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HAGEN/ Theater: L’ELISIR DAMORE. Derniere

26.05.2022 | Oper international

HAGEN: L’ELSIR D’AMORE  – Derniere
25.5.2022
(Werner Häußner)

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Anton Kuzenok als „Nemorino“. Copyright: Klaus Lefebrve

Francis Hüsers ist es gelungen, dem Publikum im westfälischen Hagen seit seinem Amtsantritt als Intendant 2017 eine Reihe spannender Regiehandschriften vorzustellen: Nachhaltigen Eindruck hinterließen etwa Magdalena Fuchsberger mit Verdis „Simon Boccanegra“ 2018 – eine Inszenierung, die tief unter die Oberfläche des oft getadelten Intrigenstücks in psychische Abgründe tauchte. Oder Johannes Erath in der europäischen Erstaufführung von Joby Talbots „Everest“, der die Extreme der Hochgebirgsnatur konsequent als Chiffren der Konflikte, Sehnsüchte und Motivationen der handelnden Personen deutete.

In dieser Spielzeit gelangen am Theater Hagen mit einer faszinierend aktuellen, ganz nah am Werk operierenden Deutung von Wagners „Parsifal“ durch die Regisseurin Nilufar K. Münzing und mit Magdalena Fuchsbergers Opern-Duo aus Puccinis „Suor Angelica“ und der Uraufführung von „A room of one’s own“ der finnischen Komponistin Outi Tarkiainen wieder bemerkenswerte Arbeiten, die verdienen, über die Region hinaus beachtet zu werden.

So kann es vorkommen, dass eine Oper wie Gaetano Donizettis „L’Elisir d’amore“, die zwar häufig gespielt, deren intellektueller Reizwert aber eher niedrig eingestuft wird, dazwischen eher übersehen wird. Schade drum, denn der „Liebestrank“ ist viel mehr als die im Aug‘ zerdrückte Träne. Und Francis Hüsers als Regisseur der Hagener Produktion deckt in einer „Theater auf dem Theater“-Situation auf, dass in Donizettis Oper mehr steckt als belcantosatte Naivität. Er bestätigt damit, was theoretisch geklärt ist, auf der Bühne aber allzu oft entweder vergessen oder mit dem Holzhammer eingebleut wird: Donizettis Komödien streifen immer das Drama verletzter, verblendeter, begrenzter Menschlichkeit – ob „Don Pasquale“ oder auch Bizarrerien wie „Emilia di Liverpool“.

Der Kunstgriff Hüsers‘: Er lässt eine Gruppe junger Studenten an einer Musikhochschule Donizettis „Liebestrank“ proben und aufführen. Wie in Leoncavallos „Pagliacci“ – die Bühne von Alfred Peter mit einem zentralen Podium erinnert daran – vermischen sich dargestellte und tatsächlich durchlebte Leidenschaften. Die Bühne ist der Katalysator für den Selbstfindungsprozess der jungen Menschen. Adina und Nemorino kommen in der Oper und durch die Oper zueinander.

Hüsers beschränkt das Entdecken der eigenen inneren Empfindungen und des – über das bloß Sexuelle hinausgehenden – Begehrens jedoch nicht auf das zentrale Paar. In einer frei erfundenen, aber berührend gespielten Szene finden Belcore und Dulcamara über ihre rollenprägende Großspurigkeit hinaus zu einem Moment schüchtern-vorsichtiger Intimität. Auch wenn Hüsers damit den konventionellen Rahmen der Donizetti-Oper zu den Formen des Begehrens in der Gegenwart aufbrechen will, bleibt die Szene ein isolierter Fremdkörper: Weder ergeben sich erkennbare Konsequenzen, noch wird der Kontrast zu den handfesten Komödien-Situationen der Figuren auf der Bühne ausgespielt.

Wie überhaupt das Konzept so ganz nicht aufgeht, was vor allem bei Nemorino deutlich wird, auch wenn die an Figuren der commedia dell’arte angelehnten Kostüme Katharina Weissenborns signalisieren sollen, auf welcher Ebene die Personen gerade handeln. Aber wer denn nun an die Wirkung des „Elixiers“ glaubt und den Bordeaux Dulcamaras trinkt, vermittelt sich nicht klar. Dennoch hat das Konzept seine Meriten: Es hilft, von diesem kleinen Idioten Nemorino das Etikett des bloß Naiven abzuziehen. Indem all die komödiantischen Unmöglichkeiten der Spiel-Ebene zugewiesen werden, tritt die Sehnsucht nach Liebe, der brennende Schmerz des Zurückgewiesenen, die vom gedankenlosen Spott Adina zerfressene Seele Nemorinos auf berührende Weise hervor.

Aber auch die Entwicklung Adinas, die es lernt, die tiefe Humanität und die liebevolle Persönlichkeit des kaum beachteten, aber irgendwie doch reizvollen Bauernjungen zu entdecken, wird verständlich – und aus der blassen Tristan-Leserin mit kapriziösen Zügen wird eine junge Frau, die in der – von Hüsers mit großer Sensibilität ausinszenierten – aufklärenden Begegnung mit Dulcamara ihre Augen für die menschliche Seele öffnet. Dass sie in der Schlüsselszene des zweiten Akts dann ihre Theaterrobe abstreift, ist die sinnenfällige Konsequenz eines Menschen, der seine innere Panzerung aus eigenem, tiefem Erkennen eines anderen geliebten Menschen aufgibt.

Diese Aufwertung der weiblichen Hauptrolle im Stück ist sicher auch das Verdienst von Penny Sofroniadou. Sie ist eine brillante Adina, gibt den agilen Passagen der Rolle dramatisches Gewicht, singt sie mit einem strahlenden, ausgeglichen und mit silbrigem Strahl intonierten Timbre, kann den Worten Sinn und der Musik emotionalen Gehalt geben. Mit Anton Kuzenok hat ihr das Theater Hagen einen Tenor zur Seite gestellt, der sich nicht allein auf den unsterblichen Schlager der „furtiva lagrima“ kapriziert, sondern die Partie in allen Facetten stimmschön, technisch zuverlässig und sensibel gestaltet interpretieren kann. Auch als Person ist Kuzenok glaubwürdig: Er verkörpert einen Typ, der nicht mit seinem fitnessgestählten Body beeindrucken kann, sondern den introvertierten Studenten, dessen Schicksal es ist, übersehen zu werden.

Kenneth Mattice ist kein Belcanto-Sänger, hat sogar mit dem relativ „kurzen“ Tonumfang der Partie des Belcore seine Probleme, macht aber als smarter Darsteller viel davon wieder wett. Insu Hwang hütet sich vor den komisch gedachten, aber selten so wirkenden Übertreibungen des Dulcamara. Er zeichnet den durchtriebenen Wunderdoktor als einen Mann, bei dem Geschäft an erster Stelle steht, dem aber über dem äußerlichen Wirbel der Einblick in die wahren Verhältnisse unter den Menschen nicht abgeht.

Kisun Kim als reizend spitzstimmige Giannetta, Daniel Strahilevitz in der (hinzuerfundenen) Rolle des regieführenden Hochschulprofessors sowie Sebastian Klug (Sebastian) ergänzen das Ensemble. Der Chor hat ein paar schleppende und sehr viele erfrischende Momente; das Philharmonische Orchester Hagen spielt unter Rodrigo Tomillo recht robust auf, aber der Dirigent achtet auf schwingende Tempi und gibt den dramatischen Momenten Gewicht. Um sich in eine solche Produktion zu verlieben, braucht es wahrhaftig keinen Trank!

Werner Häußner

 

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