Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

Hans Jürgen STRUB – Pianist und Klavierprofessor. „Franz Schubert komponierte, so wie es ist.“

01.09.2020 | Instrumentalsolisten

Hans-Jürg Strub: „Franz Schubert komponierte, so wie es ist.“

 Interview mit dem Züricher Pianisten und Klavierprofessor Hans-Jürg Strub – 

Schubert: Klaviersonaten D 959 & D 960: Amazon.de: Musik

 1.9.2020        Stefan Pieper

 Franz Schuberts Klaviersonaten sprengen den zeitlichen Rahmen und überwinden alles rein architektonisch-intellektuelle, wenn sie direkt zur unmittelbaren Emotionen vorstoßen. Der Schweizer Pianist Hans-Jürg Strub hat sich auf einer neuen Doppel-CD den Sonaten D959 und D960 angenommen. Sein einfühlsames Spiel ist ein verlässlicher Leitfaden, um als Hörer genauso tief zu blicken. Solche Tugenden gehören auch seiner Pädagogik an der Züricher Musikhochschule, wie er im Gespräch verriet.

 

Herr Strub, wie haben Sie sich Schuberts großen Sonaten angenähert?

Seit ich mich erinnern kann, habe ich eine große Affinität zu Schubert. Ich habe die Sonate D 959 unmittelbar nach Beendigung meines Studiums gelernt. Es war das erste Stück, das ich ganz alleine, also bewusst ohne meinen prägenden damaligen Professor Hans Leygraf studiert habe. Seitdem hat es mich über viele Jahre begleitet. Die B-Dur-Sonate kam erst in den letzten acht Jahren hinzu.

 

Was macht es für einen Unterschied, alleine etwas zu erarbeiten oder mit einem Lehrer einzustudieren? Ich frage Sie da mal direkt als Pädagoge.

 

Es ist wichtig, eigene Schritte zu wagen. So etwas lebe ich auch meinen eigenen Studenten vor. Irgendwann muss die Zeit der Eigenverantwortlichkeit kommen. Mit der Zeit vertraut man dem eigenen Weg immer mehr. Jeder gute Lehrer ist ja „nur“ ein bewussteres Ohr des Schülers. Zur eigenständigen Interpretation kommt nur, wer sich nicht zu sehr durch äußere Einflüsse bestimmen lässt. Ganz davon lösen können wir uns natürlich nie.

 

Worüber kommunizieren Sie in Ihrem Unterricht über das rein Pianistische hinaus?

 Das Pianistische ist ein Mittel zum Zweck. Es geht darum, den Ausdruck klarer zu machen – und dass das Virtuose nicht Selbstzweck ist. Es geht um das Bewusstsein für die Klangkontrolle. Wie schlage ich etwas an? Wie halte ich den Finger, um diesen Klang zu bekommen? Das ist etwas ganz Zentrales. Es geht darum, dass die Musik spricht, dass darüber hinaus die Dinge zum Sprechen kommen, die einem wichtig sind. 

 

Was fasziniert Sie an Franz Schuberts Klaviersonaten? Und was können sie den Menschen von heute geben?

Schuberts Musik spricht das Innerste im Menschen an. Seine Musik ist zeitlos. Der Mensch an sich hat sich in hunderten von Jahren in seinem tiefsten Wesen nicht verändert. Gesellschaft und Wissenschaft verändern sich ständig, Seelenzustände des eigenen Wesens bleiben aber dieselben. Das alles scheint Schubert anzugehen, sowohl die dunklen Seiten, aber auch die Zuversicht. Nach der Düsternis kommt sofort wieder Lebensmut, wie z.B. der A-Dur Mittelteil des langsamen Satzes in der B-Dur Sonate –  so etwas schafft kaum jemand, das ist wirklich einmalig. Schubert bildet das unmittelbare Erleben ab. Er über-komponiert nicht, wie es vielleicht bei  Beethoven der Fall ist. Schubert ist überhaupt nicht intellektuell, denn er liebt die direkte Beschreibung eines Zustandes. Man merkt, wo es ihm wohl ist. Da möchte er gerne verweilen. Aber die ständigen Modulationen in der Musik zeigen auch wieder, wie er immer wieder herausgetrieben wird.  So etwas wirkt bei keinem anderen Komponisten derartig direkt. Zugleich liebt er die Längen. Beethoven hingegen hält keine Längen aus, bei ihm muss immer etwas „passieren“. Schubert lässt einfach geschehen, was sich dem Intellekt entzieht und aus der Stille herauswächst. Ich glaube, um sich dem zu öffnen, braucht man nicht sehr viel. Denn alles ist schon im Inneren vorhanden. Man braucht keine Bildung des Hörens. Man braucht nur gut zuzuhören und es wird schon etwas passieren.

 

Es braucht aber einen Zustand von Versenkung – und eine gute Interpretation wie Ihre! 

Wir sind ständig vom Tagesbewusstsein getrieben. Hier ist zunächst mal das Herstellen einer inneren Stille nötig. Für Schubert muss man sich Zeit nehmen. Und man muss in den Sonaten diese immensen Längen aushalten. Es gibt sonst kaum einen Kopfsatz, der 20 Minuten geht.

