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HAMBURG/ Deutsches Schauspielhaus/Stream: AM KÖNIGSWEG von Elfriede Jelinek

22.01.2021 | Theater

 „Am Königsweg“ von Elfriede Jelinek am Deutschen Schauspielhaus Hamburg

Abrechnung mit den Inellektuellen

„Am Königsweg“ von Elfriede Jelinek im Deutschen Schauspielhaus Hamburg am 21.1.2021 im Live-Stream/HAMBURG

In diesem bitter-witzigen Stück von Elfriede Jelinek war Donald Trump der Anlass zur Entstehung. Gleichzeitig wird mit einer Gesellschaft von Intellektuellen und Nutznießern gnadenlos abgerechnet. Rechtspopulismus und Superkapitalismus werden facettenreich aufs Korn genommen. In der visuell vielschichtigen, von grellen Bildern fast überfrachteten Regie von Falk Richter (Bühne: Katrin Hoffmann; Kostüme: Andy Besuch) tritt sogar die Autorin Elfriede Jelinek selbst als blinde Seherin auf, die aus Augen und Mund blutet. Die uralte Sage des Königs Ödipus gewinnt hier drastische Realität. Der König bringt die Pest und wird bald ausgestoßen werden. Er sitzt auf goldenen Stühlen und trinkt mit seiner Familie aus goldenen Bechern. Kasperle-Figuren machen diesen König zwischen Tigern, Fröschen und goldenen Pferden zu einem Narren, der der Monstershow rettungslos ausgeliefert ist, aber auch sehr heftig dagegen aufbegehrt. Verzweiflung, Ohnmacht, Hass und Wut würzen diese bissige Parodie über Nationalismus und Rassismus. Die Sequenz „Freie deutsche Jugend“ erinnert sogar an die DDR.

In der Rolle des exaltierten, fast wahnsinnigen Königs kann sich Benny Claessens richtig austoben. Und auch der Tiger hat schließlich blutige Augen. Der König wirkt ziemlich senil, er erscheint mit Weltkugel. „Wahrheit, wo bist du?“ fragt er konsterniert in die Runde. „Alles meins!“ stellt er ultimativ fest. Und der Kasperl gibt ihm Recht: „Man muss groß sein und groß denken können!“ Dann sieht man eine Muppets-Show: „Wir kommen von der Deutschen Bank„. Schließlich erscheint sogar der Ku-Klux-Klan und treibt  sein Unwesen. Die Gesellschaft wird regelrecht seziert und bloßgestellt, der König bekommt regelmäßige Wutausbrüche. Und auch die „Problem-Ausländerin“ (verkörpert von der herrlich komischen Idil Baydar) schimpft hemmungslos über „feiste Ärsche“. Der König erregt sich über „die böse Presse“, gleichzeitig sieht man im Bühnenhintergrund verstörende Kreuzigungsszenen. Das Volk ist verzweifelt: „Es gibt keine Arbeit mehr“. Man fordert die Migranten auf, in ihr Heimatland zurückzukehren. „Spiel‘ mir das Lied vom Tod“ unterstreicht die trostlosen Gedanken der Menschen über den König: „Werden wir ihm verzeihen können, wenn er uns in die Luft gesprengt hat?!“ Falk Richter geht als Regisseur diesem schwierigen Text auf den Grund, erforscht seine Vielschichtigkeit und sarkastische Schärfe in vielen Szenen. Da meint man dann, die unglückliche Klavierspielerin Erika oder den perversen Unternehmer aus dem Roman „Lust“ plötzlich wiederzuerkennen. „Schule? Wozu soll die denn gut sein?“ Solche Fragen stellen hier die gesellschaftlichen Verhältnisse völlig auf den Kopf. Die Bürger empören sich: „Sie sind meine ultimative Kränkung, Herr König!“ Alptraumhafte Bilder überfallen den Zuschauer mit rücksichtsloser Schärfe: „Herr Heidegger ist schuld!“ Auch Hegel und Kant werden karikiert, komödiantische Momente entfesseln eine  visuelle Walpurgisnacht: „Ich bin die ganze Türkei, kommt mit mir!“ Das Vermögen steigt dabei mit den Finanzmärkten. Man vernimmt Musik in der Art Georg Friedrich Händels. Antike Säulen werden herauf- und heruntergefahren, Falk Richter lässt sich in seiner überaus farbigen Inszenierung immer wieder etwas einfallen. Selbstverständlich wirken diese Bilder manchmal überladen, doch Langeweile kommt glücklicherweise nie auf. Zwischen Kirchenfresken und Renaissance-Gemälden erkennt man, dass diese Bühnenfiguren irgendwie alle in geheimnisvoller Weise miteinander verbunden sind. Es bestehen Seelenverwandtschaften – vor allem dann, wenn die Protagonisten im Chor auftreten. Hier wird die Inszenierung der Intention Elfriede Jelineks gerecht, die als Autorin immer hinter die Kulissen schauen möchte. Ältere Damen mokieren sich über die „genitale Abfuhr“, jüngere Frauen denken melancholisch über ihr Leben nach: „Der Mensch wird zu Dreck werden.“ Ein dramatischer Höhepunkt ist hier die eigenhändige Blendung des Königs Ödipus, wobei das Stück seine Heiterkeit plötzlich zu verlieren scheint. Der Ernst und die Dramatik der altgriechischen Tragödie lassen sich nicht mehr von der Hand weisen. Darauf deuten auch die Gruppenszenen hin, die an „Chorauftritte“ erinnern. Die Erwähnung von Mussolini und Hitler unterstreicht die gespenstische Aura der suggestiven Video-Bilder des Krieges (Video: Michel Auder, Meika Dresenkamp). In weiteren Rollen überzeugen Matti Krause, Anne Müller, Ilse Ritter, Tilman Strauß, Julia Wieninger und Frank Willens. Komposition und Musik von Matthias Grübel wirken durchaus intensiv.

Am besten ist der Schluss gelungen. Zuletzt grundiert der Chor: „Bitte seien Sie mir nicht böse und hören Sie lieber nicht auf mich.“ Und eine einzelne Frau wiederholt diese Worte: „Wir haben alles verloren…Mein Wort ist verrückt geworden, wahrscheinlich weil es glaubte, mich verloren zu haben. Aber ich verliere doch keine Worte. Bitte seien Sie mir nicht böse und hören Sie lieber nicht auf mich...“ Hier gelingt es der Schauspielerin Ilse Ritter sehr eindrucksvoll, die Distanz zwischen Darsteller und Zuschauer zu überwinden. Diese Sätze bleiben im Gedächtnis.

Alexander Walther

 

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