1.12.2024: Oper Graz: „TANNHÄUSER oder der „Sängerkrieg in der Gruabn“
Der Sängerkrieg in der „Gruam“. Foto: Werner Kmetitsch)
Im zweiten Akt, als die Festgäste rundherum um die (Bau? – oder sonstige ) Grube standen, und die wackeren Sänger anfeuerten, da fiel es mir wie Schuppen von den Augen! Es kann sich nur um eine Hommage an den SK Sturm handeln! Für Auswärtige und Nichtfußballfans: dieser Grazer Verein, der zur Zeit das Maß der Dinge im österreichischen Fußball ist, hat seine Heimstätte in der legendären „Gruabn“ (Grube) im Stadtteil Jakomini. Und die Klubfarben sind schwarz-weiß: und in diesen Farben waren auch die Teilnehmer des Sängerwettstreits gekleidet! Die schönen Kostüme – die halt nur wenig mit dem „Tannhäuser“ zu tun hatten – stammten übrigens von Esther Bialas. Das öde Einheitsbühnenbild – eben die Baugruber und dahinter ein Gemäuer – offenbar ein Kellergewölbe, weil die meisten Akteure von oben her kamen – das für alle Schauplätze herhalten musste und die Sänger zu abenteuerlichen Leiter- und Treppauf und ab Manövern zwang, schuf Christian Schmidt. Darin lief die Handlung ab: der offensichtliche „Penner“ Tannhäuser tritt gegen Dinge – unter anderem auch gegen ein kaputtes Klavier, macht Lärm – und beruhigt sich erst , als er sich einen „Schuß“ setzt – also drogensüchtig ist er auch, verwahrlost sowieso, in Fetzen gekleidet, mit zotigem , langen Haar. Wie passend – als dann, wenn Hermann und die Männer zu dem sich unter dem Klavier versteckenden Tannhäuser meinen – er sei im „brünstigen Gebete“ – und Biterolf treffend bemerkt: „Nach seiner Tracht – ein Ritter“! Da konnte man den einen und anderen Lacher vernehmen. Von Erotik war davor im „Venusberg“ keine Spur in dem Loch – merkwürdigerweise schlich „der Hirt“ im ähnlichen „Outfit“ wie Venus, die im Glitzerkleid zu ihm in die Grube kam ( eine große Leistung mit dem langen, engen Kleid über die schmale Leiter zu klettern) , mit merkwürdig lasziven Verrenkungen umher, und im zweiten Akt erschien auf der Treppe hinter den Festgästen noch eine dritte „venusähnlich“ gekleidete Gestalt – eine Art „Drag-Queen“, die offenbar Tannhäuser „veranlasste“ sich im Wettstreit furchtbar aufzuführen , aus der Grube herauskommend die Festgäste zu betatschen, einem Kellner das Tablett aus der Hand zu schlagen – sehr störend und unfair gegen über den Kantilenen des Wolfram – und dann mit dem davon laufenden, hingefallenen sogar einen Koitus anzudeuten. Unnötig, Thema verfehlt würde ich sagen! Und doch – es ist kaum zu glauben – gab es unglaublich berührende Momente, eine teils sehr gute Personenführung und Interaktion, sodaß man den aus Kasachstan stammenden Regisseur Evgeny Titov nicht gänzlich „verdammen“ kann! Nein, er hat sich selbst – passend zur Oper – „erlöst“ und – abgesehen von den „Verirrungen“ ein teilweise sehr spannendes, und trotz all meiner Anprangerungen doch aus dem Duktus der Musik heraus ansprechendes Musiktheatererlebnis ermöglicht.