 

 Sie stellen in Ihrem Spiel ja auch die Übergänge und Zäsuren, fast Brüche deutlich heraus und geben den Wechseln viel Gewicht. Was hat es damit auf sich?

 Beim letzten Satz der A-Dur Sonate ist das Motiv des Wanderns, dieser romantische Zustand des Suchens stark präsent. Am Ende des Satzes wird ein Zitat immer wieder aufgerufen und sofort wieder durchbrochen. Das ist keine Sache der Dramatik, eher ein Aspekt von Nicht-finden oder Nicht-aufhören-können. Die A-Dur Sonate ist stellenweise  direkt von Beethovens G-Dur-Sonate opus 31 beeinflusst. Das Prinzip der Themenzitate wird gewissermaßen direkt übernommen. In der Gesamtaussage geht Schubert aber hier viel weiter als Beethoven. Er nimmt Form-Material auf und macht etwas viel Weitergehendes daraus.

 

Tritt Schubert hier ganz bewusst aus dem Schatten Beethovens heraus? 

Bestimmt. Schubert hat furchtbar mit sich gerungen, sich zugleich von Beethoven immer etwas an die Wand gedrückt gefühlt. Vieles ist biografisch spekulativ. Es ist auffallend, dass Schubert im letzten Jahr, nachdem Beethoven stirbt, unglaublich tolle Sachen komponiert, man könnte hier fast von einer gewissen Befreiung vom Einfluss Beethovens sprechen.

 

Können Sie konkrete Stellen benennen, wo Schubert über Beethoven hinaus wächst?

Schuberts Musik hat eine ganz andere Qualität. Vielleicht erwuchs sie aus einem Bewusstsein, dass er „handwerklich“ nicht so gut wie Beethoven komponiere. Beethoven machte das Komponieren mit weitverzweigten Ableitungen zu seinem Kennzeichen. Er komponiert gewissermaßen das Scheitern eines Themas gleich mit und alles ist bis aufs Letzte gedacht. Bei Schubert ist es ganz anders. Hier geschehen die Dinge einfach. Schubert fällt es auch viel leichter, schöne Themen zu erfinden. Beethoven erfindet etwas und muss es sofort stören. Er greift immer ein. Das macht Schubert sehr selten. Er beschreibt einen Zustand. Diese Qualität des Bleibens und des Seins hat Schubert Beethoven weit voraus. Bei Beethoven ist alles viel intellektueller, fast schon pädagogisch manchmal. Schubert hingegen komponiert einfach, wie es ist, d.h.wie er es fühlt. Deswegen berührt mich Beethoven auch nie so, wie Schubert es kann. Aber man darf hier nicht werten. Es ist einfach etwas ganz anderes. 

 

Wie sehr nehmen Sie die unterschiedlichen Persönlichkeiten dieser beiden Komponisten wahr?

Beethoven war ein ruppiger Einzelgänger. Schubert ist gesellig und immer im Kreis seiner Freunde. Das ist ganz zentral. Dieses Element gibt es auch in der Musik.

 

 Wie erleben Sie den Gegensatz zwischen dem riesigen Kopfsatz der B-Dur Sonate und dem komprimierten Scherzo?

Ich sehe es als Kontrast, als Kontrapunkt zu den ersten beiden Sätzen. Der erste Satz ist innere Versenkung, der zweite ist klagend und offenbart eine tiefe Resignation. Das Scherzo soll Gegenpol sein: es ist verspielt, hat Witz und ist schwebend. Dadurch kommt eine Leichtigkeit ins Spiel, die im letzten Satz fortgeführt wird. Es kommen auch eine Art Ländlermotive vor. Das Trio hingegen ist etwas trotzig mit diesen Bässen im Sforzando. So sehe ich das wie ein kleines Etwas, dass das Ganze etwas auflockert. Da ist keine große Dramatik mehr wie in den anderen zwei Sätzen.

 

 Wenn Sie ein Recital spielen, müssen Sie Ihre Tages-Verfassung erst mal damit synchronisieren?

 Das ist manchmal schwierig. Man stellt fest, dass es nicht immer gleich gelingt, das Gefühl frei zu haben. Aber das ist die Hauptsache, dass die Emotionen wirklich frei strömen können. Dass man bestenfalls ein Medium ist, wo das Eigene mit der Musik verschmilzt. Wenn es gelingt, ist es das Tollste. Das eigene Gefühl, dass es nicht so ist, widerspricht sich manchmal mit dem Eindruck, wie es geklungen hat. Wenn man sich an einem Tag schlecht fühlt, muss es überhaupt nicht so geklungen haben. Manchmal ist es auch umgekehrt. Es war auch schon mal so, dass man zu euphorisch an die Sache ran ging und dann war das Resultat eben genau das nicht.

CD: Franz Schubert – Klaviersonaten
A-Dur D 959
B-DUR D 960

 Hans-Jürg Strub: Klavier
Ars Produktion 2020

 

 

Diese Seite drucken