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HAMBURG/ Elbphilharmonie: CHICAGO SYMPHONY ORCHESTRA UNTER RICCARDO MUTI – Sternstunde brillanter Orchesterkultur

15.01.2017 | Konzert/Liederabende

HAMBURG: Elbphilharmonie – Chicago Symphony Orchestra unter Riccardo Muti am 14.1.2015

Sternstunde brillanter Orchesterkultur

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Copyright: Ingobert Waltenberger

Zuerst gilt‘s der Musik: Das Chicago Symphony Orchestra (CSO) ist ja bekannt als einer der technisch besten Orchester der Welt. Dafür hatten in der Geschichte der Chefdirigenten schon Pultstars wie Kubelik, Reiner oder Solti gesorgt. Seit 2010 steht der neapolitanische Maestro Riccardo Muti diesem Edelklangkörper vor. Das Orchester folgt Muti, in seinen Bewegungen sparsamer geworden, auf Punkt und Beistrich. Wie bei allen Großen, ist Präzision die Basis, auf der jede Interpretation, jedes Ordnen von Klang mit dem gewissen magischen Funken aufbaut. Am Samstag war in der Elbphilharmonie ein unvergesslicher Abend zu erleben. Nach Paris hat das CSO im Rahmen der jetzigen Europatournee an der Elbe halt gemacht. Aalborg, die Scala di Milano, Wien, Baden Baden und Frankfurt werden folgen. Hamburg passt ja nicht schlecht zu Chicago, sind die beiden Städte doch seit 1994 als Partnerstädte verbunden. Aber nicht nur das: beiden gemeinsam ist der Status als nördlichste Metropole ihres Landes, die Lage am Wasser und die Musiktradition. 

Das Programm hat Muti besonders attraktiv zusammengestellt. Es befördert die Möglichkeiten, alles was das Orchester vom Michigansee an Können, Eleganz und Meisterschaft drauf hat, zu zeigen. Von der noch nicht alle Emotionen fordernden Konzertmusik für Streichorchester und Blechbläser Op. 50 von Paul Hindemith über die entfesselte Konzertouvertüre „In the South“ von Edward Elgar bis nach der Pause die Reißer „Eine Nacht auf dem kahlen Berge“ (Orchestrierung Nikolai Rimsky Korsakow) und „Bilder einer Ausstellung“ (Orchestrierung Maurice Ravel) von Modest Mussorgsky.

Dass der Dirigent des nächsten Wiener Neujahrskonzerts mit einem gewissen Hang zur Glätte in seinen mittleren Jahren nun immer besser und interessanter wird, ist ein Phänomen. Auch programmatisch ist er längst dem Klischee eines puren Verdi Dirigenten entwachsen. Das letzte auf dem Eigenlabel CSO-Resound veröffentliche Album zeigt ihn auf ungewohnten Pfaden mit Schoenbergs „Kol Nidre“ und der „Suite auf Verse von Michelangelo Buonarroti“ von Shostakovich. 

Schon bei Hindemiths Konzertmusik, 1930 zum fünfzigjährigen Bestehen des Boston Symphony Orchestra geschrieben,  kann die Phalange der Blechbläser solistisch konzertierend glänzen. Das zweisätzige Werk stellt die Streicher und Bläser raffiniert einander gegenüber, aus den Wesenskontrasten des Ausdrucks alle kompositorischen Mittel nutzend. Besonders eindringlich gerät die Fuge, die durch die trockene Akustik ohne Hall im Großen Saal besonders präzise abläuft wie am Schnürchen. Dann kam für mich der Höhepunkt des Abends, nämlich die prächtige Konzertouvertüre „In the South“ von Elgar, die der Komponist 1903 während eines Familienurlaubs im Winter in Alassio, einem kleinen italienischer Küstenort in der Nähe von Genua, verfasst hat. Es ist ein thematisch geprägtes Werk à la Mendelssohn. Muti gelingt es ganz pointiert und mit mächtigem Aufrauschen wie bei Richard Strauss, alle Stimmungen der Tondichtung von Naturschilderungen der entfernten Schneeberge und des blauen Mittelmeers bis hin zu Reminiszenzen an das Aufeinandertreffen historischer Heere sowie den Kontrast zwischen Ruinen und Hirten in flirrend  romantische Töne zu gießen. Auch der Hirt kommt zu Ton, und zwar in einer hinreissenden Serenade der Solobratsche (Bravo Li-Kuo Chang), bevor das Stück sich noch einmal zu einem stürmischen Finale verdichtet.