Venusberg. Foto: Werner Kmetitsch/Oper Graz
Wobei die Musik an diesem Abend so dominant war, daß sie noch mehr an Ungereimtheiten hätte vergessen lassen können. Denn man muß der Grazer Oper ein großes Kompliment machen, was sie da auf die Beine gestellt hat. Höchstes Lob ist den ungemein konzentrierten „Grazer Philharmonikern“ zu zollen, und dem „Chor und Extrachor der Oper Graz „ – ein von Johannes Köhler bestens einstudierter, mächtiger Klangkörper! Bravi! Glücklich schätzen kann sich das Haus, wenn man einen Chefdirigentenstellvertreter wie Johannes Braun zur Verfügung hat. Mit klarer Zeichengebung, „unaufgeregt“, ohne die geringste „Show-Attitüde“, dafür immer aufmerksam koordinierend , die Bühne unterstützend und einen großen Bogen über dieses packende Werk spannend, ermöglichte er einen ganz besonderen, musikalisch gelungenen Nachmittag! Eine erfreuliche Begegnung mit einem vielversprechenden Musiker am Pult im Stile der – leider immer weniger werdenden – guten, alten „Kapellmeister“! Zwei Ansagen waren erforderlich, denn einerseits war der Protagonist schwer indisponiert und sang trotzdem, die Venus mußte hingegen kurzfristig getauscht werden. Nun, Ersterer schlug sich wacker, versuchte trotz seinen teils hörbaren Problemen, die wichtigen – und das sind meist auch die heiklen! – Passagen auszusingen, was ihm zum Großteil auch passabel gelang. Dank seiner guten Einteilung schaffte er es durchzuhalten, und die Romerzählung und das Finale gelang Samuel Sakker dann sogar am Besten und Eindringlichsten – zu Recht wurde er auch dankbar beklatscht. Als Venus sprang ein „Grazer Liebling“ ein, die von 2009- 2017 Mitglied des Hauses war, die aus Wuppertal stammende Djamilja Kaiser. Schon von Gestalt her eine perfekte Venus, sang sie die heikle Partie differenziert und stimmschön – ich kenne die urspünglich vorgesehene Mezzosopranistin nicht, kann mir kaum vorstellen, daß die besser hätte sein können… Ein junger Mann, Nikita Ivasechko, überraschte als ungemein feinfühliger Wolfram. Ein geradezu belkantesker Bariton wird sehr gut geführt und bestens artikuliert – bei diesem Deutsch käme niemand drauf, daß er eine slawische Muttersprache sein eigen nennt! Man hatte auch immer das Gefühl, daß er die Figur verinnerlicht und bestens vorbereitet hat. Sein Höhepunkt war ein berückend schönes „Blick ich umher in diesem edlen Kreise“ – da dachte ich kurz an Hermann Prey, den besten Wolfram, den ich je gehört habe – er muß´sich wohl eine Aufnahme von ihm angehört haben! Auch die anderen Sänger wie Ted Black mit hell leuchtendem Tenor als Walther, machten ihre Sache gut: Biterolf Markus Butter, Euiyoung Peter Oh als Heinrich, der Schreiber und Willi Frost als Reinmar. Mit einem auffällig klar leuchtenden Sopran ließ die aus Sibirien stammende Ekaterina Solunya als „Ein junger Hirt (Venus) „ – so im Program angekündigt!? – aufhorchen:die möchte ich gerne wieder hören! Souverän gestaltete Wilfried Zelinka den Landgraf Hermann: autoritätsgebietend seine Physis, jedes Wort verständlich seines markanten Basses – eine großartige Interpretation, rund, gelungen, ein großes Plus der Aufführung!
Erica Eloff. Foto: Oper Graz
Kaum in Worte zu fassen ist das, was Erica Eloff als Elisabeth bot: eine technisch perfekt geführter, leuchtend funkelnder Sopran ist zu unzähligen Schattierungen, Ausdrucksnuancen fähig. Sie bringt alles so natürlich, so selbstverständlich über die Rampe, jede Geste, jeder Blick, da ist nichts aufgesetztes oder maniriertes, da ist nur echtes Gefühl, das direkt ans Herz (und zu Tränen) rührt. Von ganz hinten, von der Treppe kommt im zweiten Akt ihr umwerfendes, mächtiges „Haltet ein!“ – um dann ihren Heinrich zu verteidigen, mit berückenden Phrasen zu verkünden, daß nicht sie, die nun Empörten, seine Richter sein dürfen, nur Gott allein. Eine Szene, die sich geradezu einbrennt, wo sie mit „Legenden der Vergangenheit“, die ich Laufe der Jahrzehnte miterleben durfte, ohne Abstriche mitzuhalten im Stande ist. Ihr klingendes, geradezu sehrendes Piano im Gebet, ihre reine Fürsorge für Wolfram, wenn sie ihn, der sich hingelegt hat, behutsam zudeckt, und dann die Bühne verläßt – jede Menge großer Momente, die diese große Persönlichkeit aus Südafrika da den Menschen beschert hatte ( Szene an der Garderobe im schönsten sterischen Dialekt, zwei ältere Frauen: „Die Elisabeth hat sou schei gsungan“ – „ So a große Stimm` und soo schee leise a .. „) Bravissima!
Mit Jubelstürmen und Ovationen – zu Recht längerem Applaus als zur Zeit an der Wiener Oper üblich geworden – geht dieser ausverkaufte Nachmittag im Grazer Opernhaus zu Ende – Chapeau!
Michael Tanzler
Weitere Vorstellungen: 6.12.2024, 8.1.2025