Juanita Lascarro und Ensemble. Foto: Sebastian Bühler
Premiere der Operette „Die lustige Witwe“ von Franz Lehar am 6. April 2019 im Theater/HEIDELBERG
MIT TÄNZERISCHEM SCHWUNG
Das von Victor Leon und Leo Stein geschriebene Libretto von Franz Lehars 1905 in Wien uraufgeführter Operette „Die lustige Witwe“ basiert auf einer französischen Komödie. Diese Stilmittel werden in Holger Schultzes einfallsreicher Inszenierung deutlich herausgearbeitet. Vor allem die zahlreichen tänzerischen Fächer-Einlagen der Grisetten stechen dabei klar hervor, beleben das drehbare Bühnenbild von Marcel Keller ungemein. Die Choreografie von Kati Farkas bildet mit den facettenreichen Kostümen von Erika Landertinger einen bunten optischen Blumenstrauß, der sich in vielen abwechslungsreichen Farben immer wieder leuchtkräftig entfaltet. Das Bühnenbild bietet aber auch Schattenfiguren, die sich in passender Weise zur Musik im Takt bewegen. So werden die geheimnisvollen Seiten dieses Werkes in hintersinniger Weise beleuchtet. Die Protagonisten agieren im nicht übertrieben pompösen Ambiente psychologisch glaubwürdig. Vor allem die Begegnungen zwischen dem Liebespaar Hanna Glawari und Graf Danilo Danilowitsch besitzen einen elektrisierenden darstellerischen Reichtum. So wird dem Zuschauer auch bewusst, dass der angebliche Staatsbankrott in Pontevedro noch nicht vorbei ist. Und der Tod des Millionärs Glawari lässt auf die Sanierung der Staatskasse hoffen, wenn die junge Witwe im Lande bleibt. Da für Hanna Glawari Patriotismus aber keine Herzensangelegenheit ist, reist sie lieber nach Paris. Der Plan droht zu scheitern, Hanna mit dem begehrtesten Junggesellen Pontevedros in Paris, Graf Danilo Danilowitsch, zu verkuppeln. Nur so können nämlich die Millionen für das Vaterland gerettet werden. Doch im Palais von Hanna offenbart ihr Danilo zuletzt endgültig seine Liebe – und einem Happy End kann nichts im Wege stehen, nachdem der zunächst recht schlichte Saal in das überaus schillernde Kabarett „Maxim“ verwandelt wurde. Hanna hat letztendlich auch den Heiratsantrag Zetas zugunsten Danilos abgelehnt.
Auch musikalisch agieren Chor und Orchester des Theaters Heidelberg unter der temperamentvollen Leitung von Dietger Holm hier aus einem Guss. Die kompakte Chordirektion liegt in den souveränen Händen von Ines Kaun. Der glänzende Einfallsreichtum dieser Partitur kommt leuchtkräftig zum Vorschein. Der Pariser Lebewelt-Ton und der romantische slawische Stimmungsklang kommen hier nicht zu kurz. Musik und Szene gehen so nahtlos ineinander über. Insbesondere dem Tanz wird eine neue Ausdrucksbedeutung gegeben. Die reizvolle Tönung der Harmonik überträgt sich auf die Sängerinnen und Sänger, allen voran Juanita Lascarro als Hanna Glawari und Ipca Ramanovic als Graf Danilo Danilowitsch. So kommen die Walzer „Ballsirenen“ und „Lippen schweigen“ überaus schwungvoll daher. Danilos „Da geh ich zu Maxim“ zeigt in der Interpretation von Ipca Ramanovic ebenfalls strahlkräftigen gesanglichen Klangfarbenreichtum. Juanita Lascarro vermag außerdem dem „Vilja“-Lied in G-Dur und der Mazurka „Hab in Paris mich noch nicht ganz akklimatisiert“ weich timbrierte Kantilenen abzugewinnen. Die balladenhaften Momente werden nicht geleugnet. Rosillons Romanze „Komm in den kleinen Pavillon“ gewinnt dank Namwon Huh ebenfalls feine Nuancen. Natürlich besitzt auch das Marsch-Septett der Männer mit dem Trio „Ja, das Studium der Weiber ist schwer“ bei dieser Vorstellung Schmiss und Verve. Die Lieder vom dummen Reiter, den zwei Königskindern und das humorvolle Grisetten-Chanson fügen sich dabei nahtlos ein.
In weiteren Rollen gefallen Yasmin Özkan als Valencienne, Christian Alexander Müller als Raoul de St. Brioche, Adrien Mechler als Vicomte Cascada, AP Zahner als Kromow, Wilfried Staber als Baron Mirko Zeta, Manuela Sonntag als Olga, Miroslav Stricevic als Bogdanowitsch, Jana Krauße als Sylviane und Steffen Scheumann als Njegus. Fabelhaft sind die Grisetten Saskia Heming, Fanny Hoffmann, Marleen Jakob, Doreen Elisabeth Naß, Grace Simmons, Sabrina Stein und Anna Friederike Wolf, die auf der Bühne erhebliche szenische Turbulenzen auslösen. Dietger Holm macht als Dirigent außerdem deutlich, dass Lehar manchmal durchaus seinem Vorbild Puccini nacheiferte. Durch das brisante Grisettentreiben werden die bürgerlichen Welten geradezu aus den Angeln gehoben – die ausgelassene Sektlaune fordert ungebremst ihren Tribut. Das Tanzduett vom „dummen Reitersmann“, das Hanna und Danilo fast atemlos anstimmen, wird von überschäumenden Intervallen überwältigt. Die Allegretto-Nummer gerät zu einem der Höhepunkte dieser insgesamt überzeugenden Premiere. Und die Damenwahl-Kämpfe erreichen eine ungeahnte Intensität. Im rasanten C-Dur-Marsch wird Hanna durch die massive Schar ihrer fast ungestümen Freier bedrängt. Und der melodisch reiche G-Dur-Walzer lässt die „Ballsirenen“ fast besinnungslos hereinströmen. Dass gerade Franz Lehars Welterfolg „Die lustige Witwe“ eine ausgesprochene Tanzoperette ist, macht diese Aufführung in ausgezeichneter Weise deutlich. Wie im Rausch feiert Ipca Ramanovic als Danilo seinen Sieg in einer überwältigenden C-Dur-Walzerhymne. Da läuft das gesamte Ensemble mitsamt der Statisterie dann noch einmal zur Hochform auf. Das Publikum jubelte – und bestätigte damit zugleich, dass die Operette nicht gestorben ist.
Alexander Walther