Heidelberg: Wir gratulieren (Mazl Tov) von M.Weinberg und Der Ring des Polykrates von W.Korngold 28.3.2017 Premiere
Der Ring des Polykrates. Foto: Annemone Taake
Das Theater Heidelberg kombiniert zwei Opern von Komponisten des 20.Jahrhunderts: Mieczyslaw Weinbergs ‚Wir gratulieren‘ (Mazl Tov) mit dem Einakter ‚Der Ring des Polykrates‘ von Wolfgang Korngold. Beide Komponisten sind wenig im Repertoire vertreten, der polnisch russische Exilkomponist Weinberg wird gerade erst wieder mit Die Passagierin und Der Idiot nach Dostoewsky wiederentdeckt. Gemeinsam ist beiden Komponisten, daß sie vor dem Nationalsozialismus und seiner Expansion fliehen mußten. Korngold in die USA und Weinberg in die Sowjetunion, wo er als Jude ebenfalls Repressalien ausgesetzt ist.
Beide Opern tendieren mehr dem heiteren Genre zu, wenn auch mit starken semiseriellen Episoden. In ‚Wir gratulieren‘ auf das Schauspiel Mazl Tov von Sholem Alejchem, einem russischem Stetljuden, geht es darum, dass die Dienerschaft bei der Verlobung der Tochter des Hauses ‚mitpartizipieren‘ möchte, – es ist nicht weit mehr bis zur russischen Revolution,- ähnlich wie bei Figaros Hochzeit auf eigene Rechte pocht. Weinberg setzt das in sehr beredte kunstvolle Musik um, die teilweise an Strawinnsky oder Schostakowitsch denken lässt. Dem ‚Ring des Polykrates liegt auch´eine Komödie zugrunde. Auch hier geht es um Schichtenverhältnisse. Das Kapellmeisterehepaar Arndt hat das ‚Haushälterpaar‘, den Notenkopist Florian und Lieschen bei sich angestellt. Beide Liebespaare werden nun durch einen alten Freund Wilhelm Arndts gestört, der anhand Schillers Parabel ‚Ring des Polykrates‘ hinterfragt, warum er so ungücklich ist, und Wilhelm so übermäßiges Glück besonders auch in der Liebe hat. Er fordert ihn auf, seine Frau zu fragen, ob sie schon vorher Liebesverhältnisse hatte, und provoziert somit Streit bei den Liebenden. Als Lieschen den Ring eines alten Liebhabers abwirft, fängt ihn Peter Vogel auf. Der Liebesfrieden ist wieder hergestellt.
In beiden musikalischen Idiomen fühlen sich die Heidelberger Philharmoniker wohl, die zuweilen etwas karge aber plastische und bedeutungsvolle Tonssprache Weinbergs wie die spätomantische teils überbordende Kompositionsweise Korngolds mit verschärftem Celesta-Einsatz werden unter der kundigen und expressiven Leitung des Heidelberger Kapellmeisters Olivier Pols überrraschend frisch musiziert.
Die Regisseurin Yona Kim hat für die Verklammerung der beiden Stücke noch eine Idee gehabt und weitergedacht. Für sie fährt der jüdische Musiker, der das Stetl-Stück geschaffen hat, aus Polen kommt, aber auch in der Sowjetunion großer Verfolgung ausgesetzt ist, weiter in die USA und verdingt sich in Hollywood als Filmkomponist. Tatsächlich führt er hier mit seiner Frau Laura ein Glamourleben. Sein Freund ist nach dem 2.Weltkrieg ebenfalls in die USA emigriert, noch in Uniform und mit nur noch einem Arm und sucht bei ihm Unterschlupf. Auf diese Idee hat Yona Kim die Geschichte gebracht, dass Korngold ein Klavierkonzert für eine Hand in Cis für den kriegsversehrten Pianisten Paul Wittgenstein komponiert hat. Und tatsächlich wird dieses in Zwischenspielen auf einem Flügel auf der Bühne gespielt.
Damit konnte auch das Bühnenbild von ‚Wir gratulieren‘ und Ring des Polykrates dasselbe sein. Und zwar handelt es um den Längsschnitt eines pavillonartigen Hauses mit Unter-, Parterre und Obergeschoß von Margrit Flagner. In vielen kleineren Räumen erscheinen Bilder von Schneelandschaften und Dörfern von Chagall. Es entwickelt sich ein bewegtes Spiel der Dienerschaft mit dem jüdischen Buchhändler mit Kiepe, der plötzlich einen Schrank voll mit Marx‘ Kapitalbänden öffnet. Im oberen Stock ist die steife Herrin am Tisch mit ihren beiden Kindern zu sehen, die später Hitler- und Stalinmasken tragen. Auch im ‚Ring‘ gibt es ein Hin und her zwischen den beiden Paaren. Hinreißende Kostüme und Verkleidungen steuert Margrit Flagner in beiden Teilen bei.
In Wir gratulieren‘ singt Gloria Rehm das Dienstmädchen Fradl, im ‚Ring‘ das Lieschen mit schönem glockigem Sopran. Die Köchin Bejlja , die sich mit Reb Alter liiert, singt der Mezzo Elisabeth Auerbach. Dieses Paar taucht stumm auch wieder im ‚Ring‘ auf, ebenfalls auf Stippvisite im ‚Land der unbegrenzten Möglichkeiten‘. Die Madame, Bejljas frühere Herrin, und Laura im ‚Ring‘ stellt Irina Simmes, bei Weinberg noch eher zurückhaltend zugeschnürt und hochnäsig, bei Korngold mit glutvollem Sopran. Die Rolle des Dieners Chaim, der Fradl sich letzten Endes gewinnt/ersingt bei Weinberg, und den Peter Vogel im ‚Ring‘, gestaltet Ipca Ramanovic mit seinem gefühlsechten Bariton. Den fliegenden Buchhändler Reb Alter gibt Winfrid Mikus szenisch sehr gelungen als Stetl-Jude und mit seinem manchmal etwas dünn wirkenden feinen Tenor. Der Wilhelm Arndt ist Alexander Geller, mit ganz schneidigem auftrumpfenden Tenor, ganz ein zweiter Paul (Die tote Stadt). Florian Döblinger, Paukist und Notenkopist, gibt Namwon Huh mit exzellentem glänzenden Tenor. Der Pianist, dessen spielende Hand auf der Tastatur ins Video projiziert wird, spielt sehr eindrücklich und virtuos Stanislav Novitsky.
Friedeon Rosén