(von links nach rechts): Maris Skuja, Thomas Essl, Antonia-Cosmina Stancu, Eva-Maria Schmid, KS Anna Tomowa-Sintow, Martin Simonovski, Mario Lerchenberger, Günter Fruhmann. Foto: privat
Oper Graz: Meisterklasse KS Anna Tomowa-Sintow 17. – 19.12.2019
Jahr für Jahr bewerben sich mehr als 400 junge Sängerinnen und Sänger für einen der begehrten Plätze im Opernstudio der Oper Graz, das vom Studienleiter Günter Fruhmann liebevoll geleitet wird. Das Opernstudio bereitet junge Sänger nach ihrer Ausbildung auf die professionellen Anforderungen einer Opernbühne vor. Die Arbeit mit erfahrenen Dirigenten und Korrepetitoren, das Coaching in diversen Opernsprachen, die Meisterklassen mit legendären Opernstars und die szenischen Proben mit renommierten Regisseuren liefern die Grundlage, um sich auf der Opernbühne zu bewähren. Zusätzliche Praxis erlangen die Stimmen von morgen in unterschiedlichen konzertanten und szenischen Auftritten. Vier oder fünf Sänger sind jeweils gleichzeitig im Opernstudio.
Jedes Jahr werden drei legendäre Opernstars eingeladen, um ihre Erfahrungen an die jungen Sänger in einer Meisterklasse weitergeben zu können. Nachdem in den letzten Jahren u.a. Brigitte Fassbaender, Cheryl Studer oder Marjana Lipovšek mit den Studiomitgliedern gearbeitet haben, kam nun kurz vor Weihnachten KS Anna Tomowa-Sintow nach Graz um drei Tage lang mit den Sängern an bestimmten Arien zu feilen. Am dritten Tag war die Meisterklasse sogar öffentlich, anschließend gab es dann noch ein Künstlergespräch mit ihr.
Anna Tomowa-Sintow versprach Herbert von Karajan kurz vor dessen Tod ihr Wissen an junge Sänger weitergeben zu wollen. Bereits seit einigen Jahren hält sie nun weltweit Meisterkurse ab, um jungen Sängern auf dem steinigen Karriereweg einen Schritt weiterzuhelfen. Jeder, der einmal einer solchen Meisterklasse beigewohnt hat, weiß, mit welcher Energie, welchem Charisma, welchem Einfühlungsvermögen sie sich dieser Aufgabe widmet. Sie vermittelt nicht nur Gesangstechnik, Stilistik und Interpretationskunst, sondern gibt den jungen Sängern auch Tipps bezüglich Bühnenleben und dem wirklichen Leben mit auf den Weg.
Mit insgesamt sechs Sängern arbeitete Anna Tomowa-Sintow an diesen drei Tagen. Ihrer Meinung nach sollen die Sänger viel mehr legato singen, die Töne mehr schweben lassen anstatt mit Druck zu produzieren, bei schwierig zu erreichenden Tönen durchaus auch mal einen Konsonanten als Trampolin für den nächsten Konsonanten benutzen. Sie sollen – auch wenn sie nur eine Arie singen – diese sowie ein allfällig vorangegangenes Rezitativ dramatisch aufbauen. Gesichtsausdruck und Körperhaltung sollen mit dem gesungenen Text in Einklang stehen etc. Die jungen Sänger nahmen die Ratschläge der berühmten Sopranistin begierig auf und setzten sie nach Möglichkeit umgehend um. Es war sehr erfreulich mitzuerleben, wie binnen weniger Minuten in den jeweiligen Interpretationen gewaltige Fortschritte festzustellen waren.
