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HEIDENHEIM/Opernfestspiele: TANNHÄUSER Neuinszenierung

26.07.2022 | Oper international

 HEIDENHEIM/Opernfestspiele: TANNHÄUSER Neuinszenierung – 22.7.2022

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Tannhäuser. Copyright: Oliver Vogel

Ungewöhnliche, aber stimmige Interpretation

Mit der schon im letzten Jahr geplanten Neuinszenierung von Richard Wagners romantischer Oper „Tannhäuser“, die wegen der Pandemie auf heuer verschoben werden musste, kamen die von Marcus Bosch geleiteten Opernfestspiele Heidenheim nun mit der Inszenierung des Linzers Georg Schmiedleitner heraus. Und es wurde in der Ruine des Rittersaals des auf einem Hügel über der Stadt an der Brenz thronenden Schlosses Hellenstein in einer heimeligen Sommernacht kein beschaulicher romantischer Opernabend mit ein bisschen mittelterlichem Sängerstreit auf der Wartburg. Die Festspiele, die sich offenbar einem ganz regietheatralisch aktualisierenden Inszenierungsstil verschrieben haben, zeigen Heinrich von Ofterdingen als einen Extremisten des Gefühls, der am nicht vereinbaren Gegensatz der Liebe zu Venus einerseits und Elisabeth andererseits sowie der darauf folgenden Qualentour nach Rom masochistischen Gefallen findet und Freuds Theorie von Eros und Thanatos, den Liebes- und Todestrieb, hier mit unter die Haut gehenden Bildern und Emotionsausbrüchen plastisch vor Augen führt – wie Dramaturg Stephan Knies im Programmheft erläutert.

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„Nach Rom“. Elisabeth und Tannhäuser. Copyright: Oliver Vogel

Dazu hat Stefan Brandtmayr ein poppiges Motel-Bordell in Rosatönen auf die Bühne gestellt. Hier geht es schon während er Ouvertüre heftig „sündig“ zu. Cornelia Kraske mit ihren Kostümen und der Maske sorgt für schrille Akzentuierung eines ins Licht von Hartmut Litzinger getauchten Ortes der Heimatlosigkeit, in dem sich Ausreißer, Reisende, die ihr Ziel (noch) nicht erreicht haben, eben wie Tannhäuser, treffen. Nach signifikantem Lustgewinn mit den Damen der Puffmutter Venus, aber letztlich auch mit ihr selbst, erlebt Tannhäuser relativ bald die „paradiesische Langeweile“, wie Stephan Knies es im interessanten Programmheft formuliert, und findet sich so am Glücksspielautomaten des Bordells wieder. Realismus pur, aber wohl wahr, und somit im weitesten Sinne des Stücks.

Im 2. Akt wird das Ganze zu einem eleganten Ballsaal umfunktioniert, in dem Tannhäuser sich äußerst aggressiv wie die Axt im Walde benimmt. Er schnappt sich einfach mal eine Dame hier oder da von Tisch weg, die natürlich wird aufschreiend nach ihrem hilflosen Partner ruft, der kaum etwas unternehmen kann. Mit einer unmöglichen Perücke sieht der Extremist der Gefühle ohnehin nicht ganz zurechnungsfähig aus. Wohl ist es ein Deut an dramaturgischem Einfallsreichtum zu viel, dass er mal kurz an die Wand des Ballsaals pinkelt. Nun, es ist offenbar: Tannhäuser kommt mit dem eigentlich beneidenswerten Phänomen, gleichzeitig von der gläubigen Elisabeth auf der Wartburg und der heidnischen Venus im Venusberg begehrt zu werden, nicht zurecht. Wenn die „Autoritäten“ auf der Wartburg ihn angesichts seines Benehmens und der vermeintlichen Sünde, im Venusberg geweilt zuhaben, verdammen, bricht er psychisch zusammen und ist mit seinen Nerven völlig am Ende. Ja, er wirkt tatsächlich wie ein Geistesgestörter!

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Der Pilgerchor. Copyright: Oliver Vogel

Umso intensiver erscheint dann Tannhäusers Wandlung im 3. Akt nach etwa 2.800 km Fußmarsch von Eisenach nach Rom und retour. Nun ohne Perücke und ganz der zivile Darsteller selbst, gelingt es Tannhäuser James Kee mit einer unglaublichen Seelenwandlung vor dem zerstörten Ballsaal der Wartburg mit einer intensiven Interpretation der Rom-Erzählung in der 1. Reihe des Publikums (übrigens gleich neben mir), also an einem Ort der Zerstörung aller Hoffnungen, seine Rückkehr zu einem wahrhaft und authentisch empfindenden Menschen darzustellen. Dabei kommt ihm die wahrlich schockierende und an Realismus unter die Haut gehende Personenregie des leading teams entgegen. Diese Rom-Erzählung wird zu einem echten Höhepunkt der Produktion! Die Auseiendersetzung mit Birger Radde als besonders schönstimmigem Wolfram trägt erheblich zur Wirkung dieser Szene bei. Radde singt die Rolle des eifersüchtigen Wolfram, der sich am Ende selbst richtet, nachdem Tannhäuser in seinen Armen gestorben ist und er Venus mit Elisabeth – ein wenig überraschend im letzten Bild – belustigt von dannen ziehen sieht…

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Wolfram von Eschenbach. Copyright: Oliver Vogel

Diese Zerstörung aller Hoffnungen bringen darstellerisch und stimmlich auf zeitweise äußerst beeindruckende Art und Weise auch Leah Gordon als Elisabeth mit einem ebenso kraft- wie ausdrucksstarken Sopran über die Rampe und teilweise im Publikum, neben Anne Schuldt mit einem klangvollen Mezzo und laszivem Spiel als Venus sowie Beniamin Pop als noch sehr jungem Landgraf Hermann mit einer hervorragenden, den ganzen verklemmten Sitten-Kodex der Wartburg-Gesellschaft in sich vereinigenden Landgraf. Auch die weiteren Rollen sind gut besetzt und erzeugen im Publikum am Ende große Begeisterung. So Martin Mairinger als Walther von der Vogelweise, Stefan Stoll als Biterolf, Christian Sturm als Heinrich der Schreiber und Gerrit Illenberger als Reinmar von Zweiter. Heidi Baumgartner begeistert mit einem glockenklaren Sopran als junger Hirt. Die vier Edelknaben werden von den Augsburger Domsingknaben gestellt.

Marcus Bosch dirigiert bewusst unpathetisch die Stuttgarter Philharmoniker als Festspielorchester in einer Besetzung von etwa 65 Musikern. Seine Interpretation passt bestens zur Ästhetik den Bühnengeschehens und der Dramaturgie des Stücks – von Pathos also gar keine Spur. Der sehr gute Festspielchor wird vom Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn unter Leitung von Petr Fiala in der Einstudierung von Michael Dvorák gestellt.

Ein bisweilen gewisse Grenzen optischer und stilistischer Gewohnheiten streifender Abend, der aber wohl niemandem im Publikum kalt ließ, selbst wenn er oder sie – wie wohl viele hier – den „Tannhäuser“ zum ersten Mal erlebte. Nächstes Jahr kommen in der laufenden Verdi-Serie „Don Carlo“ und „Giovanna d’Arco“.

Klaus Billand

 

 

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