Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

HALLE / Oper Halle: TOSCA – Premiere

27.11.2016 | Oper

HALLE: TOSCA – Premiere am 26.11.2016  (Werner Häußner)

Tosca springt schon lange nicht mehr. Seit Jahren versuchen  Regisseure, dem aktionsgeladenen „Reißer“ Giacomo Puccinis andere Seiten abzugewinnen als die des italienischen Dreiecks: Tenor liebt Sopran und/oder umgekehrt, Bariton, böse oder wenigstens neurotisch, funkt dazwischen. Tod und Tragik, Ende. Den Subtext von „Tosca“ zu erkunden, versuchten zum Beispiel Marcus Lobbes in Würzburg und Sandra Leupold in Wiesbaden. Sie mühten sich ab, die Begriffe, die für „Tosca“ für konstitutiv gehalten werden, zu dekonstruieren. Einen Thriller um Politik und Liebe, Macht und Begehren nacherzählen? Zu vordergründig. Aber die Referenz auf das reflektierte Narrativ dahinter funktionierte nicht. Leupold und Lobbes sind gescheitert.

Jetzt probiert es Jochen Biganzoli in Halle wieder einmal. Will oder soll den Schwung des Neuen, den Halles seit Herbst amtierender Opernintendant Florian Lutz mit seinem eventtauglichen, den Raum des Theaters radikal erweiternden „Fliegenden Holländer“ entfacht hat, weiter befeuern. Macht aus „Tosca“ ein Stück über die Möglichkeit von Kunst in der Oper. Füllt die Bühne in Halle über knapp zweieinhalb Stunden mit ausgefeilter Regiearbeit. Und scheitert grandios an Puccini.

Nö, Tosca springt auch bei Biganzoli nicht von der Zinne der Engelsburg. Wozu auch? Scarpia, avanti a Dio? Das hat die Neuzeit schon zu Puccinis Zeit ins Reich des Mythos verbannen wollen. Ein Gott, der einen Verbrecher zur Rechenschaft zieht? Ein Märchen, so redeten sich schon Shakespeares Figuren ein. Statt zu springen, schreibt die Frau im wallenden Schwarz, mit dem fluffig-weißen Röckchen und den rot geschminkten Bäckchen einer Komödiengestalt, an den Flügel auf der nackten Bühne des dritten Aktes: Ich bin Romelia und singe Tosca.

Und spätestens jetzt wissen wir, das Theater reflektiert wieder einmal über sich selbst. Die Diva, die vor der Vorstellung auf rotem Teppich ins Foyer einschreitet und im Blitzlichtgewitter mit einem strahlenden Florian Lutz posiert, ist dekonstruiert. Illusion als entmachtete Bedingung der Möglichkeit von Oper? Oder der Fall des Systems – und damit der Kunst – der Oper, um neue Bewegungsräume für ihre Akteure zu produzieren? Der Essay von Michael von zur Mühlen, mit Francis Hüsers Dramaturg der neuen „Tosca“ in Halle, gibt sich klug, spricht über die Kunst und die gescheiterten Hoffnungen in sie, über die Unmöglichkeit freier Kunstproduktion und über den Ausbruch aus der Selbstreflexion der Oper über Kunst.

Ja, wozu sollte Tosca springen? Für die bahnbrechende Erkenntnis, dass Romelia jetzt Tosca singt, sicher nicht. Biganzolis Ende ist auf einen schmerzend simplen Satz reduziert, so virtuos Romelia Lichtenstein, der langjährige Sopran-Star der Oper Halle, ihre Floria Tosca ausspielt – ganz alleine zwischen den schwarzen Bühnenmauern im dritten Akt. Das Dramaturgengehirnproblem, wie, wann, wo, welche Kunst was mit sich, mit uns, mit der Welt macht, zerplatzt am monumental überhöhten Cavaradossi-Motiv in schillernder szenischer Kraftlosigkeit: „… und niemals habe ich das Leben so geliebt“.

Dass Tosca nicht springen würde, dass Biganzoli sich nicht dazu herablassen würde, die Geschichte zu erzählen, war schon klar, als sich der Maler lachend mit zwei Models aus einem Nest wälzt. Flammende Liebe? Quatsch. Floria hat allen Grund zur Eifersucht. Aber erst wird Kunst produziert: Die beiden nackten Damen beschmieren sich mit brauner und blauer Farbe – „Recondita armonia“ der schönen Augen – und drücken sich auf einen Bilduntergrund. Gerd Vogel – seine Rolle heißt „Mesner“ – töffelt als assistierende Kulturschwuppe durch die Szene. Sein „Angelus“ wird zur lasziven Persiflage. Hier gilt’s dem Künstlichen: „ART“ dominiert, in drei kalt leuchtenden Buchstaben, kathedralenhoch die Bühne von Wolf Gutjahr. Und Tosca macht aus ihrem Eifersuchts-Anfall eine große Szene: Kunst und Leben greifen ineinander.