Der in Leoben geborene und in Trofaiach aufgewachsene Thomas Essl studierte Trompete und Jazzklavier in Graz. Seine Gesangsausbildung erhielt er in Graz bei Susanne Kopeinig und an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien bei Karlheinz Hanser, Schauspielunterricht bei Chris Pichler. 2018 war er Preisträger beim Nico-Dostal-Operettenwettbewerb und der Accademia vocalis in Wörgl. Auf eine rege Konzerttätigkeit als Trompeter folgten Auftritte als Sänger, so als Malatesta („Don Pasquale“) bei der Opera Nova in Sofia, sowie als Falke („Die Fledermaus“). Zu seinem Konzertrepertoire zählen Messen von Haydn und Mozart wie auch „Ein deutsches Requiem“ von Johannes Brahms. Aktuelle Projekte führen ihn als Giorgio Germont („La Traviata“) für eine konzertante Aufführung nach Berlin, mit Brahms-Liedern nach Riga, mit „Carmina burana“ nach Deutschland, mit einem Galakonzert nach Bayreuth, mit Konzerten nach Irland, sowie mit einem Verdi-Galakonzert nach Monaco. 2020 wird er in „Die blaue Mazur“ am Stadttheater Baden zu sehen sein. Im Frühjahr
2019 wirkte er an der Oper Graz als Scherasmin in Carl Maria von Webers „Oberon“ mit. In der Spielzeit 2019/20 ist er an der Oper Graz als Frank („Die Fledermaus“) und als Wirt („Königskinder“) zu sehen. Dass sich seine schön timbrierte, groß dimensionierte Baritonstimme ausgezeichnet für die großen Verdi-Partien eignet, hat er in diesen drei Tagen mit Rezitativ und Arie des Renato („Alzati … Eri tu“) aus dem „Maskenball“ und mit Posas Tod aus „Don Carlo“ bewiesen. Seine Artikulation ist ausgezeichnet, seine Lagatokultur beeindruckend, die Registerwechsel funktionieren bruchlos. Aber auch mit Rezitativ und Arie des Grafen aus Mozarts „Le nozze di Figaro“ bewies er, dass er es schon jetzt versteht musikalische Spannung gekonnt dramatisch aufzubauen. Dem steirischen Bariton kann man bereits jetzt eine große Karriere voraussagen.
Die Mezzosopranistin Antonia-Cosmina Stancu studierte an der National Universität von Bukarest und war für vier Jahre Stipendiatin der „The Princess Margareta of Romania Foundation”. Nach dem Studium wurde sie an das Nae Leonard Musical Theatre engagiert. Zu ihrem Repertoire zählen Rollen wie Donna Elvira („Don Giovanni“), Dorabella („Così fan tutte“), Marcellina („Le Nozze di Figaro”), Olga („Eugen Onegin“), die Titelpartie in „Carmen“, Maddalena („Rigoletto“) und Suzuki („Madama Butterfly“). Sie gewann zahlreiche Preise, u. a. den ersten Preis beim „Aslico“-Preis. In der Saison 2019/20 verkörpert sie an der Oper Graz den Tebaldo in „Don Carlo“, den Stéphano in „Roméo et Juliette“, die Wirtstochter in „Königskinder“ und die Krystina in „Die Passagierin“. Die erst 24-jährige bildhübsche Sängerin besitzt einen aparten, dunkel timbrierten Mezzosopran, der bereits jetzt in das hochdramatische Fach tendiert, was sie in der Meisterklasse mit der Arie der Eboli („O don fatale“) aus „Don Carlo“ und mit der Arie der Jeanne d’Arc aus der „Jungfrau von Orléans“ von Tschaikowsky eindrucksvoll bewies. Eine große Überraschung bot sie jedoch mit der Arie der Donna Elvira („Mi tradi“) aus Mozarts „Don Giovanni“, in der sie bewies, dass ihre Stimme auch diese Sopran-Arie mit perfekten Koloraturen und mühelosen Höhen bewältigt. Ihre Stärke liegt dennoch im dramatischen Mezzosopran-Fach, sie wird bestimmt in einigen Jahren eine Traumbesetzung der Dalila in „Samson et Dalila“ sein.
