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HANNOVER/ Staatsoper: LA JUIVE. Neuinszenierung

19.09.2019 | Oper
Hannover: La Juive (Die Jüdin) von Fromental Halevy 18.9.2019
 
An der Staatsoper Hannover wird die Spielzeit mit La Juive (die Jüdin) von F.Halevy in der Neuinszenierung von Lydia Steier und dem Dirigat von Constantin Trinks eröffnet. Dieses Werk gehört mittlerweile mit den großen Meyerbeer-Opern zu der wieder im Repertoire präsenten Pariser Grand Opera etwa zwischen 1830 und 1860.

Lydia Steier
läßt sich bei der Inszenierung nicht lumpen und setzt sie grandios in Szene, was auch bedeutet, ein Gesamtkunstwerk aus großen Ensemble- und Massenszenen, imposanten Bühnenaufbauten und vielfältigen Kostümen aus verschiedenen Epochen bis zu einzelnen ChoristInnen und Statist*Innen hinunter mit einigem Aufwand zu zelebrieren. Trotzdem gerät es dabei nie zum reinen Klamauk-Spektakel. Dafür sorgt auch die sehr differenzierte Musik, die immer sehr spannungsvoll wirkt und unter Constantin Trinks‘ Leitung in toller Manier vom Staatsorchester Hannover bewältigt wird. Sicher haben die Staatstheater da nicht gespart, aber die Gelder wurden sinnvoll verwendet und das Publikum 3 1/2 Stunden in Bann gehalten. Und wo es an kleineren Bühne am ehesten noch haken könnte: die ausladend schwierigen Gesangspartien sind allesamt mit SolistInnen der ersten Reihe besetzt, denn es werden zwei enorm umfangreiche Tenorstimmen, sowie ähnlich zwei stimmstarke versierte Soprane verlangt, die auf höchstem Niveau zu agieren haben.
  • Die Geschichte der ‚Jüdin‘ spielt sich während des Kirchenkonzils im 15.Jahrhundert in Konstanz ab. Alles Volk ist auf den Beinen und erwartet die Rückkehr des Kronprinzen Leopold aus dem siegreichen Krieg gegen die Hussiten. Der Jude Eleazar wird mit seiner Tochter aus seiner Wohnung geholt, weil er an einem christlichen Feiertag als Goldschmied seiner Arbeit nachgeht. Seine Verurteilung verhindert der Kardinal Brogni, den eine Vorgeschichte mit Eleazar in Rom verbindet. Prinz Leopold will seine Geliebte Rachel, die er in der Verkleidung als „Jude Samuel“ bei Eleazar kennengelernt hat, wiedersehen. Dem sich erneut gegen die Juden richtende Menschenauflauf bereitet diesmal der ‚Jude Samuel‘ ein Ende, indem er seinen Einfluß auf die Stadtpolizei geltend macht, worüber sich die Leute natürlich sehr wundern. Am Abend begehen die Juden im Haus Eleazars das Pessachfest, bei der plötzlich die Prinzessin Eudoxie erscheint und für ihren Ehemann Leopold ein Schmuckstück bestellt. Später gesteht „Samuel“, allein geblieben mit Rachel, daß er kein Jude ist, sondern Christ, und sie ringen sich dazu durch, gemeinsam zu fliehen, um die Hindernisse zu überwinden, werden aber von Eleazar ertappt und an der Flucht gehindert. Auch Leopold macht einen Rückzieher und wird vom Juden verflucht. Rachel folgt ihm aber zu Eudoxie, bei der sie sich als Dienstmädchen verdingt. Auf dem Fest zu Leopold Rückkehr wird dieser von Rachel und dem mit dem Schmuck erschienenen Eleazar öffentlich entlarvt und von Brogni wegen Unzucht mit einer Jüdin exkommuniziert und zusammen mit den Juden verhaftet. Eudoxie fleht Rachel im Gefängnis an, ihr Geständnis zu widerrufen und so ihren Mann zu retten. Kardinal Brogni versucht nun, auch Rachel aus Mitgefühl zu retten, indem er Eleazar zum Übertritt zum Christentum auffordert, was mißlingt. Dieser verkündet hingegen, daß Brognis totgeglaubte Tochter noch am Leben sei. Daß sie dessen eigene Tochter ist, gibt er erst im Moment ihrer Hinrichtung preis.
Steier legt die Inszenierung als Zeitreise auf Schauplätze in die jüdische Vergangenheit seit der Diaspora an. Im 1.Akt sehen wir vor der wie aus großen Mosaiksteinen gebildeten Hinterwand des Kardinalpalastes (Bb.: Momme Hinrichs (fettFilm) das sich auf Tribünen ansammelnde Volk, bis Brogni selber aus einem sich öffnenden Fenster in der Mauer sichtbar wird. Fremdenhaß und Intoleranz verstecken sich in der US-Gesellschaft der 50er Jahre hinter bunten Luftballons. Samuel fährt in einem großen US-Schlitten vor, trägt Elvistolle und Kippa und singt in Rock’n‘ Roll-Manier mit Gitarre (zu original Gitarrenbegleitung von Halevy) ein Ständchen für Rachel, von dem sich auch eine Anzahl anderer Ladies sich angezogen fühlen. Die Pessachszene danach soll in der anbrechenden NS-Herrschaft in Deutschland spielen. Im Überwachungsstaat können die Juden ihre Rituale nur noch im Geheimen zelebrieren und in ständiger Angst, daß es nachts laut an der Tür klopft. Die Szene im Palast von Eudoxie und Leopold wird 1738 am Stuttgarter Hof von Herzog Karl verortet. Unter den Rokoko-Perücken lauert hier der Fremdenhaß. Der finanzielle Berater des Herzogs, der Jude Joseph Süß Oppenheimer wird zum Tod verurteilt. Später läßt Josef Göbbels den Propagandafilm ‚Jud Süß‘ drehen, der die Fakten verdreht und der von mehr als 20 Millionen Menschen gesehen wird. Steier inszeniert das adäquat in großen Massenpulks. Der 4.Akt, in dem die Verhöre Brognis mit den Juden, Vater und Tocher, stattfinden, spielt auf der Iberischen Halbinsel, in Spanien 1492. Nach der letzten Riconquista Granadas ist das ganze Land wieder in der Hand der Katholiken. Juden und Muslime werden zum Religionswechsel gezwungen. Hier sind die spanischen Inquisiteure auch in große rotweiße Roben und mit überdimensionalen Hüten dargestellt und schleifen die ‚Delinquenten‘ zu den Verhören (Kostüme Alfred Mayerhofer). Der Schlußakt kommt dann etwas früher, in Konstanz 1414 an, und hier wird das Konzil als großes Volksfest gezeigt. Wie Panzerwagen anmutend werden Karren mit Zerrbildern von Juden durchgefahren, ein erschlagener jüdischer Junge liegt auf einer Holzpalette, an dem die lüsterne Menge vorbei defiliert und sich auf den Rängen zur Hinrichtung breit macht. Diese wird anschließend gezeigt, und bei ihr muß Rachel in einem Glaskubus in kochendes Wasser hineinspringen, von Mickimaus-Schergen begleitet.
 

