Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

HANAU/ Congress Park: Konzert mit der Neuen Philharmonie Frankfurt unter Jens Troester / Ben Kim (Klavier)

09.03.2025 | Konzert/Liederabende

HANAU/ Congress Park: Konzert mit der Neuen Philharmonie Frankfurt unter Jens Troester / Ben Kim (Klavier) am 8.3.2025

Zwischen Fragen, Hoffen und Lieben – Ein Abend voller Ausdruckskraft

tro
Jens Troester – Copyright by Mike Bender

Ein Konzertabend ist mehr als nur eine Abfolge von Werken – er ist eine Erzählung, manchmal ein Drama, ein innerer Dialog zwischen Komponist, Interpreten und Zuhörern. Im Congress Park Hanau entwickelte sich unter der Leitung von Jens Troester ein Programm, das genau diese Erzählkunst fein auslotete: von der entrückten Stille Arvo Pärts über die suchende Hoffnung Beethovens bis hin zur melancholisch glühenden Leidenschaft von Brahms. Die Neue Philharmonie Frankfurt musizierte mit feiner Sensibilität, und Ben Kim, als Solist in Beethovens viertem Klavierkonzert, erwies sich als wahrer Geschichtenerzähler am Klavier.

Arvo Pärts „Fratres“ ist ein faszinierendes Werk, das sich der sogenannten Tintinnabuli-Technik bedient – einer Kompositionsweise, die Einfachheit mit spiritueller Tiefe verbindet. Das Stück existiert in zahlreichen Bearbeitungen für verschiedene Besetzungen, doch allen Versionen gemein ist ein meditatives Wechselspiel zwischen statischen und beweglichen Elementen. Es ist Musik, die sich nicht einfach entfaltet, sondern den Zuhörer langsam in eine besondere Aura zieht. Wie ein fernes Echo aus einer anderen Welt hob der Abend mit Arvo Pärts „Fratres“ an. Dirigent Jens Troester wählte aus den 17 Versionen der Komposition die Fassung für Bläseroktett und Schlagzeug. Schon der erste Klang – ein leiser Bläserakkord, dem nach wenigen Sekunden ein Impuls aus Schlagholz und großer Trommel folgte – ließ den Raum in eine besondere Spannung tauchen. Es war, als würde sich die Zeit für einen Moment dehnen.

Jens Troester ließ die Musiker die fragile Architektur der Musik mit Behutsamkeit formen. Die Bläser – in einem sanften Crescendo atmend – schienen sich nicht nur in Lautstärke, sondern auch in Farbe zu wandeln. Mal schimmerten sie weich, dann wieder nahmen sie eine brüchige Qualität an. Und immer wieder: die insistierende, gleichsam rituelle Wiederkehr der Ostinato-Figur, vom Schlagzeug grundiert. Was hier die kleine Formation der Musiker leistete, war kein bloßes Spiel mit Wiederholungen, sondern das sensible Austarieren kleiner Nuancen: Wie viel Luft lässt man zwischen den Tönen? Wann darf eine Klangfarbe dominieren? Wann muss sie zurückgenommen werden? Die Musiker fanden eine Balance, die Pärts Komposition nicht als bloßes Klangexperiment erscheinen ließ, sondern als einen Moment tiefer musikalischer Meditation.

Nach der meditativen Stille ein anderes Phänomen: Leise, tastende, fragende Akkorde im Klavierspiel, ohne Orchester, schlicht, warm – und doch revolutionär. So hebt Ludwig van Beethovens viertes Klavierkonzert an, mit einer Geste, die nicht verkündet, sondern fragt. Ben Kim ließ diesen Akkord nicht einfach erklingen, sondern formte ihn mit größter Bedachtsamkeit, fast als würde er ihn in die Luft zeichnen. Das Orchester antwortete – gedämpft, nachdenklich, als ob es dem Solisten zunächst zögerlich auf seinem Weg folgen würde.

troer
Ben Kim – Copyright by Neda Navaee

Ben Kim ist ein Pianist, der keine überflüssigen Gesten macht. Seine Virtuosität ist Mittel zur künstlerischen Freiheit – doch sie dient nie dem Selbstzweck. Sein Spiel lebt von einer ungemeinen Sensibilität für die inneren Zusammenhänge der Musik. Im ersten Satz war es vor allem seine Phrasierung, die faszinierte: Die Läufe perlten nicht einfach, sie hatten Richtung, sie erzählten eine Geschichte. Eine Geschichte von Hoffnung, von tastendem Fortschreiten, von Widerständen, die sich in Klang auflösten. Die intensive Kadenz geriet zum intensiven Dialog zwischen Künstler und Komposition.

Das Orchester folgte ihm aufmerksam, die Holzbläser mal fragend, mal mit gesanglicher Wärme antwortend. Die Streicher breiteten einen Klangteppich aus, der nie schwer, sondern stets durchlässig blieb. Jens Troester hielt das Ensemble mit klarem Gespür zusammen, ließ dem Solisten Raum, ohne die Fäden aus der Hand zu geben.

