Steier packende Bilder gefunden. Zwischen den heruntergerissenen Balustraden bricht der Holländer tot zusammen. Im Vordergrund sieht man den verzweifelten Erik, der seine Verlobte Senta vergeblich zu retten versuchte. Und es gibt noch andere auffallende Besonderheiten bei dieser ungewöhnlichen Inszenierung. Der Steuermann flieht nämlich gleich zu Beginn in panischer Furcht vor dem Holländer – und bei Sentas berühmter Ballade wird sie von den Spinnerinnen zunächst einfach ausgelacht. Dann verändert sich plötzlich die Szenerie, alles gerät in eine unheimliche Zeitlupe. Die Mädchen und Senta putzen wie besessen kleine Raketen, mit denen sie ihre Umwelt bedrohen. Der Krieg meldet sich auch hier. Senta, Erik und der Steuermann sind bei dieser psychologisch vielschichtigen Inszenierung Menschen, die überrollt werden von gesellschaftlichen Erwartungen, Regeln und Richtlinien. Dabei gibt es überhaupt keinen Raum für andere Meinungen. Die Sinnlosigkeit des Krieges erträgt Senta nicht. Nur den Holländer zu retten, gibt ihrem Leben und ihrem Tod einen Sinn. Auch Erik ist dabei ein Außenseiter, der mit seiner Umgebung nicht zurechtkommt. Er liest zuviel, ist zu intelligent. Es ist eine große Katastrophe für ihn, als Senta sich von ihm abwendet, als der Holländer kommt. Ihre Schattenseiten sind gleichsam der Negativspiegel der Gesellschaft. Sie sind die Projektionsflächen der anderen. Man hört das Meer in diesem Stück – das ist eine klare Intention der Regisseurin Lydia Steier. Die Marine erzieht hier nicht nur zum Krieg, sondern zum Menschen, was in teilweise drastischen Bildern zum Ausdruck kommt. Und mit dem Erscheinen des Holländers bricht gnadenlos die Welt der Toten herein. Die Kriegsbegeisterten werden alle wahnsinnig. Die blau-roten Militär-Kostüme von Gianluca Falaschi unterstreichen irgendwie die Absurdität des Krieges. Dies gilt ebenso für die Video-Einblendungen von Christoph Schödel.

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James Homann, Namwon Hu. Copyright: Annemone Taake

Chor und Extrachor sowie das Philharmonische Orchester Heidelberg unter der impulsiven Leitung von Dietger Holm musizieren und singen wie aus einem Guss. Chromatische Rückungen in den Bässen und der sich zur Oktave dehnende Holländerruf brennen sich hierbei unauslöschlich ins Gedächtnis. Tobende Affekte offenbaren sich immer wieder in überraschenden harmonischen Wendungen. Die brausende Fülle und das harmonische Gewand werden wiederholt grell und plastisch beleuchtet. Dabei geht auch die Transparenz nicht verloren. Vor allem herrscht ein großer Spannungsbogen, den der Dirigent Dietger Holm vom Anfang bis zum Ende durchzuhalten vermag. Die Wellen melden sich mit dröhnenden Rufen – und ein tief bewegender „Matrosenruf“ leitet den zweiten Abschnitt der Durchführung ein. Das Holländer-Thema richtet sich zuerst in As-Dur, dann in düsterem b-Moll in drohender Weise auf. Auch der balladenhafte Charakter des Werkes wird voll erfasst. Den rhythmischen Akzenten wünscht man gelegentlich sogar noch mehr Schärfe. Anklänge an Weber und Marschner unterstreicht Dietger Holm als Dirigent konsequent. Und die konzentrierte Verbindung und Verzweigung der thematischen Motive setzen sich facettenreich fort. Der unheimliche Klang des Holländermotivs mit den leeren Quinten prägt sich bei dieser Wiedergabe tief ein.

James Homann zeigt in der Rolle des Holländers außerdem erheblichen Klangfarbenreichtum und Ausdrucksvolumen, wobei seine Bariton-Stimme eher hell gefärbt ist. Das Erlösungsmotiv lichtet sich bei dieser Wiedergabe eindringlich von g-Moll zu B-Dur auf. Katrin Adel besitzt für die Rolle der Senta kraftvolle Spitzentöne, deren dynamische Kontraste und Intervalle leuchtend zum Vorschein kommen. Dies gilt vor allem für den glühenden Gesang der Ballade in g-Moll: „Johohoe! Johohoe! Hojohe!“ Die wichtige Wechseldominantspannung wird gut getroffen. und die Musik unterstreicht den erzählenden Wortcharakter dieses Strophenteiles bei der Wiedergabe einleuchtend. Überhaupt besitzt Holm viel Sinn für subtile Leitmotivtechnik. Beim dramatischen Monolog der Holländerarie agiert James Homann gesanglich durchaus beweglich („Die Frist ist um“). Eine leidenschaftliche Steigerung kommt beim Duett von Senta und Holländer zum Vorschein. Auch die punktierten Rhythmen des „Hochzeitsrufes“ formen sich hier nuancenreich zum Freuden-Thema, das von Holzbläsern und Hörnern in bewegender Weise getragen wird. Die „Ho-He“-Rufe im Orchester begleiten grell die jauchzenden Matrosenrufe.

Wilfried Staber stellt Daland mit sonorem Bass dar, wobei er sich den dunklen Klangfarben des Orchesters klug anzupassen vermag. Verzweiflung und Emotion stechen bei Winfrid Mikus als Erik hervor, der seinen Kantilenen glühende Intensität verleiht. Namwon Huh ist ein ausgezeichneter Steuermann, der seine Furcht vor dem Holländer stimmlich packend einsetzt. Und Barbara Link überzeugt als besorgte Amme Mary mit kernigem Mezzosopran, die das Mädchen Senta immer wieder aus ihrer schicksalhaften Verstrickung befreien möchte. Der Chor des Theaters Heidelberg gefällt bei dieser Aufführung aufgrund zupackender Dramatik und klarer Intonation. Anna Töller und Ines Kaun haben ihn sorgfältig einstudiert. Vor allem das Entsetzen von Dalands Matrosen beim Anhören des Geisterchores besitzt drastische Intensität. Und mit einem Forte-Schlag endet der Spuk. Das C-Dur-Format des Liedes „Steuermann, lass‘ die Wacht“ gerät spürbar ins Wanken, was Dietger Holm mit Chor und Orchester sensibel herausarbeitet. Das Suchen und Erfühlen spielt in der Partitur des „Holländers“ eine große Rolle – was der Dirigent Dietger Holm voll erfasst.

Ein Höhepunkt dieser Inszenierung ist der Schluss, wenn Senta sich mit „wütender Macht“ losreisst und ein Felsenriff erklimmt. Der strahlende D-Dur-Akkord bildet hierbei die leuchtende Vorstufe zur jäh abstürzenden Chromatik bei Sentas „Selbstmord“. Der dramatische Bogen endet im monumentalen Blechbläserklang der Schlussapotheose, wobei das Erlösungs-Motiv in G-Dur sich hymnisch behauptet. Dietger Holm achtet dabei als Dirigent vor allem auf die unterschiedlichen Stimmungsgrade im Orchester, er lässt es durchsichtig und ausgesprochen transparent musizieren. Gleichzeitig prallen die Gegensätze wuchtig aufeinander.

So erhielten alle Mitwirkenden zu Recht Jubel und tosenden Schlussapplaus.

Alexander Walther

 

 

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