Das Orchester spielt die harmoniegesättigte Musik mit großem Applomb, aus der Constantin Trinks auch immer wieder einzelne Instrumente wie die prächtigen romantischen Hörner herauszitiert. Einzigartig auch die Begleitung der Schlußarie Eleazars mit Oboe und Englischhorn. Die wirklich versierten klangprächtigen Chöre haben immer wieder protagonistisches Gepräge und werden von Lorenzo Da Rio geleitet. In den Nebenrollen sind Pavel Chervinsky und Yannick Spanier gut besetzt. Die Prinzessin Eudoxie, in prachtvoll designten Roben, wird von Mercedes Arcuri mit hellen versierten Sopran bei angenehmem Timbre gesungen. Shavleg Armasi als Kardinal Brogni kann sich auf seinen samtenen stark geführten expressiven Baß jederzeit verlassen. Den Leopold interpretiert Matthew Newlin mit ansprechendem Tenor und in der Arie klangprächtig bis in höchste Zonen. Sein Gegenpart Eleazar ist Zoran Todorovich mit sich aus der blendend feinfühligen Mittellage in höchste Höhen aufbauenden bestechenden Phrasen seines Heldentenors. Als seine Tochter Rachel sorgt Hailey Clark für ganz große Furore. Ihr Sopran steht ihr mit traumwandlerischer technischer Sicherheit so zur Verfügung, daß sie jede minimale Veränderung in der Tongebung mit absoluter Leichtigkeit erzielen kann. Bei schönstem dunkel ansprechendem Timbre ist sie stimmlich einfach eine Wucht und kann ihre Phrasen in den Arien immer aufs schönste aufblühen lassen.

Friedeon Rosén

 

 

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