Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

HATTINGEN/ Henrichshütte (Ruhrgebiet): DIE HEILIGE CÄCILIE von Anton Urspruch. Uraufführung 

22.11.2021 | Oper international

Hattingen/Ruhrgebiet: DIE HEILIGE CÄCILIE von Anton URSPRUCH  Uraufführung  21.11.2021

dsc03512
Rebecca Broberg, Mario Antonio Lozano, Uli Bützer. Marie-Luise Reinhardt. Foto: Robert Pflanz

In der ehem.Henrichshütte in Hattingen wurde am letzten Wochenende die vieraktige Oper ‚Die Heilige Cäcilie‘ von Anton Urspruch (1850-1907) vom ppp Musiktheater uraufgeführt. Anton Urspruch war ein Frankfurter Komponist und Pianist, Schüler von Franz Liszt und im Frankfurter Musikleben tätig und eingebunden. Der seines Zeichens Dichterkomponist schrieb vor seinem Opus Magnum ‚Die Heilige Cäcilie‘ eine Oper ‚Der Sturm‘ nach Shakespeare sowie die Komische Oper ‚ Das Unmöglichste von Allem‘, die beide mit Erfolg zu seinen Lebzeiten aufgeführt wurden. Urspruch starb vor der Vollendung der ‚Hl.Cäcilie‘, die als Libretto in 5 Akten vollendet war, und deren 2.-4.Akt er nur in Particell-Form ausgeführen konnte.

Es kam nicht von Ungefähr, daß sich der jüngst verstorbene Siegfried-Wagner-Kenner und -Prophet, „Inszenator“, Gründer und Leiter des pianopianissimo musiktheater Peter P.Pachl, der sich auch immer für unbekannte bzw. nicht aufgeführte (romantische) Komponisten der Jahrhundertwende einsetzte, auch auf das nach-wagnerianische Opernschaffen Anton Urspruchs aufmerksam wurde. Dieser erscheint zuerst unentschieden zwischen der sogenannten alt- und neudeutschen Schule, und bei der Hl.Cäcilie ist erstmal bemerkenswert, daß Pachl sie als die größte Chor-Oper des 20.Jahrhunderts bezeichnet. Während der 1.Akt in  in angenehm romantischer Musiksprache noch eher  an Schumann und seine ‚Genoveva‘ erinnert, legt er aber vom 2.-4.Akt,  der Dramatik des Stoffes angemessen, dramatisch-harmonisch zu, dabei  fast den gesamten Quintenzirkel der Dur und moll-Tonarten ausschreitend. Die Gregorianik ist als Gesang der keuschen Vestalinnen eingebunden und steigert sich zu einer groß aufbrausenden Arpeggien schlagenden  Klanginsel der Harfe spielenden Cäcilia, die vom Engelsgesang aus hoher Sphäre seinen Echo-Widerlaut erfährt. In der großen, an Mahler-Schönberg gemahnenden hyperromantischen Orchesterbesetzung  stößt die Oper bis in die ekstatisch-erratischen Sphärenklänge eines Alexander Skrjabins vor.

Pachl und sein Ensemble haben natürlich schon Vorstudien für diese wegweisenden Klänge getätigt, so in Berliner Kirchen, wo Chöre ausprobiert wurden, oder in der römischen Accademia Santa Cecilia (sic!). Nun mußte aber, nach der erfolgreichen Aufführung von S.Wagners ‚Friedensengel‘ im August, die Proben in Hattingen in Angriff genommen werden. Pachl überlebte seine Erkrankung dort nicht, und so mußte schnell, besonders für die Regie, Ersatz geschaffen werden. Sein Assistent Chang Tang bot sich an, in kurzer Zeit ein neues Regiekonzept (es war noch gar keines vorhanden) zu erarbeiten, und es in der Gebläsehalle auf dem  mittelgroße Podium umzusetzen. Im 1.Akt hatte es aber mehr oder weniger den Touch einer halbszenischen Aufführung. Auf Stühlen en bloc sitzen die verschiedenen Chorgruppen, römisches Volk, Vestalinnen und Soldaten und erheben sich abwechslungsweise. Davor bewegen sich die ChristInnen im Kreis und fallen eine nach der anderen um wie auf einer Reise nach Jerusalem. Im Hintergrund die Projektion des Colosseums, die hinter Gittern losgelassenen Löwen, das Colosseum am Ende blutüberströmt. Cäcilia, eine Vestalin, ist schon heimlch zur Christin konvertiert und feiert im 2.Akt ihre Hochzeit. Der römische Präfekt Almachius will ihren Gemahl Valerian als Heerführer in die Schlacht nach Griechenland, in Anwendung des jüdischen Uria-Vorbilds, schicken und Cäcilia für sich gewinnen. Bei der Hochzeit gibt sie sich in einem härenen Untergewand als Christin zu erkennen und liebend führt sie Valerian und seinen Bruder Tiburtius zum neuen Glauben. In der inszenierung wird aber nur der Bruder zur Folter abgeführt. Cäcilia wird von Almachius sexuell bedrängt, besingt dann aber ihren Mann und ihren gefolterten Schwager als wahre Helden. Im 4.Akt ist es den Christen gelungen, die Leichen, über die Almachius ein Bestattungsverbot verhängt hatte, in einer zum Kirchenraum umgestalteten Halle heimlich zu bestatten. Cäcilia bekennt sich den angerückten Liktoren gegenüber für  schuldig.  Liktoren-Anführer Maximus bekennt sich, als sie auf dem Altar verbrannt werden soll, die Flammen ihr aber nichts anhaben können, ebenfalls als Christ. Die Harfenspielerin Cäcilia wird im Baderaum ihres Hauses umgebracht. Ein neu ausgerufener Cäsar/Kaiser verlangt von Almachius Rechenschaft über den Tod der Patrizierin,  der aber vor ihrem Leichnam mit den Worten ‚heilige Cäcilia, bitte für mich‘ zusammenbricht. Die Harfe beginnt zu erklingen. Die Hallendecke öffnet sich, und die verklärte Cäcilia wird sichtbar.

