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GUSTAV MAHLER: 5. SYMPHONIE in zwei neuen Einspielungen. François-Xavier Roth bzw. Adam Fischer

harmonia mundi CD, CAvi Music CD

06.04.2018 | cd

GUSTAV MAHLER: 5. SYMPHONIE in zwei neuen Einspielungen

 

François-Xavier Roth dirigiert das Gürzenich Orchester Köln, harmonia mundi CD

Adam Fischer leitet die Düsseldorfer Symphoniker, live Mitschnitt der Mahler Edition,  CAvi Music CD

An hochkarätigen Aufnahmen der Fünften Mahler herrscht kein Mangel. Der Markt ist übersatt oder ein Schlaraffenland für Musikfreunde, je nach Blickwinkel des Betrachters. Ob Walter, Barbirolli, Bernstein, Karajan, Solti, Tennstedt, Bertini, Kubelik, Neumann, Boulez oder Inbal unter den Älteren, ob Chailly oder Jansons unter den Jüngeren, der Konsument hat die Qual der Wahl. Die grundlegende Frage, warum diese Symphonie noch immer auf der Hitliste der Aufnahmepläne vieler Symphonieorchester landauf landab steht, kann daher mit kommerziellen Überlegungen wohl nicht beantwortet werden. Dennoch verdienen die zwei neu erschienenen Produktionen unsere Aufmerksamkeit.

Gustav Mahlers Fünfte. Ein Zeugnis reiner Musik in fünf Sätzen idealerweise abseits von allzu programmatischen Deutungen und dem Streben nach vereinfachender Systematisierung. Sicherlich haben die „Tamboursg’sellen“ sowie „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ nach Texten von Friedrich Rückert motivische Spuren hinterlassen. Aber oft Gustav Mahlers fünfte Symphonie sinnvollerweise als Wendepunkt im Schaffen des Komponisten bezeichnet werden soll, sei dahingestellt. Sie erhielt in der Zeit nach ihrer Uraufführung 1904 kaum positive Kritiken und entwickelte sich erst nach dem Tod Mahlers zu einem seiner populärsten Werke.

Die Studioaufnahme des neuen Chefdirigenten François-Xavier Roths mit dem Gürzenich Orchester Köln markiert nicht  nur deren gemeinsame allererste Einspielung und den Auftakt der Kooperation mit dem Label harmonia mundi. Sie ruft zudem in Erinnerung, dass Gustav Mahler dieses Orchester nach der Uraufführung seiner dritten Symphonie erneut auswählte, um unter seiner Stabführung die Premiere der fünften Symphonie zu gestalten. (Anm.: Wussten Sie, dass auch Strauss‘ „Till Eulenspiegels lustige Streiche“,  „Don Quixote“ und das Doppelkonzert von Brahms von diesem Orchester in Köln uraufgeführt wurden?). Von 2011 bis 2016 war François-Xavier Roth Chefdirigent des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg; seit September 2015 ist er Gürzenich-Kapellmeister und Generalmusikdirektor der Stadt Köln. Seit dieser Spielzeit ist er Erster Gastdirigent des London Symphony Orchestra.

François-Xavier Roth folgt mit der Entscheidung für Mahlers Fünfte einer programmatischen Linie: „Ich möchte, dass die Leute mehr über die Geschichte des Orchesters erfahren und dass die Geschichte ein wichtiges Element unserer Arbeit wird. Das heißt: Mehr Kontakt mit den Komponisten, die hier leben, und mehr Kontakt mit den Komponisten, die mit dem Orchester gearbeitet haben.“ In Köln setzt Roth die Zusammenarbeit mit Philippe Manoury als »Komponist für Köln« fort und dirigiert u.a. die Uraufführung seines neuen Flötenkonzerts.

Bei Roth klingt alles frisch und spontan, in Ruhe entwickelt, gut proportioniert, moderat aufgeregt uhd distanziert könnte man ebenso urteilen. Einen kleinen Kern an kantigem Originalklang hat der überaus detailreich arbeitende Franzose dem Orchester trotz moderner Instrumente hörbar einimpfen können. Rein klanglich ist die CD großartig. Transparenz und ein schlank austarierter Klang  sind vorherrschend. Berührt mich diese Aufnahme? Bei aller Faszination des Hörerlebgnisses nur eingeschränkt. Das Album kann aber auch als unaufgeregt mediterran, alle rein symphonischen Tugenden abseits aller verstellenden Traditionen vorzüglich freilegend empfunden werden. Und sie ist garantiert zuckerfrei.

Adam Fischer ist das Atout der Aufnahme mit den Düsseldorfer Symphonikern. Die Einspielung entstand im Rahmen der Sternzeichen-Konzerte der  „Düsys“. Bei Fischer liegt die Fieberkurve höher, ist der Ansatz feinnervig vibrierender. Fischer kann den Musikern hörbar einen heißeren Grad an existenzieller Energie, an den der musikalischen Form zugrundeliegenden Emotionen wie Sehnsucht, Liebe, Glück, Hingabe aber auch Trauer, Schmerz, Verzweiflung und Not abringen, ohne je zu übertreiben oder exzessiv zu pointieren. Obwohl das Orchester technisch nicht auf Augenhöhe mit der Gürzenich-Formation liegt, wird dieses „Sehnen über die Dinge dieser Welt hinaus“ in der CD unter Adam Fischer sinnfälliger, besser greif- und fühlbar. Vielleicht ist es auch so, dass ein schwerpunktmäßig in der Oper beschäftigter Klangkörper für Mahlers Klang- und Musiziervorstellung eine eigene, theatralischere Dimension mit ins Schwingen bringt. Eine Deutung zwischen kantiger Schroffheit und großer Schönheit, die sich in eine Reihe unter die Größten reiht. Sie ist in ein Gesamtprojekt der Aufnahme sämtlicher Mahler-Symphonien mit diesem Orchester gebettet (die Symphonien 1, 4 und 7 liegen schon vor), die – das kann schon jetzt abgeschätzt werden – ein Wurf wird.

Das Klangbild ist hörbar live, also pauschaler und etwas hallig.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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