Heidelberg: „I PAGLIACCI“ – WA 16.09.2021
Zurab Zurabishvili (Selfie)
Der Pandemie-Regelungen wegen erfolgte die WA „I Pagliacci“ (Ruggero Leoncavallo) ohne die sonst davor übliche Aufführung von „Cavalleria rusticana“. Das Team Andrea Schwalbach (Regie), Anne Neuser (Bühne), Alexandre Corazzola (Kostüme), Ralph Schanz (Lichtdesign) produzierte eine schrill-bunte Slapstick-Revue auf die Bühne jedoch keineswegs die dramaturgischen Konstellationen der Figuren zu negligieren. Die Dramaturgie oblag Thomas Böckstiegel. Eine wohldosierte Publicity dürfte Teenies-Twens das Opern-Publikum von morgen, zum Besuch animieren und in Begeisterung versetzen.
Die Handlung des Werkes wurde augenmerklich auf das eigentliche Drama reduziert, somit die Geschehnisse um die Protagonisten insbesondere beleuchtet. Peu á peu befreiten sie sich aus ihren surrealen Kostüm-„Zwängen“, legten unterdrücktes Begehren, Leidenschaften, Humiliationen frei, personifizieren sich zu realen emotionalen Charakteren. Dem großartigen Sängerteam gelangen die Metamorphosen auf glaubwürdige hervorragende Weise inmitten dem Winkel-Areal der Drehbühne, dem allgegenwärtigen flimmernden Lametta-Vorhang.
Nun erlebte ich Zurab Zurabishvili in zwei Pagliacci-Inszenierungen zuvor, wiederum verstand es der georgische Tenor mit völlig neuen darstellerischen und vokalen Facetten als Canio zu überraschen. Der dramatische Aplomb der intensiven Rollen-Identifikation ganz besonders zur Final-Szene ließ einem schier den Atem stocken. Zum ausgefeilten Spiel Zurabishvilis gesellte sich eine immense Virtuosität der Stimmführung, präsentabel umfassend in feinsinniger Ausdrucksskala bis zum rachedurstigen Pathos, den kraftvollen Attributen des prächtigen Höhenpotenzials. Dennoch bewahrte sich der vortreffliche Sänger-Darsteller zu dunkel-konturierten Otello-Couleurs sein immer noch schmelzreiches Timbre und avancierte zum Mittelpunkt des Publikumsinteresses.
Hye-Sung Na verlieh der Nedda eine ausdrucksstarke Bühnenpräsenz, gestaltete die Colombina-Szene ebenso ihre Partner real fernab peinlicher Übertreibungen. Ihr glasklarer Sopran beindruckte mit lyrischem Fundament, steigerte sich jedoch bei dramatischen Nuancierungen in klirrende Höhenregionen.
Seinem kräftigen Bariton schenkte Ipca Ramanovic (Silvio) ausgeprägte Farb-Differenzierungen, virilen Belcanto, dem Duett mit Nedda schmelzreiches Sentiment, gab zudem darstellerisch einen glaubwürdig jugendlichen Lover.
Eine Skala komödiantischer und infamer Charakterisierungen legte James Homann als Tonio offenbar, setzte baritonale Urkräfte frei, wobei mehr das Volumen denn die Stimmschönheit überzeugten.
Davon hatte Wilfried Staber (Augusto) mit kultiviertem Bass umso mehr entgegenzusetzen und verströmte mit der Canzonen-Einlage Musica proibata (Gastaldon) Belcanto-Wonnen.
Strahlende Töne schenkte Ks. Winfried Mikus dem schlichtenden Beppe und schmachtenden Harlekin, stimmte ebenso O sole mio an.
Wie bereits erwähnt wurde die Handlung leicht gekürzt, der Chorpart des Entrées entfiel, lediglich zum Finale glänzte in bester Vokalise der Opernchor des Theaters Heidelberg seitlich der Zuschauerreihen in bester Manier.
Aufgelockert wurde das Geschehen zudem mit den italienischen Canzonen Mattinata – La Danza – Mamma sowie zu Beginn dem Rota-Film-Song Parla piu piano von den Solisten besonders authentisch vorgetragen, orchestral von Dietger Holm arrangiert.
Am Pult des auf kammermusikalisches Niveau reduzierten Philharmonischen Orchester Heidelberg waltete umsichtig Paul Taubitz. Beherzt, temperamentvoll führte der junge Dirigent seine Instrumentalisten empathisch schwungvoll durch die melodramatische Partitur.
Thomas Böckstiegel begrüßte nach dem Finale das Publikum, freute sich auf das Wiedersehen, weckte Hoffnungen, stellte alle Mitwirkenden vor, welche sodann in überschwänglicher Begeisterung gefeiert wurden.
Gerhard Hoffmann