Natürlich ist so eine ‚Große Oper‘, als die Urspruch sie auch zuerst konzipiert hat, mit so begrenzten Regiemitteln nicht leicht zu vermitteln. Es werden aber doch noch ein paar Effekte von Chang Tang eingesetzt wie mit den Videos von Robert Pflanz, in denen die römische Gewaltherrschaft als größenwahnsinnig, und völlig deformiert denunziert  und in der auch die JüdInnen- Ausgrenzung und letzliche -Ermordung thematisiert wird. Der Regisseur wendet sich, von Sprüngen und Tänzen der Balletttänzerin Isabell Jäger virtuos begleitet, in einem leider etwas unverständlichen Monolog an das Publikum und verläßt danach nackt und blutüberströmt wie ein Amfortas seinen Regieassistenz-Stuhl auf der Bühne und geht in die  Publikumsreihen ab. Bemerkenswert auch manche Tischkonstruktionen, die von der Hl.Cäcilia, auf ihnen liegend, dann sich in die Höhe reckend, bespielt wird. Die Kostüme für Cäcilia und Almachius erscheinen römisch designet, und in der Farbe christlich lila kontrastieren sie zu denen der römischen Heerführer in kurzen Sporthosen und symbolbesetzten Überwürfen. Die Choristen sind einmal alle in goldene Tuniken gesteckt und erscheinen im langen permanent sich steigernden Schlußchor in den (härenen) schwarzen Gewändern mit Aufdruck: keine Übergriffe X oder so ähnlich (Kostüme Christian Bruns, Choreinstudierung Dominikus Burghardt). Die mus.Gesamtleitung hatte wieder sehr umsichtig engagiert  Ulrich Leykam inne, der auch die Partitur 2019 vollendete,  mit seinem Bayreuth Digital Orchestra, das auch seinen Anteil an Dramatik einfließen lassen konnte.

dsc03437
 Foto: Robert Pflanz

Rebecca Broberg ist die Cäcilia und bringt für die Rolle vielleicht ihre größte Leistung im spätromantischen Fach, alle ihre Tugenden zu einer einer wundersamen Stimmführung ihres einnehmend timbrierten Soprans  vereinend. Beim Schluß als versonnene Verklärte wird sie selbst zur Heldin des grausamen Geschehens. Für ihren Geliebten und Ehemann Valerian ist kurzfristig der junge mexikanische Tenor Marco Antonio Lozano eingesprungen. Mit seinem butterweich  belcantesken Ansatz und seiner phantastischen Höhe meisterte er die Rolle des verliebten Konvertiten ganz wunderbar und rettete somit die Uraufführung,  Als Tiburtius konnte Reuben Scott, langjähriges Mitglied des ppp-musiktheater Ensembles, mit ausdrucksreichem Bariton reussieren. Den Präfekt Almachius verkörperte Uli Bützer mit  intuitiv gestalteten herrscherischen Bewegungen und einem disinvolviert klangschönen Bariton. Axel Wolloscheck agierte als weiterer pointierter Bariton und erlebte den Niedergang der römischen Christenverfolgung hautnah mit. In verschiedenen Nebenrollen traten der Baß Robert Fendl, der Tenor  Eetu Joukainen, der Sopran Rafaela Fernandez, Mezzosopran Marie-Luise Reinhardt  und der chinesische Baß Di Guan auf, von denen einige auch den Chor verstärkten.         

Friedeon Rosén          

 

Diese Seite drucken