ZUM 200. GEBURTSTAG VON JACQUES OFFENBACH AM 20. JUNI
Mit diesem Bildmotiv feiert Boosey & Hawkes · Bote & Bock, seit jeher als Musikverlag dem Komponisten verbunden, 200 Jahre Jacques Offenbach und zugleich 20 Jahre Offenbach Edition Keck OEK.
Verwendung mit freundlicher Genehmigung.
Internet: www.offenbach-edition.de
Gespräch mit dem Offenbach-Biographen Heiko Schon
Ein Pragmatiker mit Bauchgefühl
Von Renate Wagner
Herr Schon, Sie haben zum 200. Geburtstag von Jacques Offenbach ein ganz besonderes Buch herausgebracht. Wie kam es dazu – und wie haben Sie das Konzept gefunden?
Jacques ist „schuld“ daran, dass ich als Jugendlicher der „leichten Muse“ verfiel, denn „Blaubart“ und „Orpheus in der Unterwelt“ zählen zu meinen ersten Musiktheater-Erlebnissen. Seitdem stieß ich immer wieder auf seine Stücke, seinen Humor, sein musikalisches Genie. Vor etwa zweieinhalb Jahren fragte mich mein Verleger, ob ich für die Kölner Offenbach-Gesellschaft ein Buch zum Jubiläumsjahr schreiben möchte. Und ich wollte es, unbedingt. Fortan bestimmte Jacques meinen Alltag – er zog quasi bei mir ein. Abgesehen davon, dass mich eine klassische Biografie nicht gereizt hat: Mir standen weder die Zeit noch der Umfang zur Verfügung, um einer solchen überhaupt gerecht werden zu können. Während der Recherche kam mir dann die Idee mit der Sortierung in einzelne Themen. Außerdem fand ich kein Buch, in dem die vielen Bühnenstücke Offenbachs näher vorgestellt werden. Damit hatte ich meine Nische gefunden.
Genau das ist an Ihrem Buch so bemerkenswert: die Auflistung sämtlicher Offenbach-Werke, die es in dieser konzisen Form sonst nirgends gibt. Es scheint ja an sich wie eine unübersichtliche Überfülle, von der auch das Meiste in Vergessenheit geraten ist. Warum eigentlich, Ihrer Meinung nach?
Ich denke, dass es eines Tages zu einer richtig großen Offenbach-Renaissance kommen wird, denn in den Archiven und Kellern warten vermutlich noch Hunderte von Werken darauf, wiederentdeckt, erforscht oder rekonstruiert zu werden. Auffällig ist, dass überwiegend die Einakter von den Bühnen verschwunden sind, was aber durch Offenbachs Werdegang vorweggenommen scheint. Er komponierte diese einaktigen „opérettes bouffes“, weil ihm zunächst nur drei bis vier Bühnendarsteller (Herren und Damen) erlaubt waren. Die Komposition abendfüllender Werke, also „opéras bouffes“ und „opéras bouffons“, ist ihm erst mit dem Wegfall dieser Begrenzung möglich geworden. Und das sind überwiegend die Werke, die heute noch gespielt werden: „Orpheus in der Unterwelt“, „Die Großherzogin von Gerolstein“, „La Périchole“, „Die schöne Helena“ usw. Es gibt aber auch politische Gründe. Mit dem Untergang des Zweiten Kaiserreichs verschwand für Offenbach die Zielscheibe seines Spottes. Er musste sich neu orientieren und fing an, aufwendige Bühnenspektakel zu vertonen, so genannte „opéras féeries“, ein Vorläufer des Musicals. Oder denken Sie an die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts – der Erste und der Zweite Weltkrieg, dazu noch das Dritte Reich: Das war, um es vorsichtig auszudrücken, einfach nicht die Zeit, in der man die Musik eines jüdischen Wahlfranzosen und bekennenden Pazifisten spielte.
Ist Offenbach, ungeachtet seiner deutschen Herkunft, in diesen vielen kleinen Werken für unser Verständnis vielleicht zu französisch, zu schwankhaft, auch politisch zu zeitbezogen, dass wir hierzulande manchmal keinen Zugang finden können? Die Wiener Volksoper wird nächste Spielzeit „Le Roi Carotte“ versuchen. Lohnen sich Entdeckungsreisen in die Welt des „unbekannten Offenbach“?
Absolut. Ich gebe aber zu, voreingenommen zu sein, da ich eine generelle Schwäche für Raritäten habe. Schon allein, weil jedes Werk ein Dokument seiner Zeit ist, sind Ausgrabungen eine spannende Sache. Dabei ist es mir völlig schnurz, ob das Stück bei seiner Uraufführung erfolgreich war oder nicht. Hauptsache, man gräbt mit Lust und Leidenschaft. So wie jüngst am Theater für Niedersachsen, wo Adam Benzwi und Max Hopp mit der „Prinzessin von Trapezunt“ auf Gold gestoßen sind. Zur Belohnung gab’s ein volles Haus, tolle Kritiken und überregionales Interesse. Das wünsche ich auch der Volksoper, zumal der „Karottenkönig“ ein ganz großer Wurf Offenbachs ist. Der Zugang zu Jacques stellt sich ein, sobald man sich von seiner Musik mitreißen lässt und über seinen Humor lachen kann. Die meisten Einakter sind gut gebaute Stücke, die Situationskomik und Dialogwitz bereithalten. Man muss diese Dinge nur mit heutigen Mitteln erschließen. Das gilt erst recht für die politisch-gesellschaftliche Ebene der Offenbachiaden, die sich ohne Weiteres auf derzeitige Verhältnisse übertragen lässt. Die Blaubarts und Bumms dieser Welt sind nicht ausgestorben.
