Pathos und Intensität
NDR Radiophilharmonie Hannover, NDR Konzerthaus, Großer Sendesaal, 16. Januar 2025
Für das zweite Konzert im Ring C der NDR Radiophilharmonie Hannover war Pathos als Schlagwort auf Plakaten und Programmheft zu lesen. Chefdirigent Stanislav Kochanovsky hatte dafür ein Programm mit Werken aus seiner russischen Heimat zusammengestellt, eine ausgewogene Mischung aus sehr bekannten und eher selten zu hörenden Kompositionen.
Letztere nahmen die erste Konzerthälfte ein, zwei Werke von Dmitrij Schostakowitsch. Beiden gemeinsam ist das Entstehungsjahr, 1967, sowie die Grundtonart, cis-Moll. Musikalisch gibt es sonst wenig Parallelen. Das Sinfonische Poem für Orchester “Oktober” schuf Schostakowitsch zum 50. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution 1917. Die Themen und Motive der für groß besetztes Orchester geschriebenen Komposition lassen eindeutig Anklänge an Militärmusik durchhören, es gibt allerdings auch viele Assoziationen zu den Filmmusiken des Komponisten, worin für Stanislav Kochanovsky auch eine wesentliche Essenz des Werkes liegt. Er betonte so vor allem die Breitflächigkeit der Partitur, die plastische, viele Bilder erzeugende Instrumentation und formte “Oktober” zu einem mitreißenden Klangerlebnis.
Weniger auf Virtuosität, viel mehr auf Ruhe, Konzentration und Zusammenspiel mit den Orchesterstimmen ist Schostakowitschs zweites Violinkonzert ausgelegt. In Leonidas Kavakos hat Kochanovsky dafür den genau richtigen Partner an der Solovioline gefunden. Kavakos gab dem Werk genau die innere Ruhe und Konzentration, die es verlangt. Selbst in den bewegteren Momenten, wie zum Beispiel am Ende des dritten Satzes, geht es hier nie um äußere Virtuosität, sondern stets um einen Dialog mit dem Orchester. Leonidas Kavakos spielte das Konzert mit warmem Ton, der auch einmal matt klang, wo es die Komposition erfordert, insgesamt verlieh er dem Konzert tiefe Intensität und wurde dafür mit ebenso intensivem Beifall gefeiert.
Nach der Pause stand mit Tschaikowskys “Pathétique” ein Klassiker des sinfonischen Repertoires auf dem Programm. Der Titel ist nicht von ungefähr für die Sinfonie gewählt, sie enthält, vor allem im ausladenden ersten Satz, viele pathetische Momente. Stanislas Kochanovsky und die ihm konzentriert folgende Radiophilharmonie zeigten an diesem Abend eindrucksvoll, dass es gelingen kann, dieses immanente Pathos sehr klar herauszustellen, ohne dabei zu vordergründig oder sentimental zu werden; sie zeigten, wie es möglich ist, pathetisch zu sein, und dennoch mit klarem, konzentriertem Blick durch die Partitur zu gehen. Nach dem spannungsgeladenen ersten Satz diesen Bogen über die folgenden drei zu halten, bis zum sehr verinnerlichten Ende, das ist Dirigent und Orchester an diesem Abend eindrücklich gelungen. Langer, intensiver Beifall für einen starken Konzertabend.
Christian Schütte