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Copyright: Ingobert Waltenberger

In der (kurzen) Pause konnte der Konzertbesucher noch einmal das Gebäude der neuen Elbphilharmonie bestaunen. Von der für die Öffentlichkeit offenen Plaza im 9. Stock, dem für mich schönsten und mächtigsten Teil des Gebäudes, auf die man durch die berühmte gebogenen Tube gelangt, geht es über ein gedärmartiges Geschlinge an aufwärtsdrehenden Gängen hinauf ins Foyer. Von da hinein in den nüchternen Großen Saal, Magen oder Herz dieses in Glas erstarrten gestrandeten Wals mit Wellenhaube an der Elbe. 

Der Saal wirkt aufgrund der vielen Ränge und Deckmaterialien optisch unruhig, verstärkt durch die vielen kleinen Details mit „akustischem Sinn“. Die Sitze sind  extrem bequem wie in einem modernen Kino. Akustiker Toyota hat allen mit seiner (bekannten) Manie für helle transparente Tönen eine Nuss zu knacken gegeben. Den unbestreitbaren Vorzügen einer glasklaren Wiedergabe ohne Halo-Effekte, Echo oder Hall, einem fast schwebenden im Raum stehenden Hörgefühl, einer mystisch wechselnden Tiefenstaffelung stehen die Tatsache eines sachlichen Tons, einem nichts verzeihenden Größenglas für kleine Töne (inkl. Huster) sowie die Tendenz zur Übersteuerung bei großen Tutti-Einsätzen gegenüber. Ideal sind diese quasi Studiobedingungen für Musik des 18. Jahrhunderts bzw. kleiner besetzte Werke. Sie können aber auch allemal großen Eindruck schinden, wenn ein Orchester vom Rang des CSO so richtig drauf los legt, wie dies nach der Pause mit den zwei Mussorgsky Werken der Fall war.

Muti, der noch bevor alle Platz genommen hatten, sofort mit der „Nacht auf dem kahlen Berge“ loslegte, entfachte mit dem bestens disponierten CSO einen wahren Hexensabbath. Eine klanglich satirische Horrorszenerie der mit ihren Besen durch die Lüfte rauschenden Hexen, die rund ums Feuer eine wilde Orgie feiern und ihren Abgott Satan anbeten, bis das Morgenläuten einer Kirche dem Treiben ein Ende setzt. Auch in Mussorgskys zehnteiligem Dauerhit „Bilder einer Ausstellung“ kann das Orchester noch einmal eine Apotheose an orchestraler Sinneslust bauen, der farbigen Instrumentierung Ravels sei Dank. Ein Insektenschwarm an Tönen funkelt, die Flöten perlen wie Champagner beim „Ballett der Küken in ihren Eierschalen“. Nach dem mächtigen großen „Tor von Kiew“ war das offizielle Programm zu Ende. Das ehrlich enthusiasmierte Publikum erklatschte sich als Zugabe noch Verdis Ouvertüre zur Oper „I Vespri Siciliani“, bei Muti soundso in allerbesten Händen. Witzig sagte Muti die Verdi Zugabe an: „Ihr wollt Nabucco? Ihr bekommt das aber nicht.“ Nach dem Konzert gab es lang anhaltenden Standing Ovations. Jeder, der dabei war, wusste, Teil eines großen Ereignisses gewesen zu sein. 

Vielleicht markierte dieses Konzert erst den wahren Einstand, den das Haus seiner Bedeutung gemäß verdient hat, ohne Politikerreden, ohne Firlefanz, ohne mediale Hysterie. Die Elbphilharmonie (schon jetzt im Volksmund liebevolle Elphi genannt) ist nicht nur Konzertsaal , sondern auch ein der Menschheit gehörendes Erbe. Die vielen Menschen, die sich täglich aufmachen, um von der Plaza einen Blick auf die Stadt zu werfen, zeugen davon. Bisher hat man schon über 500.000 Besucher gezählt. Mögen doch einige davon sich auch von Musik inspirieren lassen und nicht nur vom nach dem Piraten Störtebeker benannten Bierlokal/Restaurant. Der erste Schritt ist getan, viele werden folgen, Deutschland hat ein hoffnungsfrohen Ort der Begegnung mehr.

Ein besonderes Dankeschön möchte ich der Freundlichkeit des Personals und der Professionalität der Medienbetreuung aussprechen. Noch ein Plus: Die hoch informativen Programmhefte gibt es kostenfrei für alle. 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Fotos: Ingo Waltenberger

 

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