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HANNOVER: DIALOGUES DES CARMÉLITES- Neuinszenierung

07.06.2018 | Oper

Dialogues des Carmélites

Staatsoper Hannover, 06. Juni 2018, Premiere am 02. Juni

Lange Zeit hat Francis Poulencs wohl bekanntestes Werk auf die Opernbühne in Hannover gebraucht, denn diese Neuinszenierung ist die Erstaufführung am Haus.

Regisseur Dietrich W. Hilsdorf erzählt die Geschichte in klarer Konzentration auf die Zwischenmenschlichen Beziehungen und formt die Charaktere mit Präzision, Intensität und psychologischem Feinschliff. Allein deswegen bräuchte es die deutschen Übertitel kaum, um in die Geschichte hineingezogen zu werden. Ebenso klar ist der Raum, den Dieter Richter geschaffen hat. Ein Einheitsbühnenbild für den Abend, ein lang gezogener Raum, unten holzvertäfelte, oben tapezierte Wände, die in ihrer Massivität Enge und Begrenzung ausstrahlen. Nach vorne hin ist der Raum durch seitwärts einfahrende Wände begrenzbar. Im Hause la Force, im Kloster, auf der Straße, im Gefängnis – wo auch immer die Szene tatsächlich spielt, dieser Raum schafft es, die für das ganze Stück so bezeichende Atmosphäre aus Enge, Beklemmung und Einschränkung darzustellen. Es geht weniger um den äußeren Szenenwechsel, sondern viel mehr um die inneren Wandel der Figuren, allen voran der Blanche. Renate Schmitzer hat Kostüme im Anklang an die 50er Jahre, einfache Schnitte und Farben, gefunden. Die Nonnen tragen keinen Habit, sind doch aber durch bewusste Einheitlichkeit des Kleidungsstils als einander zugehörig erkennbar.

Poulencs Oper, der Titel allein macht das deutlich, ist ein Stück voller Zwiegespräche. Größte inszenatorische Herausforderung ist zweifelsohne der Schluss. Wie lässt ein Regisseur auf der Bühne 16 Nonnen am Schafott sterben? Hilsdorf findet eine fast schon atemberaubend intensive Lösung. Die Nonnen stehen ganz vorne im Raum, mit Blick in den Zuschauerraum, das verächtliche Volk blickt aus dem dritten Rang auf sie herab. Eine nach der anderen läuft nach Hinten, am Ende des Raumes öffnet sich eine Tür, dahinter erscheint ein weiß leuchtendes Nichts, jede einzelne verschwindet darin, und das Fallen des Beils am Schafott ist hier das Zuschlagen der Tür. Und das alles vollzieht sich vor grell erleuchtetem Saal – alle, auch das Publikum, sind unweigerlich Zuschauer dieser Todesszene. 

Kapellmeister Valtteri Rauhalammi hat das bestens disponierte Staatsorchester insgesamt sehr gut auf Poulencs stilistisch divergente, mitunter geradezu wankelmütige Partitur eingestimmt. Dialoge müssen begleitet, sie dürfen nicht überdeckt werden, das gelingt genauso überzeugend wie etwa die suggestive Kraft der Sterbeszene der alten Priorin sowie des Schlusses, einschließlich des großartigen Salve Regina.

Das gesamte Ensemble auf der Bühne verdient großes Lob. Dorothea Maria Marx vollzieht die inneren Kämpfe und die Ängste der Blanche absolut überzeugend und gibt der Partie mit leuchtender Kraft viel Nachklang. Nicht minder intensive vokale wie darstellerische Charakterstudien zeigen Monika Walerowicz als Mère Marie und Ania Vegry als Sœur Constance. Renate Behle war in ihrer Zeit als festes Ensemblemitglied eine der prägenden Sängerpersönlichkeiten des Hauses, hat hier ihren Fachwechsel vom Mezzo- zum dramatischen Sopran vollzogen. Über 20 Jahre nach ihrem Abschied von Hannover kehrt sie nun als alte Priorin Madame de Croissy zurück und gibt der Rolle ein starkes Profil. Nicht nur als packend-intensive Darstellerin, sondern vor allem dank ihrer noch immer beeindruckenden stimmlichen Möglichkeiten.

Kelly God als neue Priorin sowie die die weiteren Nonnen, Stefan Adam und Simon Bode als Herren de la Force, bis hin zu den kleinsten Partien – es fällt niemand in diesem Ensemble aus dem Rahmen, alle sorgen als beeindruckende Gemeinschaftsleistung für Spannung von der ersten bis zur letzten Sekunde.

Der Staatsoper Hannover ist zum Ende der Saison eine ausgesprochen hörens- und sehenswerte Aufführung gelungen, die, zumindest in der kommenden Spielzeit, keine Wiederaufnahme erfahren wird. Schade, dass bereits zur zweiten Vorstellung das Haus nicht einmal zur Hälfte gefüllt war. Eine stattliche Produktion hätte ein ebenso stattliches Publikum verdient.  

Christian Schütte

 

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