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HEIDELBERG: „ANJA HARTEROS – MÜNCHENER PHILHARMONIKER – VALERY GERGIEV“ –

15.04.2019 | Konzert/Liederabende

Heidelberg: „ANJA HARTEROS – MÜNCHENER PHILHARMONIKER – VALERY GERGIEV“ – 14.04.2019

Zum glanzvollen Abschluss seines 23. Festivals servierte die Intendanz des „Heidelberger Frühlings 2019“ einen elitären Konzertabend mit der Solistin Anja Harteros sowie den Münchener Philharmonikern unter der Stabführung ihres Chefdirigenten Valery Gergiev.

Nach diversen beglückenden Begegnungen mit der Sopranistin Anja Harteros zu Strauss-und Wagner-Orchesterliedern, freute ich mich heute ganz besonders auf die „Fünf Rückert-Lieder“ (Gustav Mahler), deren vorbildliche Interpretation sich mir wiederum als nachhaltiges Hörerlebnis erschlossen.

Zum Vortrag der fünf Liedepisoden welche von Mahler in keinem Zyklus eingebunden sind waren der Künstlerin neben einem sicheren Sprachgefühl eine vielschichtige Palette aus warmen und frischen Klangfarben zu eigen, mit welchen sie auf einer technisch höchst souveränen Basis jonglierte  und dicht gestaltete. Bei Ich atmet´ einen linden Duft wähnte man die Luft schien zu flirren, bar der herrlichen Ausdrucksformen welche der unvergleichlichen Sängerin so hinreißend entspannt in der Kehle lagen.

Feinsinnig, melancholisch wob der kostbare Sopran Liebst du um Schönheit. Stilistisch, einfühlsam, atmosphärisch entfaltete sich das schöne Timbre zur leicht vertrackten Melodie der Strophe Blicke mir nicht in die Lider. Fasziniert erlebte ich die Legato-Kunst der Sopranistin, ihre Fähigkeit changierende Töne in sich steigernden Erhebungen aufzubauen und zudem im sanglichen Ausdruck instrumental mit feinen Nuancen auch im Piano-Bereich zu fesseln.

Traumhaft phrasiert, in hoffnungsvollem Optimismus vokal prächtig durchleuchtet erklang Ich bin der Welt abhanden gekommen. Für wahr ich wähnte mich ebenso! So und nicht anders sollte ein Vortrag berühren, zu Tränen rühren! In dramatischem Aplomb funkelten Anja Harteros Couleurs, bewegend formend, vorbildlich artikulierend, beschwörend offerierte die makellose Sopranstimme sodann das Finale Um Mitternacht.

Transparent, elegisch konnte Valery Gergiev am Pult der Münchener Philharmoniker den musikalischen Zauber der Pretiosen vermitteln, fein gesponnen, bedrohlich zum letzten Lied wirkte die orchestrale Begleitung.

Sekunden der Stille, sodann feierte das Publikum kurz und heftig alle Beteiligten.

Blicke ich in den Terminkalender der Münchener Philharmoniker absolvierten sie dieses Mammut-Programm bereits am vergangenen Mittwoch-Donnerstag-Samstag im Gasteig und nun heute um 18 h in Heidelberg. Es ist für mich schon fast unglaublich, vor vielen Jahren erlebte ich die „Fünfte Symphonie“ von Anton Bruckner mit diesem Orchester erstmals unter der Leitung seines damaligen Chefdirigenten im Festspielhaus zu Baden-Baden. Die Eindrücke sind mir noch heute als Schlüssel-Erlebnis in Sachen Bruckner gegenwärtig, wähnte ich damals mein Sitz hebe ab und glaubte zu schweben, diesen Eindruck erlebte ich zur erneuten Begegnung mit demselben Dirigenten und seinem  Dresdener Orchester, umso mehr war ich nun  gespannt auf Valery Gergievs Sichtweise. Aber leider wollte sich mein Schwebezustand nicht einstellen, der Umstand lag allerdings nicht meinen inzwischen KG-Plus zugrunde, dass sich der Sitz nicht mehr lüften wollte, eher an Gergievs irrealer Werks-Analyse von unzähligen General-Pausen unterbrochen.

