Hagen: Madame butterfly Premiere am 6. Juni 2015
Gibt es das überhaupt (noch) – eine Frau mit derart übergroßer Liebenssehnsucht wie Puccinis Cio-Cio-San? Als möglicher Beweis könnte ein männliches Pendant wie Werther dienen, ein Schwärmer, von Massenet in schmachtende Kantilenen gekleidet. Extreme Kontrastfiguren wären Carmen und Lulu, Giovanni und Faust (in der Lesart Gounods). In dem weiten Feld menschlicher Gefühle deckt Puccinis Protagonistin auf jeden Fall ein wichtiges Feld ab. Vielleicht war diese Oper für den Komponisten auch eine Art Beichte, steht er doch wie Leutnant Pinkerton für den Typ des triefhaften Mannes. Ein Urkonflikt also, welcher die Auffassung von NORBERT HILCHENBACH, dem regieführenden Intendanten des Theaters Hagen, bestätigen mag, das Geschehen könnte „letztlich überall und auch ganz heutig stattfinden“.
Das drückt sich nicht zuletzt an den modernen Kostümen von YVONNE FORSTER aus (japaneske Elemente bedeuten nur Zitat), sondern auch darin, dass die Wände von Cio-Cio-Sans Haus per Fernbedienung arrangiert werden können. Ansonsten genügt dem Bühnenbildner PEER PALMOWSKI ein blühendes Bäumchen, um Lokalkolorit zu beschwören. Vom 2. Akt an hat es seine Blüten verloren, und die auf Stelzen montierte, geschrägte Spielfläche ist übersät mit amerikanischem Wohlstandsmüll – eine Landschaft von durchaus trostloser Suggestivität. Die unter Wasser stehende Bühne muss man nicht als in jeder Hinsicht zwingende Bildidee ansehen, zumal es manche lediglich oberflächliche „Plantscherein“ gibt. Aber die vielen Papierschiffchen, welche auch als Dekorersatz im Blumen-Duett dienen, vermitteln viel von Cio-Cio-Sans Sehnsucht nach dem geliebten Mann jenseits des Ozeans.
Die Kostüme verlegen die Handlung also in ein freilich nicht näher bestimmtes Jetzt. Das lässt die Überzeitlichkeit des Geschehens erkennbar werden. Ob dabei aber die Beibehaltung von Ritualen (bis hin zum zeremoniellen Selbstmord) noch als zwingend gelten können, ist für einen Nichtkenner japanischen Lebensstils freilich kaum zu beurteilen. Der fluchende Onkel Bonze im Straßenanzug und mit Sonnenbrille wirkt generell etwas befremdlich. Nachvollziehbar wird andererseits, dass sich Cio-Cio-San in ihrem neuen Leben als Mrs. Pinkerton nach amerikanischer Manier einrichtet, incl. Kleidung (Jeans!). Suzuki, mehr Freundin als „Dienerin“, trägt von vorneherein westliche Kleidung, ebenso Fürst Yamadori.
Ansonsten setzt die Regie nur wenige, allenfalls dezente Akzente. Ein wesentlicher betrifft allerdings die Figur Pinkertons, und das hat viel mit dem hinreißenden Sängerdarsteller RICHARD FURMAN zu tun. Während andere Inszenierungen (etwa die Kölner von Patrick Kinmonth, 2008) von vorneherein den Junker Leichtfuß hervorkehren, wirkt der amerikanische Tenor ausgesprochen sympathisch. Furman, hochgewachsen, schlank, das lange Blondhaar mit Stirnband gebändigt, wirkt wie ein Ideal-Siegfried (diese Partie hat er auch schon gesungen) und überzeugt mit einer unglaublichen mimischen Lebendigkeit. Auch er gibt einen Hallodri, aber einen netten. Sein Pinkerton hat Lebensernst einfach noch nicht kennen gelernt, das Flirten scheint ihm anerzogen. Aber er lässt sich von Cio-Cio-Sans exotischem Charme sichtbar naiv überwältigen. Wenn er im 3. Akt zurückkehrt, ist seine Frisur gestylt, Anpassung an die Sitten in seiner Heimat. Aus dem Reueempfinden Pinkertons hätte die Regie ein wenig mehr Nutzen ziehen können. Richard Furman, demnächst in Wiesbaden in einem sehr weitläufigen Repertoire beschäftigt (u.a. Wagner – das Heldenfach sollte er möglichst mit Vorsicht angehen) sorgt mit seinem schmelzreichen Tenor, welcher in der Höhe keinerlei Probleme hat, für eitel Freude. In Hagen hat er bereits in Barbers „Vanessa“ und in „Fidelio“ (leider nicht gesehen) für sich eingenommen.
Erfreulich, dass Hilchenbach Cio-Cio-San (die als Geisha das Leben ja zur Genüge von der dunklen Seite her kennen gelernt hat) nicht als engelsgleiche Rühr-mich-nicht-an-Figur zeichnet. Bei ihm wird deutlich: Pinkerton ist (bei ihrem Gegenüber in Hagen besonders leicht nachvollziehbar) die große Liebe ihres Lebens. Sie gibt sich in erotischer Hinsicht ausgesprochen aktiv, fast anbiedernd, was ihr ferneres Verhalten glaubwürdiger als gemeinhin erscheinen lässt. VERONIKA HALLER investiert viel Hingebungsvolles in ihre Darstellung, viel lyrisches Empfinden in ihren Gesang. Es bleibt aber weiterhin erkennbar, dass die Sopranhöhen weiterhin der Festigung bedürfen.
Konsul Sharpless ist eine zwiespältige Figur und nicht eben ein differenzierter Charakter. Das macht KENNETH MATTICE, ungeachtet seines profunden Baritons, auch deutlich. Als Suzuki überzeugt KRISTINE LARISSA FUNKHAUSER, RICHARD VAN GEMERT ist als Goro besser als je zuvor. Auch RAINER ZAUN (Onkel Bonze) und KEJIA XIONG (Yamadori) beeindrucken mit prägnanten Auftritten. Bei DAVID MARLOW und dem PHILHARMONISCHEN ORCHESTER HAGEN ist sogar von Faszination zu sprechen. Eine leichte Forte-Tendenz hier und da wäre vielleicht zu überprüfen, aber es ist ein überzeugender Puccini-Sound zu hören, Vitalität und Spielpräzision sind enorm. Zu Recht tosender Premierenbeifall.
Christoph Zimmermann