Hamburg Laeiszhalle: Aleksandr Skrjabin, Klavierkonzert fis-Moll. Mathias Weber (Klavier), Haydn-Orchester Hamburg, Rida Murtada (23.11.2024)
Rida Murtada. Foto: Stefan Pieper
In der Musikgeschichte gibt es Werke, die jahrzehntelang im Schatten ihrer bekannteren Zeitgenossen verweilten – eines davon ist Aleksandr Skrjabins Klavierkonzert in fis-Moll. Verkannt und oft übersehen, fordert es sowohl die technischen Fähigkeiten der Ausführenden als auch die emotionale Tiefe der Hörer. Doch genau darin liegt die Faszination des Werkes: Dieses Jugendwerk des russischen Komponisten reicht in seiner Melancholie, Verspieltheit und musikalischen Raffinesse weit über seine Zeit hinaus. In einer packenden Aufführung unter der Leitung von Dirigent Rida Murtada und dem Hamburger Haydn-Orchester konnte der Pianist Mathias Weber die Schönheit und Komplexität dieses Meisterwerks neu zum Leben erwecken.
Skrjabins Klavierkonzert in fis-Moll stellt für die Ausführenden nicht nur aufgrund der Vielzahl an Vorzeichen eine Herausforderung dar, vielleicht ist dies auch ein Grund, warum diese Partitur so selten auf den Pulten liegt? Wer dennoch eintaucht, entdeckt ein spannendes musikalisches Zeitdokument eines Übergangs. Der Hamburger Pianist Mathias Weber, ein forschender Geist ebenso wie ein unbestechlicher Könner auf dem Instrument, erwies sich als idealer Vermittler, um zusammen mit dem hochmotivierten Hamburger Haydn-Orchester, diesem reichen Organismus alle Poren zu öffnen.
Mathias Weber. Foto: Stefan Pieper
Das Konzert repräsentiert eine Epoche des Umbruchs, geprägt von einer Kunst der Verfeinerung und brillanten Verspieltheit, die die Bezeichnung „musikalischer Jugendstil“ vollauf rechtfertigt. Der detailverliebte Reichtum dieser Musik offenbart sich in jedem Takt. Tief in der russischen Romantik verwurzelt, spiegelt das Werk jene faszinierende Übergangsphase in Skrjabins Schaffen wider, in der er sich zwar noch stark von der romantischen Musiktradition beeinflussen ließ, jedoch bereits deutliche Ansätze seiner späteren, komplexeren musikalischen Sprache entwickelte. Diese Dualität zeigt sich in verschiedenen Facetten: Mal sind es einschlägige Anspielungen auf Chopin, dann wieder pathetische Momente, die von Skrjabins bekannter Wagner-Verehrung zeugen. Selbst die synästhetischen Visionen des Komponisten, der später in nahezu spirituelle Dimensionen vorstoßen sollte, lassen sich in zarten Andeutungen bereits erahnen.
All diese Facetten wurden in der Hamburger Laeiszhalle auf tiefgründige Weise lebendig. Es entstand ein klavierbetonter Dialog mit dem Orchester, bei dem Weber nie als dominanter Solist auftrat, sondern stets als verstehender Gesprächspartner agierte. Eine besondere Herausforderung stellen die improvisatorisch anmutenden, hochvirtuosen Passagen dar, die bei Skrjabin bezeichnenderweise nie aus echter Improvisation entstanden, sondern akribisch auskomponiert wurden.
Webers pianistische DNA ist mittlerweile stark von der historischen Klangkultur der Érard-Flügel geprägt, deren parallele Saitenführung eine besondere klangliche Transparenz ermöglicht. Dass Skrjabins Klavierkonzert auf einem historischen Érard aufgrund des geringeren Tonumfangs gar nicht spielbar wäre, macht es umso bemerkenswerter, wie Weber diesen analytischen, durchsichtigen Klangcharakter auch auf dem Steinway mühelos realisierte.Bereits der lyrisch-intime Einstieg des Konzerts wurde von Weber und dem Haydn-Orchester wunderbar phrasiert. Die Gefühlswogen brachen organisch auf und die Steigerungskurven wurden mit intelligentem Weitblick dosiert. Der zweite Satz entwickelte sich zu einem lyrischen Gesang, während sich im Finale ein wahrhaft heroisches Temperament Bahn brach.
Diese außergewöhnliche Darbietung wurde eingerahmt von einer kraftvoll-kultivierten „Egmont“-Ouvertüre zu Beginn des Konzertabends und Schumanns Zweiter Symphonie als temperamentvollem Abschluss. Besonders der liedhafte zweite Satz der Schumann-Symphonie betörte, während die Ecksätze noch einmal die gesamte Energie bündelten, mit der die voll besetzte Laeiszhalle erfüllt war. Bemerkenswert ist der beseelte Zusammenhalt, den Dirigent Rida Murtada in diesem Klangkörper spürbar machte – ein Ensemble, das übrigens nicht ausschließlich aus Profi-Musikern besteht, sondern auch viele Semiprofis und hochmotivierte Laien vereint. Das Haydn-Orchester hat sich damit in Hamburg einen Rang als echter Publikumsliebling erarbeitet, was schon der frenetische Applaus am Ende dieses großen Abends eindrücklich unter Beweis stellte.
Stefan Pieper