Leise, sehr leise Stimmungen setzte der Dirigent den gewaltigen orchestralen Eruptionen entgegen deren völlig andere Instrumentation mich zunächst irritierte, jedoch lösten sie  nach und nach in meinen Gehörgängen eine gewisse Faszination aus. Bereits zu Beginn im Adagio, Allegro jonglierte Gergiev mit konträren Gegensätzen, ließ das bestens disponierte, ungemein plastisch aufspielende Orchester mit frappierender Innenspannung musizieren, entlockte ihm betörenden Geigenschimmer zu gegensätzlichem brillantem Blechglanz. Im dunkel-glühenden Ton, in übermächtigen Bögen des Kathedralklangs erhielten die instrumentalen Gruppierungen neue deutliche Akzentuierungen und differenzierte Rhythmen. Bewegend, klagend erhob sich die Oboe zum Hauptthema des Adagio, im rührenden Tonfall von Schmerz, Verzweiflung, Einsamkeit zupften die Violinen die begleitenden Untermalungen, steigerten sich allmählich mit den Bässen ins zentrale Geschehen, dem Element merkwürdiger innerer Unruhe entgegen. In zuversichtlichem Dur verklang der zweite Satz.

Zum Scherzo meldete sich ein verstörend-tumultuöses Pizzicato-Motiv der Streicher zu Wort, die Holbläser stimmten eine leichte Tanzweise an, die Folgethemen gestaltete der Dirigent mit den vortrefflich aufspielenden Münchener Philharmonikern schnörkellos, setzte die rustikale Ausgelassenheit in wohltuender Auffächerung der Klanggruppen ins formelle, transparente Licht. Beim Trio bemühten sich die Holzbläser um einen hübschen Ländler, doch das Horn fiel missmutig dazwischen und langsam fügte sich wieder die harmonische Gelassenheit zur ruhigen präzisen orchestralen Formation zur weiteren Steigerung der gewaltigen Klangwellen. Lag es nun an meinem vorderen Parkettplatz, der etwas trockenen Akustik des relativ kleinen Konzertsaals, dass die Phonstärken zu schroff wirkten? In Sälen wie vergleichsweise in der AOF oder Baden-Baden erklangen jene orchestralen Formationen natürlich ebenso intensiv jedoch weniger dominant lärmend. Oder aber entsprach der strukturelle Aufbau des Bruckner´schen Kosmos lediglich der russischen  Mentalität?

Unverkennbar wurde das tiefe Glaubensbekenntnis des Komponisten im Finale offenkundig. Im Wechselspiel der dunklen Streicher mit den Bläsern erhob sich ein anmutiger Choral,  sich allmählich zur Doppelfuge entwickelnd,  schon fast den Abschluss des tönenden symphonischen Kolosses ankündigend. Gergiev ließ beim aufpeitschenden Finale nie die Rhetorik der Einzelstimmen außeracht, öffnete im mächtigen Choralschluss gleich einem klingenden Abbild die transzendierende Architektur des gewaltigen Klangdoms. Atemberaubend  in grandiosem Orchestersound fand das schier apokalyptische instrumentale Inferno seine überwältigende Krönung.

Das begeisterte Publikum dankte Gergiev und dem Orchester mit Bravos und rauschendem Applaus.

Das 23. Heidelberger Frühling-Festival verklang mit 141 verschiedenen Veranstaltungen innerhalb von vier Wochen, lockte diesjährig rekordverdächtig 47 700 Besucher in die wunderschöne idyllische Neckar-Stadt. Dem expansionsfreudigen, erfolgreichen Intendant Thorsten Schmidt sowie seinem Team sei  für das emphatische Engagement gedankt und zum grandiosen Erfolg ganz besonders herzlich gratuliert. Wünschenswert wäre es für alle Beteiligten während der nächsten drei Jahre zur Sanierung der Stadthalle geeignete und attraktive Räume zum weiteren erfolgreichen Bestehen des ruhmreichen Festivals finden.

 

Gerhard Hoffmann

 

 

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