HAMBURG/ Staatsoper: HÄNSEL UND GRETEL am 12.12. 2021 (Abendvorstellung)
Copyright: Staatsoper Hamburg/ Hans-Jörg Michel
An der Hamburgischen Staatsoper darf nach zwei Jahren Pause nun wieder eine lieb gewonnene Tradition zelebriert werden: Nämlich die Wiederaufnahme von Humperdincks Märchenoper “Hänsel und Gretel” in der Regie von Peter Beauvais, welche am Nikolaustag 1972 ihre Premiere feierte und damit mehr Jahre auf dem Buckel hat, als die meisten der Akteure heuer. Zugegeben, der Zahn der Zeit nagt auch am Bühnenbild, manche Kulissen haben schon die ein oder andere Patina angesetzt, einiges an Mobiliar hat deutliche Gebrauchsspuren und überhaupt wirken viele der Farben wenig frisch und angegraut. Dennoch: dem Zauber einer klassischen Inszenierung dieses Werkes zur Weihnachtszeit kann man sich nur schwer entziehen, auch, weil eben nicht tiefenpsychologisch gedeutet wird und man einfach nur durch eine Bilderbuchlandschaft der Gebrüder Grimm geführt wird. Schön.
Viele bedeutende BühnendarstellerInnen haben in den vergangen Jahrzehnten in dieser Inszenierung gewirkt und auch heuer bekommt man eine überzeugende Besetzung geboten. Allen voran ein perfekt aufeinander abgestimmtes Geschwisterpaar von Jana Kurucová und Katharina Konradi. Das satte Timbre der slowakischen Mezzosopranistin mischt sich hervorragend mit Konradis silbrig-feinem Glockenklang, mit welchem die junge Sopranistin erst jüngst als Sophie im Münchner Rosenkavalier auf sich aufmerksam machte. Mit sichtbarer Freude wirbeln sie zusammen über die Bühne und machen das Bühnengeschehen für die Zuschauer erlebbar. In Hamburg ist es fast schon eine Tradition, die Rolle der Mutter mit ehemaligen Operndiven zu besetzen. Ist es vor einigen wenigen Jahren noch Cheryl Studer gewesen, bekommt man nun Brigitte Hahn geboten, die im Laufe ihrer langen Karriere von Lucia di Lammermoor bis zu sämtlichen Wagner-Heroinen kaum ein Fach ausgelassen hat und nach der Elektra-Aufseherin und einem Cover für die Titelpartie sich nun als Mutter Gertrud die Ehre gibt. Die Brünnhilden haben hörbar Spuren hinterlassen, die Mittellage hat nur noch wenig Fundament, lediglich in der Höhe blitzt noch mitunter der alte Glanz auf. Dennoch überzeugt Brigitte Hahn mit ihrer Darbietung einer ausgelaugten, am rauen Leben zugrunde gehenden Ehefrau und Mutter. Ihr zur Seite das chinesische Ensemblemitglied Deng Chao, dessen etwas zu sehr geknödelter Bass-Bariton mitunter auch sprachlich der Rolle des Besenbinders nur ansatzweise gerecht werden konnte. Mit Spannung erwartet wurde das Debüt der Hamburgischen Kammersängerin Hellen Kwon als Knusperhexe. Seit 1987 prägt die Koreanerin das Musikleben der Stadt, hat sich über die Jahre von der hohen Koloratur bis hin zum dramatischen Fach und Charakterpartien wie der Herodias folgerichtig nun auch der Humperdinckschen Hexe angenommen. Und sie enttäuscht auch diesmal nicht und verleiht der kindeshungrigen Waldbewohnerin ihren ganz persönlichen Stempel. Diese Hexe wartet mit verführerisch-feinen Trillern und Messa-di-voce auf, um im nächsten Augenblick das Brustregister nur so krachen zu lassen. Die neue Aufgabe bereitet ihr sichtlich Freude, den Zuschauern auch. Kady Evanyshyn als Sandmännchen und Tahnee Niboro als Taumännchen vervollständigen das Ensemble.
Das Philharmonische Orchester wird von Volker Krafft tatsächlich “kraftvoll” angeleitet, jedoch mit genügend Raum für entsprechende Nuancen. Selten hörte man diesen Klangkörper so gut aufeinander abgestimmt.
Sigrid E. Werner