Copyright: Karl und Monika Forster
Staatsoper Hannover, 20.Oktober, Premiere TOSCA
Nach dem großen Publikumserfolg mit Halévys La Juive stand jetzt als zweite Premiere der Intendanz Laura Bermans in Hannover mit Tosca eine sichere – und vielgespielte – Säule des Kernrepertoires auf dem Programm. Für die Inszenierung hat Berman den jungen russischen Regisseur Vasily Barkhatov eingeladen. Der traf mit seinem durchaus schwierigen Regiekonzept nicht den Geschmack aller Zuschauer, was sich an einigen Buhrufen beim Schlussapplaus zeigte.
Barkhatov konzentriert die Geschichte ganz auf die Perspektive Scarpias, was erst einmal durchaus nachvollziehbar ist, hat Puccini der Figur doch vielleicht die vielschichtigste und dramatisch aufgeladenste musikalische Zeichnung gegeben. Scarpia ist hier nicht Chef der Polizei, sondern Geistlicher, dessen Vorgeschichte vom Regisseur dazu erfunden ist. Scarpia wurde als Kind Opfer sexuellen Missbrauchs und kondensiert dieses Kindheitstrauma nun im Erwachsenenalter in seiner sexuellen Obsession für Tosca. Vor Beginn sieht der Zuschauer Scarpia zusammen mit Angelotti und dessen Schwester seinem Büro; der dazu eingeblendete Text verrät, dass die Flucht Angelottis ein abgemachtes Spiel ist, mit dem Scarpia einzig das Ziel verfolgt, Tosca näher zu kommen, die er vergöttert, der er verfallen ist. Im zweiten Akt, nachdem Tosca ihn ermordert hat, bekommt sie nicht die gewünschten Pässe für sich und Cavaradossi, sondern eine Videobotschaft Scarpias, in der sie seine Geschichte erfährt. Viele Momente der Handlung, für die Bühnenbildner Zinovy Margolin im ersten Akt einen großen Raum mit vielen Türen entworfen hat, der nur wenig von einer Kirche hat, und die ansonsten in der klaustrophobischen Enge von Scarpias Büro verortet ist, sollen sich offensichtlich nur in der Einbildung der Protagonisten abspielen. Die Ebenen von Realität und Erinnerung bzw. Imagination vermischen sich mitunter, doch nicht immer sehr klar. Ohne Zweifel hat Vasily Barkhatov sich viele Gedanken über sein Regiekonzept gemacht; doch bleibt diffus, wie er die Vorgeschichte Scarpias ableitet, und wie er sein Konzept umsetzt, ist nicht in allen Momenten der Aufführung von klarer Konsequenz und innerer Logik. Manche Einfälle wirken sogar beliebig, wie etwa, dass die Handlung Weihnachten spielt, mit einer Krippe in der Kirche und überdimensionierten Krippenfiguren, die Cavaradossi im dritten Akt kurz vor seiner Hinrichtung hervorholt – ohne, dass seine Hinrichtung dann auf der Bühne vollzogen wird. Stattdessen hält Tosca den toten Scarpia noch einmal in den Armen. Der erste Akt ließ noch Fragen zurück, wie es wohl weitergeht, im Lauf der folgenden zwei Akte kamen doch mehr Fraglichkeiten als Fragen auf; je schwieriger ein Regiekonzept ist, desto klarer und stringenter sollte seine Umsetzung sein, da gäbe es noch einiges zu tun.
Musikalisch wurde die Premiere zu einem großen Erfolg beim Publikum; ein wenig differenzierte Betrachtung ist aber gleichwohl vonnöten. Kevin John Edusei am Pult des Staatsorchesters animierte die Musiker zu klangschönem, souveränem Musizieren, wählte nicht zu straffe Tempi, was dem dramatischen Potenzial der Partitur viel Raum gab. Wenn sich in den folgenden Vorstellungen einige Unkoordiniertheiten zwischen Bühne und Graben überwinden lassen, empfiehlt sich Edusei zweifelsohne für die noch zu besetzende Position des Generalmusikdirektors.
Da Scarpia von der Regie so in den Mittelpunkt gerückt ist, konzentriert sich viel Aufmerksamkeit auf ihn. Seth Carico konnte sich bei seinem Rollendebüt mit dem Regiekonzept vollkommen identifizieren; sein Bariton ist technisch durchaus sicher geführt und konnte sich auch in den dramatisch aufgeladenen Szenen behaupten. Es fehlt der Stimme noch ein wenig an Schwärze, an Dämonie, um die vielschichtigen Abgründe der Figur vollends darzustellen. Liene Kinča warf sich voller Energie in die Titelpartie; wenn sie ihren Sopran frei schwingen lässt, sind wunderbare Phrasen dabei, von rundem Klang und erdiger Farbe. Leider neigte sie am Premierenabend zu einigen mit zu viel Druck angegangenen Phrasen, mit dem Ergebnis harter, schriller Spitzentöne, die aus der an sich sehr schönen Linie ihres Gesangs herausfielen und in der Intonation etwas gefährdet waren. Das alles mag der Premierennervosität geschuldet gewesen sein und sollte sich ablegen lassen, denn grundsätzlich verfügt die Sopranistin über gute Voraussetzungen für die Partie.
Mario Cavaradossi ist in dieser Produktion fast eine an den Rand gedrängte Nebenfigur. Rodrigo Porras Garulo hatte es also schwer, sich zu profilieren. Für ihn galt ähnliches wie für seine Bühnenpartnerin. Er verfügt über eine Stimme, die zwar zu seiner Partie passt, aber er konnte sich, noch, nicht recht frei singen. Am Anfang des dritten Aktes, in dem Moment also, auf den alle im Publikum warten, gelangen ihm einige wirklich schöne Momente; an anderen Stellen widerum klang er zu wenig präsent, mitunter sogar matt – auch er hat also Entwicklungspotenzial für die folgenden Abende.
Die Nebenfiguren waren mit Richard Walshe als Angelotti, Daniel Eggert als Messner und Pavel Brozek als Spoletta sehr solide besetzt, wenngleich sie alle in dieser Inszenierung wenig Möglichkeiten haben, sich zu zeigen.
Kräftiger Beifall mit vielen Bravos für das Ensemble, Kevin John Edusei und den wie immer sehr präsenten Staatsopernchor. Vasily Barkhatov nahm die Buhrufe gelassen entgegen.
Christian Schütte