Die österreichische Sopranistin Eva-Maria Schmid schloss 2017 ihr Masterstudium Lied und Oratorium bei Florian Boesch und Robert Holl in der Gesangsklasse von Edith Lienbacher mit Auszeichnung an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien ab. 2018 war sie Semi-Finalistin beim Internationalen Mozartwettbewerb für Gesang Salzburg, debütierte im Konzerthaus Wien und sang einen Liederabend beim Österreichisch-Griechischen Musiksommer in Athen. Engagements führten sie an die Kammeroper München (Rosina in „La finta semplice“), ans Theater an der Rott (Pauline in „Pariser Leben“), Landestheater Linz (Puppi in „Liebesluft“), zum Festival am Semmering (Gräfin Almaviva in „Die Hochzeit des Figaro“), ans Stadttheater Meran und zum Musikfestival Steyr. Im Konzertbereich trat sie im Musikverein Wien, Brucknerhaus Linz, Operettentheater Kiew, beim Internationalen Brucknerfest Linz sowie in der Philharmonie Krakau auf. Im Sakralmusikbereich ist sie in der Augustinerkirche Wien oder im Wiener Stephansdom zu hören. 2020 singt sie im Brucknerhaus Linz die Kantate „Wie der Hirsch schreit“, op. 42 von Felix Mendelssohn Bartholdy.
In der Saison 2019/20 ist sie an der Oper Graz als Stimme von oben („Don Carlo“), als Katja („Die Passagierin“) sowie als Ida („Die Fledermaus“) zu erleben. Die Sängerin stammt aus Rainbach bei Schärding (Oberösterreich) und besitzt einen klaren, koloratursicheren Sopran. Sie arbeitete im Rahmen der Meisterklasse an der Rosenarie der Susanna aus Mozarts „Le nozze di Figaro“ und an der Arie der Norina aus Donizettis „Don Pasquale“. Demnächst wird sie in der Neuproduktion von Mozarts „Don Giovanni“ an der Grazer Oper die Zerlina singen. Toi, toi, toi!
Der österreichische Tenor Mario Lerchenberger studierte an der Kunstuniversität Graz (KUG) Gesang bei Tom Sol, sowie Lied bei Joseph Breinl und Oratorium bei Robert Heimann. Weiters studierte er auch Chorleitung bei Franz M. Herzog, Dirigieren (Schwerpunkt Chor) bei Johannes Prinz und Gesangspädagogik. Als Sänger ist er bei Konzerten und Opernproduktionen im In- und Ausland zu erleben: etwa beim „Internationalen Brucknerfest“ in Linz, dem Festival für Alte Musik „Song of Our Roots“ in Jaroslaw (Polen), bei „NeuesMusikTheater.graz“, dem „ZAMUS“ (Zentrum für Alte Musik) in Köln, den Festivals „styriarte“ und „La Strada“ in Graz und bei Konzerten und Produktionen an der KUG. 2017 war er an der KUG als Camille de Rosillon in Lehárs „Die lustige Witwe“ zu hören. Im Februar 2018 sang er – ebenfalls an der KUG – den Nemorino in Donizettis „Liebestrank“, im Mai dieses Jahres folgte der Ferrando in Mozarts „Così fan tutte“. In der Saison 2018/19 verkörperte er den 4. Juden in Richard Strauss‘ „Salome“ an der Oper Graz. In der Saison 2019/20 ist er u. a. als Alfred in der „Fledermaus“ zu erleben. Zu seinem Konzertrepertoire zählen sowohl diverse Messen (u.a. von Haydn, Mozart, Schubert), sowie eine Vielzahl von Liedern, als auch Werke wie Bachs „Johannespassion“, Händels „Messiah“ (auch in der Bearbeitung von W.A. Mozart), Rossinis „Petite Messe solennelle“, Dvoraks „Stabat Mater“, Orffs „Carmina Burana“ oder Ariel Ramírez‘ „Misa Criolla“. Als Dirigent widmet er sich vorrangig der Chormusik, wobei auch zahlreiche Aufführungen von Orchestermessen sowie anderer Chor-Orchesterwerke zu seinen bisherigen dirigentischen Tätigkeiten zählen. Während der Meisterklasse bewies er, dass sich seine helle Tenorstimme nicht nur bei Donizetti (Arie des Nemorino „Una furtiva lagrima“ aus dem „Liebenstrank“) und Mozart (Arie des Don Ottavio „Dalla sua pace“ aus „Don Giovanni“), sondern auch im Verismo-Fach (Arie des Federico „È la solita storia“ aus „L’Arlesiana“ von Francesco Cilea) zu Hause fühlt.