Ab jetzt wartet man nur noch, was der Regisseur alles anders macht. Man wird zur Zufriedenheit bedient: Die schrill-bunten Jungs und Mädchen des Kinder- und Jugendchors (Peter Schedding hat einstudiert) bringen zum Te Deum die Bilder von Idolen der Kunstszene mit – Jonathan Meese in der ersten Reihe. La Tosca rauscht in einem Mantel mit einem Selbstporträt ein. Besser hätte Katharina Weissenborn den Narzissmus der Diva nicht ins Bild fassen können. Scarpia und seine Mannen, befrackt wie vornehme Opernbesucher von früher – oder wie Comedian Harmonists – nähern sich aus dem Zuschauerraum der Rampe. Der brutale Auftrittsakkord verpufft, Josep Caballé-Domenech am Pult der recht „italienisch“ gestimmten Staatskapelle macht gar keinen Versuch, dramatisch dagegenzuhalten. Was in der Musik passiert, wie sorgsam und genau Puccini die Bühnenhandlung illustriert, kommentiert, unterstreicht, spielt eh keine Rolle. Es läuft Begleitmusik zu Kopfgeburten. So klingt’s dann auch: Das Vorspiel zum dritten Akt war selten flach und kraftlos.

Weiter in den zweiten Akt: Jetzt wird offenbar, dass Kunst auch Spiel sein kann, bisweilen ein recht infames. Der Scarpia Peter Felix Bauers ist eigentlich ein recht netter Zeitgenosse, er hat die dämonische Aura, sagen wir mal, eines Wiener Hausmeisters. So singt er auch, solide, aber ohne Untergründiges in der Stimme. Wozu auch? Wir wohnen ja einem abgekarteten Spiel bei, gestaltet von den Herren Spoletta (Rainer Stoss), Sciarrone (Olaf Schröder) und dem wie ein Jahrmarkts-Magier einherschreitenden Roberti (Ulf Seibicke) mit dem Köfferchen für die Folterinstrumente. Die schrecken Cavaradossi nicht weiter. Eduardo Aladrén, ein stimmlich feuriger, manchmal aber ziemlich ungeschliffener Tenor, spielt ja mit.

Damit die Show funktioniert, muss sich Tosca die Augen verbinden lassen. So sieht sie nicht, dass ihr Maler auf einen Wink hin stöhnt und aufheult. Und bevor die Binde abgenommen wird, begießt jener sich schnell noch mit Kunstblut. Tosca, die Künstlerin, beschwert sich beim lieben Gott, weil er nicht nach ihrem romanischen Frömmigkeitsprinzip funktioniert – ich bin fromm und brav und Du belohnst mich dafür – und fragt dann nach dem Preis. Man konnte sich schon ausrechnen, dass sie Scarpia nicht umbringen würde. Der Revolver klickt, sie plärrt „Stirb, stirb verdammt …“, aber der Herr Baron lacht nur. Den Satz, den die Callas so unvergesslich intoniert hatte, formt Scarpia mit den Lippen vor, und Tosca spricht ihn aus: „… e avanti a lui tremava tutta Roma“.

Am Ende bleibt von der Diva nichts als eine gealterte Frau, die in ihrem Kopf die ultimative Liebesszene auf der Engelsburg imaginiert – Cavaradossis „E lucevan le stelle“ kommt aus dem Off – und der sich auf dem Flügel der Hirte (Emma Sophie Michaelis) als ihr jugendliches Eben- (oder Zerr-)Bild entgegenräkelt. Mit der schriftlichen Mitteilung Romelia Lichtensteins an das verehrte Publikum schließt das Ganze. Jochen Biganzoli freut sich über ein paar verlorene Buhs im Beifall.

Sicher: Hier wird das Gewohnte radikal in Frage gestellt. Niemand kann sich vor der Zumutung in wohlige Vorhersagbarkeit flüchten. Die Begegnung mit den Verstörenden ist unausweichlich. Aber diese Begegnung wird zum Selbstzweck, der mit dem Stück nur noch assoziativ verbunden ist. Das Thema, das entdeckt wird, ist das Thema der Macher, nicht des Stücks. Klar, auch Ruth Berghaus und Hans Neuenfels spielten und spielen Oper mit privatistischen Mustern durch. Aber bei Biganzoli wirkt das zufälliger, willkürlicher und somit viel weniger überzeugend. Und ausgerechnet „Tosca“, die wie selten eine Oper an sich historisch gebende Imagination gebunden ist, hat – wenn sie als Folie für Kopfgeburten und Hirngespenster verbraucht wird – nichts mehr, was berührt, bewegt oder erschüttert. Das „Kraftwerk der Gefühle“ ist auf Standby-Modus geschaltet. Und das Thema der alternden Diva ist, mit Verlaub, in Andrew Lloyd Webbers „Sunset Boulevard“ besser aufgehoben.

Wer Jacques Derrida, Paul de Man oder Jonathan Culler schätzt, dürfte die „Tosca“ in Halle mit gewissem Gewinn verfolgen. Wem Puccinis Oper schon immer als schwer erträglicher Schinken auf die Nerven gegangen ist, wird möglicherweise ein Befreiungserlebnis haben. Allen anderen sei geraten, vor dem Genusse auf Risiken und Nebenwirkungen gefasst zu sein. Wer das für die Dynamik der Oper heute hält – bitteschön!

Werner Häußner

 

Diese Seite drucken