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HAMBURG/ Thalia Theater: H. – 100 SECONDS TO MIDNIGHT von Robert Wilson

10.06.2023 | Theater

HAMBURG/ Thalia Theater: H. – 100 SECONDS TO MIDNIGHT von Robert Wilson am 7.6.2023

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Kinder der Apokalypse. Copyright: Lucie Jansch

Vor einigen Jahren ist es mir widerfahren, dass ich in einer einzigen Saison gleich d r e i Produktionen von Robert Wilson gesehen habe: Krapps Last Tape, Adams Lament und Nijinskys Diaries. Danach hatte ich mir geschworen, nie wieder in eine Inszenierung von „Bob“ zu gehen: immer dieselbe Ästhetik, diese künstlichen Gesten, dieses eiskalte Licht, diese gefühlskalte Regie, diese jenseits der Schmerzgrenze angesiedelten Soundeffekte…Unerträglich!

Als ich unlängst in Hamburg weilte, wurde ich wieder in Versuchung geführt, als ich am Spielplan des Thalia-Theaters sein neuestes Werk „H.- 100 Seconds to Midnight“ entdeckte . Der Titel bezieht sich übrigens auf die Doomsday Clock, die Weltuntergangsuhr der amerikanischen Wissenschaftszeitung Bulletin of the Atomic Scientists. Sie steht auf 100 Sekunden vor der Apokalypse .

Aus irgendeinem Grund ( der enigmatische Titel? der Verweis auf Texte von Stephen Hawking, Etel Adnan und Paul Klee ?) begann mich das zu interessieren, ich wurde schwach und gab der Versuchung nach. Und das war gut so !

Mein Gefühl hatte mich nicht getrogen: „100 Seconds“ ist der beste Wilson seit laaaanger Zeit,

in gewisser Weise erweckt er sogar Erinnerungen an den ganz frühen, ganz jungen Bob und ist genau genommen der erste Wilson seit Menschengedenken mit Inhalt, nicht nur mit Form.

Zwar sind alle seine Maschen, seine Tricks, seine „Schticks“ hier natürlich wieder versammelt: das Licht, die Kostüme, die stilisierten Gesten, die Sound-Effects…aber irgendwas ist diesmal anders.

Denn der Abend lässt einen nicht kalt wie sonst, sondern fesselt, bewegt, geht zu Hirn und Herzen. Woran das liegen mag ? Mit ziemlicher Sicherheit am Dramaturg-Intendanten Joachim Lux, der die „Text-Partitur“ erstellte mit den genialen, faszinierenden Texten eben von Stephen Hawking, Etel Adnan und Paul Klee.

Man kommt aus dem Zuschauen, man kommt aus dem Zuhören gar nicht mehr heraus. Man ist nur nie gelangweilt, sondern ist im Gegenteil jede Sekunde lang gebannt von der funkelnden Ungewöhnlichkeit der gesprochenen Texte, wenn man Sätze hört wie „Das Quadrat ist die Leidenschaft des Geistes“, „Was war vor dem Big Bang ? oder „ Ach, wenn ich nichts anderes täte als Rosen zu zeichnen, vielleicht wird eine von ihnen zu mir sprechen“ etc.etc. Die Synapsen glühen, die Synapsen japsen, die Synapsen sind glücklich…

Das Ensemble – von Jungstar Jens Harzer über Tim Porath, Marina Galic und Neuzugang Pauline Rénevier bis zu Doyenne Barbara Nüsse (auch die Tänzerinnen Yunseo Choi, Ping-Cheng Wu und Moe Gotoda in der Choreographie von Lucinda Childs nicht zu vergessen!) ist ganz ganz wunderbar, und am Ende des Abends wünscht man sich eigentlich nur, dass alles wieder von vorn beginnen möge..

Lieber Milo Rau, laden Sie doch diese 100 Seconds nach Wien ein ! Das Publikum würde es ihnen danken.

Robert Quitta, Hamburg

 

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