Martin Simonovski begann sein Gesangsstudium in Skopje bei Aleksandra Kocevska und Slavica Petrovska-Galic. Während seines Studiums in Mazedonien trat Martin Simonovski auf allen bedeutenden Podien in Skopje auf und gewann Wettbewerbe in Montenegro, Serbien und Mazedonien. Gegenwärtig studiert er an der Kunstuniversität Graz bei Tom Sol. Von 2015 bis 2017 war er „Best of South East“-Stipendiat der Steiermärkischen Sparkasse. Konzerte gab er mit der Mazedonischen Philharmonie, an der Mazedonischen Oper in Skopje, sowie bei weiteren Festivals in Mazedonien. Außerdem sang er in Risto Avramovskis Oper „Lidija od Makedonije“ und war als König Heinrich in „Lohengrin“ zu hören.
In der Saison 2016/17 debütierte er an der Oper Graz mit der Rolle des Grégorio („Roméo et Juliette“). Seither war er hier u.a. als Don Prudenzio in Rossinis „Il viaggio a Reims“, als Lord Tristan in „Martha“ und als 5. Jude in „Salome“ zu sehen. Der mazedonische Sänger besitzt einen „schwarzen“ Bass, wie man ihn selten zu hören bekommt, und der ihn für die großen Basspartien prädestiniert, was er mit der Arie des Sarastro aus der „Zauberflöte“ („In diesen heil’gen Hallen“), mehr noch aber mit der Arie des Kardinals Brogni aus „La Juive“ von Halévy („Si la rigueur et la vengeance“) eindrucksvoll unter Beweis stellte.
Am ersten Tag schaute auch Tetiana Miyus vorbei, die bereits in der Saison 2011/12 an der Grazer Oper debütierte, dann zwei Jahre lang Mitglied des Opernstudios war und seitdem Ensemblemitglied der Oper Graz ist. Sie hat in den letzte Jahren hier schon schöne Erfolge verbuchen können (u.a. als Pamina, Susanna, Micaela, Nannetta, Musetta und Corinna in Rossinis „Il viaggio a Reims“) und bereitet derzeit ihr Rollendebüt als Leila in Bizets „Perlenfischer“ vor. Frau Miyus arbeitete mit KS Tomowa-Sintow an der Arie der Leila und an der Arie der Mimì aus „La Bohème“.
Begleitet wurden alle Sänger von dem lettischen Korrepetitor Maris Skuja, der mit immensem Wissen und der notwendigen Pedanterie den Sängern keine Ungenauigkeiten, sei es in der Aussprache oder auch in musikalischer Hinsicht („Eine Sechzehntelnote ist keine Achtelnote!“) durchgehen ließ. Sein Repertoire scheint unermesslich zu sein, manche Musiknummern spielte er auswendig! Bereits vor Beginn der Meisterklasse gab es einen berührenden Moment, als Maris Skuja bei Begrüßung von Anna Tomowa-Sintow erzählte, dass er sie bei ihrem ersten Auslandsgastspiel 1969 in Riga als „Troubadour“-Leonore und als Butterfly erlebt hat.
Zum Abschluss ließ dann noch Bernd Krispin, der Dramaturg der Oper Graz, im Gespräch mit Anna Tomowa-Sintow das Leben und die Karriere der großen bulgarischen Sopranistin Revue passieren. Umrahmt wurde dieses Gespräch mit Ausschnitten von Videoaufzeichnungen großartiger Aufführungen, die belegen, dass Anna Tomowa-Sintow in Opern von Mozart und Verdi, von Puccini und Richard Strauss an der Seite von so großartigen Partnern wie Luciano Pavarotti und Plácido Domingo und unter Dirigenten wie Herbert von Karajan und James Levine Maßstäbe gesetzt hat. Mögen diese Dokumente einer einzigartigen Karriere den jungen Sängern ein Ansporn sein.
Walter Nowotny