Sie geben zu den Werken auch immer Verweise über Musikaufnahmen, von denen es erstaunlich viele gibt. Ich nehme an, Sie haben alle davon gehört? Sind die Werke – ich spreche jetzt von den vielen Einaktern – eigentlich musikalisch unterscheidbar?
Im Zuge dieses Projektes habe ich mir all die Tonträger zugelegt, die ich noch nicht hatte. Dazu zählen beispielsweise die Aufnahmen von Malibran-Music, einem bei uns nicht leicht zu erhaltenden Label, die ich tatsächlich in Paris gekauft habe. Einiges konnte ich nur als “Sammlerstück” im Internet oder im Antiquariat ergattern. Ich habe sie alle gehört, mitunter lief der CD-Player sogar während des Schreibens, weil einem dann eher die dazu passenden Adjektive einfallen. Als Offenbach-Autor hört man Offenbach meistens heraus, doch er überrascht einen immer wieder, indem er variiert und so kontrastreich wie differenziert vorgeht. Manchmal habe ich das Gefühl, seine Partituren bestünden aus einer Aneinanderreihung von Tänzen: Walzer, Polka, Mazurka, Galopp, Cotillon, Chaconne, Polonaise, Saltarello, Bolero, Malagueña und, und, und… Kaiser Napoleon III. meinte einmal, man hört Offenbach mit den Beinen. Dem möchte ich mich anschließen.
Der große Offenbach, der etwa bei „Hoffmanns Erzählungen“ so genial ist, hat nur wenige Opern geschrieben. Für Wien sind ja die „Rheinnixen“ besonders interessant, für die Hofoper geschrieben, gelobte Musik, verdammtes Libretto – wäre ein Werk wie dieses zu „retten“?
Als die Wiener Hofoper das Werk bei Offenbach in Auftrag gab, war klar, dass es in deutscher Sprache gegeben werden muss. Das Libretto entstand auf recht abenteuerliche Weise: Wahrscheinlich schrieb Offenbach die Verse selbst – auf Französisch! – und gab sie anschließend zur Verbesserung an Charles Nuitter. Dieser wiederum ließ sich viel Zeit dafür, so dass Alfred von Wolzogen, der das Ganze ins Deutsche zu übersetzen hatte, das Werk immer nur scheibchenweise erhielt. Im Gegensatz zu Nuitters Text leidet Wolzogens Übersetzung offenkundig an Mängeln der Akzentuierung. Auch der von Eduard Hanslick vorgeschlagene Titel scheint eher suboptimal, da in der Handlung keine einzige Nixe auftaucht. Doch trotz dieser Schwächen ist es eine großartige romantische Oper, finde ich.
Wie würden Sie, der ihn ja nach so ausführlicher Beschäftigung am besten kennt, den Menschen Offenbach mit all seinen Stärken und Schwächen beschreiben?
Für mich besitzt Jacques einen sehr starken und authentischen Charakter. Er hat über die vielen Jahre, in denen es finanzielle, künstlerische und persönliche Krisen zu meistern galt, nie seinen Humor und den Glauben an sich und seine Fähigkeiten verloren. Er hat sich alles hart erarbeitet, nichts wurde ihm geschenkt – außer vielleicht einer großen Portion Selbstbewusstsein. Er schmiss nach einem Jahr sein Cellostudium hin und brachte sich sein virtuoses Spiel autodidaktisch bei – im Orchestergraben der Opéra-Comique. Jacques war ein seinem Bauchgefühl folgender Pragmatiker, was ihm meistens Glück bescherte. Als er von den vielen Absagen die Nase voll hatte, entschied er, dass ihn die Intendanten mal kreuzweise können – und eröffnete sein eigenes Theater. Jacques konnte nicht gut mit Geld umgehen, hat Zigarre geraucht, ist fremdgegangen und war ein Workaholic, der jeden zur Schnecke machte, wenn es ihm nicht schnell genug ging. Aber wissen Sie was? All diese Eigenschaften, wenn sie denn „Laster“ waren, machen ihn mir ungeheuer sympathisch.
Wie werden Sie persönlich Offenbachs 200. Geburtstag feiern?
Ich habe lange überlegt, nach Köln zu fahren. Dort laufen im Rahmen des Offenbach-Festivals u.a. eine Neuproduktion der „Großherzogin von Gerolstein“ sowie die Jubiläums-Offenbachiade „Je suis Jacques“. Aber ich habe mich dann doch dafür entschieden, nach Paris zu fliegen, wo direkt an Offenbachs 200. Geburtstag die Premiere von „Madame Favart“ über die Bühne der Opéra-Comique geht. Hoffentlich lande ich pünktlich, vorher möchte ich Jacques auf dem Friedhof von Montmartre unbedingt einen Besuch abstatten.
Grüßen Sie bitte den wunderbaren Jacques Offenbach bitte auch von uns!
Heiko Schon:
JACQUES OFFENBACH – MEISTER DES VERGNÜGENS
216 Seiten, Regionalia Verlag, 2019
https://onlinemerker.com/heiko-schon-jacques-offenbach/