Georges Bizet: Carmen, Staatsoper Hamburg, Vorstellung: 11.04.2019
(32. Vorstellung seit der Premiere am 19.01.2014)
Der Josef aus dem Baskenland
Die Staatsoper Hamburg ist eines der wenigen Häuser im deutschen Sprachraum, das Bizets opus ultimum in der originalen Fassung mit gesprochenen Dialogen zeigt. Die heute gängige Fassung mit den von Bizets Studienfreund Ernest Guiraud nachkomponierten Rezitativen entstand erst nach dem Tod des Komponisten (für die damalige Hofoper zu Wien).
Folgerichtig vermeidet die Inszenierung von Jens Daniel Herzog sämtliche romantischen und folkloristischen Klischees und zeigt die Geschichte der Carmen, wie schon die Vorlage zur Oper, die Novelle des Franzosen Prosper Mérimée, als Geschichte einer Frau, die sich in schwierigen Verhältnissen bewähren will und bewährt. Mathis Neidhart hat für die Geschichte der einfachen Leute in prekären Verhältnissen ein variables Einheitsbühnenbild geschaffen, das es erlaubt die Oper ohne grössere Unterbrechungen zu spielen. Die seitlichen, arkadenartigen Bühnenelemente bleiben die ganze Aufführung über gleich und rahmen die Zigarettenfabrik, die Kneipe und die Schmugglerszene ein. Zeitlich findet die Inszenierung im Spanien der jüngeren Vergangenheit statt. Die Zigarettenfabrik ist der einzige Arbeitgeber im andalusischen Dorf und hat wohl auch schon bessere Tage erlebt. Wohlstand sieht anders aus. Die Kneipe des Lilas Pastia hat den Charme der Bar einer Tankstelle an einer italienischen Landstrasse. Wild zusammengewürfeltes Mobiliar, kahle, schmuddelige Wände, ein beleuchteter Getränkekühlschrank und ein altes Fernsehgerät. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind so prekär, dass die Bewohner des Dorfes kein Geld für die Arena haben und so den Stierkampf am Fernsehen verfolgen müssen. Im dritten Akt werden die Produkte der örtlichen Zigarettenfabrik für den internationalen «Markt» geschmuggelt.
© 2014 Brinkhoff/ Mögenburg
Es wird also die originale Fassung gespielt, die wesentlich mehr Kraft hat, als die übermässig geglättete Rezitativ-Fassung, und die in einer Inszenierung, die absolut werkdienlich nur Rezeptionsgeschichte abkratzt, aber nicht glaubt etwas hinzufügen oder ändern zu müssen. Die Voraussetzungen sind eigentlich hervorragend.
Das Philharmonische Orchester Hamburg hat einmal mehr einen grossen Abend und beeindruckt durch Präzision und Spielfreunde. Die Voraussetzungen sind nur eigentlich hervorragend, denn unter Leitung von Pier Giorgio Morandi wird hier nicht eine Opéra comique sondern eine schwere, romantische, deutsche Oper oder eine Grand opéra gespielt. Der Eindruck, dass man nicht die Fassung aus den Noten, sondern die, die man jahrelang gewohnt ist spielt, setzt sich leider auch beim Personal auf der Bühnen fort.
Martin Muehle singt den Don Jose als wäre es ein Siegmund oder Siegfried – heldischer geht nicht. Von der „Leichtigkeit“ der Originalfassung ist nichts zu spüren. Das eindimensionale Dauerforte wirkt ermüdend. Seine Carmen Nadezhda Karyazina versucht wacker mitzuhalten, muss aber in den Akten drei und vier rasch die Waffen strecken und wird unangenehm schrill und scharf. Ihre Carmen erinnert an Brünhilde… Alexander Vinogradov als Escamillo hat einen prächtigen, das Haus mühelos füllenden Bariton zu Verfügung, den er, ganz anders als im Nabucco, an diesem Abend aber grobschlächtig und einfältig einsetzt. Die übrigen Mitwirkenden sind mit grosser Spielfreude am Werk, vermögen den Abend aber nur noch halbwegs erträglich zu machen.
Es bleibt der Eindruck, an einer ad hoc eingeschobenen Probe für die folgende, prominent besetzte Vorstellung beigewohnt zu haben.
Enttäuschend.
Weitere Aufführungen:
Dienstag 16.04.2019, 19.00 Uhr, Mittwoch 01.04.2020, 19.00 Uhr, Mittwoch 08.04.2020, 19.00 Uhr, Donnerstag 04.06.2020, 19.00 Uhr, Sonntag 07.06.2020, 19.00 Uhr, Mittwoch 10.06.2020, 19.00 Uhr.
14.04.2019, Jan Krobot/Zürich