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HANNOVER: NDR Radiophilharmonie, Widmanns eise zu Beethoven

09.12.2023 | Konzert/Liederabende

NDR Radiophilharmonie Hannover, 08. Dezember 2023

Widmanns Reise zu Beethoven

Die NDR Radiophilharmonie ist gerade in einer Interimssaison, Andrew Manze hat das Orchester im Sommer verlassen, sein Nachfolger Stanislav Kochanovsky kommt erst im nächsten Jahr. Nichtsdestoweniger ist die aktuelle Spielzeit ausgesprochen vielseitig, sowohl was die Programme, die Solisten als auch die Dirigenten betrifft. Jörg Widmann, Komponist, Klarinettist und Dirigent, verbindet eine lange Zusammenarbeit mit dem hannoverschen NDR-Orchester, und es ist sicher ein großer Gewinn, dass er ab dieser Saison erster Gastdirigent des Klangkörpers ist. Zu seinem Auftaktkonzert verband Widmann eigene Werke mit zweien Ludwig van Beethovens, der ihn in vielfältiger Hinsicht für sein eigenes Schaffen inspiriert hat.

Jörg Widmanns Einstieg in seine neue Position nahm er zum Anlass für ein “Familienkonzert”, seine Schwester, die Violinistin Carolin Widmann, trat als Solistin auf. Zu Beginn des Abends gab es eine Rarität aus der Feder Beethovens zu hören. Der Konzertsatz C-Dur für Violine und Kammerorchester ist erst aus dem Nachlass Beethovens bekannt geworden, vermutlich schuf er die Komposition als 20-jähriger. Wilfried Fischer hat den fragmentarischen Satz 1971 vollendet, und das jetzt gut 20-minütige Werk lässt schon vieles von dem erkennen, was den späteren Beethoven im Hinblick auf thematische Entwicklungen und instrumentatorische Einfälle ausmacht. Carolin Widmann war der NDR Radiophilharmonie eine kongeniale Partnerin und nutzte im Anschluss an Beethoven die Gelegenheit, sich noch stärker virtuos als Solistin zu profilieren – und zwar ganz allein auf der Bühne. Sie spielte zwei der fünf Études für Violine solo ihres Bruders. In allen nur denkbaren Facetten nutzt Jörg Widmann die klanglichen und spieltechnischen Möglichkeiten der Violine aus, lässt den Solisten sogar Töne singen, um Vielstimmigkeit zu erreichen. Carolin Widmann brachten die enormen Anforderungen an Geläufigkeit nicht aus der Bahn, sie stand in jedem Moment souverän über der ausgesprochen anspruchsvollen Komposition.

Dass Jörg Widmann nicht nur für die Violine aus einer Fülle instrumentatorischer Phantasie schöpfen kann, sondern auch für ein großbesetztes Orchester, zeigte sich eindrucksvoll in seinem Danse macabre, eine Auftragskomposition verschiedener Orchester, darunter auch die NDR Radiophilharmonie; an diesem Abend erlebte das Werk seine Deutsche Erstaufführung. Widmann spielt mit den Kontrasten, dynamisch, rhythmisch, zieht Farbregister im Orchester, die die Nähe zur Filmmusik nicht leugnen können. Ein beeindruckend makabres Feuerwerk ist dem Komponisten gelungen, dass er mit der Radiophilharmonie markant, auftrumpfend, durchaus martialisch und in jedem Augenblick absolut sicher zum Klingen brachte.

Den Abschluss des Programms bildete Beethovens siebte Sinfonie. Widmanns Lesart der Partitur war auf den ersten Eindruck sehr ungewöhnlich. Er dehnte den Anfang der ersten Satzes auf beinahe irritierende Langsamkeit, entfachte danach umso mehr ein unbändiges Potential an Rhythmik und Agilität. Beeindruckend intensiv gelang der zweite Satz, hochkonzentriert und            emotional aufgeladen. Kaum zu bändigen schließlich war die Energie, mit der Widmann die NDR Radiophilharmonie durch den dritten und vierten Satz antrieb. mit virtuosen Tempi, ohne dabei an Klarheit und Transparenz zu verlieren. Ein kantiger, fast schon schroffer Beethoven war das, eine Interpretation, die aber viel Neues in der siebten ans Licht brachte und das Publikum zu begeistertem Beifall animierte.

Ein mehr als gelungener Einstand für Jörg Widmann als neuer erster Gastidirigent beim NDR in Hannover. 

 

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