Und dann – dieser zweite Satz in einem ganz besonderen Vortrag! Ein Satz, in dem die Musik selbst zum Drama wird. Die Streicher setzen ein: sehr schroff, hart und völlig unerbittlich. Das Klavier antwortet – nicht mit Wucht, sondern mit einer geradezu entwaffnenden Sanftheit. Es ist ein Streit, aber einer, der nicht mit Gewalt ausgetragen wird, sondern mit einer Art stiller Überlegenheit. Kim spielte diese Passagen mit einer berührenden Innerlichkeit. Die leisen Töne waren nicht bloß leise – sie hatten eine Spannung, eine fragile Kraft, die das Orchester zu beeinflussen schien. Je weicher der Solist wurde, desto zarter antworteten die Streicher – bis sie sich schließlich selbst auflösten. Was Jens Troester hier mit der Neuen Philharmonie Frankfurt an Kontrasten zauberte, war enorm faszinierend und gerade in der Wechselwirkung mit dem herausragenden Ben Kim am Flügel ein großes Geschenk an die Zuhörer!

Das Finale brachte einen völlig anderen Geist: Leichtfüßig, tänzerisch, mit funkelnden Läufen und perlenden Passagen, die Kim mit federnder Eleganz gestaltete. Und doch fehlte ein entscheidendes Element, das diesem Satz seinen besonderen Charakter verleiht: die markanten rhythmischen Akzente der Pauke. Ihr Spiel blieb an diesem Abend ungewohnt zurückhaltend, sodass das sonst so treibende Wechselspiel mit den Trompeten – dieses vorwärtsdrängende, beinahe galoppierende Moment – zu viel an notwendiger Klarheit verlor. Statt scharf gesetzter Impulse blieb der rhythmische Puls diffus, wodurch der Satz leider allzu deutlich seine charakteristische Energie einbüßte und vom Orchester zu weich vorgetragen wurde. Diese Einschränkung hinderte Kim nicht daran, immer wieder Momente aufblitzen zu lassen, in denen das Fragende, das Suchende dieses Konzerts durchschimmerte. Am Ende: kein donnerndes Finale, sondern ein schwereloses Ende – als würde die Musik sich in Licht auflösen.

Jubelnder, begeisterter Applaus. Das Publikum spürte: Dies war eine Interpretation, die nachwirken würde. Und wie wurde es ein weiteres Mal beschenkt: Ben Kim spielte eine hingebungsvolle Ballade Nr. 3 von Fréderic Chopin. Hinreißend!

Nach der Pause öffnete sich die Tür zu einer anderen Welt: der Welt von Johannes Brahms. Seine dritte Sinfonie, die mit einem heroischen Seufzer beginnt und doch letztlich in Stille endet. Jens Troester setzte von Beginn an auf eine Interpretation, die die inneren Verflechtungen der Themen betonte. Kein zu hartes Gegeneinander der Motive, sondern ein organisches Ineinandergreifen. Gerade die Dialoge zwischen den fein abgestuften Holzbläsern und den wogenden Streichern gelangen vortrefflich.

Die Neue Philharmonie Frankfurt entfaltete die dynamischen Bögen mit einer Natürlichkeit, die nichts Aufgesetztes hatte. Die Bläser setzten feine, atmende Akzente, während die Streicher mit Wärme musizierten. Gerade der zweite Satz gewann hierdurch eine anmutige Kantabilität, die diesen Abschnitt besonders deutlich in den Mittelpunkt stellte. Besonders das berühmte Poco Allegretto im dritten Satz wurde dann zu einem berührenden Moment: Die Melodie sang – nicht sentimental, sondern mit einer tiefen, schmerzlichen Schönheit. Es war, als würde die Musik in Erinnerungen schwelgen, ohne je ganz darin zu verweilen. Das Finale war geprägt von dunkler Glut. Die Dynamik steigerte sich, ohne je überhitzt zu wirken. Troester formte den Schluss so, wie es sein musste: nicht als triumphale Apotheose, sondern als leises Verklingen, das mehr Fragen offenlässt, als es beantwortet.

Manche Konzerte sind beeindruckend. Andere sind bewegend. Und dann gibt es jene besonderen Abende, an denen beides zusammenkommt – wo Klang nicht nur gehört, sondern gespürt wird, wo Musik einen Raum betritt, der über das bloße Hören hinausgeht.

Die Neue Philharmonie Frankfurt erwies sich als wandlungsfähiges Ensemble mit klanglicher Bandbreite, Jens Troester als wissender Dirigent, der nicht inszeniert, sondern gestaltet. Und Ben Kim? Er ließ nicht nur hingebungsvoll die Tasten sprechen, sondern die Musik seelenvoll atmen.

Ein Abend voller Fragen, voller Hoffnungen – und voller Liebe zur Musik.

Dirk Schauß, 09. März 2025

Konzert mit der Neuen Philharmonie Frankfurt am 08. März 2025 im Congress Park Hanau

 

 

Diese Seite drucken