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GRAZ/ Opernhaus: MADAMA BUTTERFLY – Premiere. Butterflys erwachsener Sohn im Museum

16.10.2022 | Oper in Österreich

Oper Graz

MADAMA BUTTERFLY – Butterflys erwachsener Sohn im Museum. 15.10.2022 – Premiere

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Szenenfoto: Oper Graz © Werner Kmetitsch

 Diese Inszenierung hat eine Vorgeschichte: sie war bereits 2020 bis zur Generalprobe fertig erarbeitet – die Premiere musste damals allerdings coronabedingt abgesagt werden. Nun wird sie nachgeholt. Der holländische Regisseur Floris Visser mit seinem Team (Bühne – Gideon Davey, Kostüme – Jon Morrell) hat zwei wesentliche Eingriffe in das Libretto vorgenommen: alle drei Akte spielen in einem (vom Regisseur so benannten) „Erinnerungsraum des Museums“ und von Beginn an ist der „erwachsen gewordene Sohn von Butterfly und Pinkerton“ stumm-anteilnehmender Beobachter des Geschehens und Akteur. Sobald das Publikum den Zuschauerraum betritt, ist der Vorhang bereits offen und gibt den Blick frei auf ein Museum mit Besuchern und Museumswärtern. Das Museumsgeschehen setzt sich auch nach dem Erlöschen der Lichter im Zuschauerraum minutenlang fort, bevor das Orchester (endlich) wie in der Partitur vorgesehen ff und allegro vigoroso einsetzt.

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Szenenfoto: Oper Graz © Werner Kmetitsch

 Nun schieben die Museumswärter die seitlichen Wände und die Ausstellungsvitrinen zurück. Auf der sich ergebenden freien Fläche wird die Oper in den gewohnten Kostümen und im wesentlichen entsprechend dem Libretto wiedergegeben. Dem Programmheft entnimmt man, dass wir uns abwechselnd im Jahre 1952 und in den 1920er Jahren befinden, in einer Zeit, in welcher die Aspekte „Tradition“ und  „Fortschritt“ Japan sehr beeinflusst haben. Die Hochzeitszeremonie findet in traditioneller Form statt.

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Szenenfoto: Oper Graz © Werner Kmetitsch

Das Liebesduett und die Hochzeitsnacht  werden breit ausgespielt. Der Regisseur schreibt dazu: Im Liebesduett sagt er am häufigsten „Vieni! Vieni“ – der Höhepunkt der Hochzeit ist die Liebesnacht, er will sie ins Bett kriegen. Körperliche Liebe. Er will sie nehmen. Und besitzen. Suzuki breitet in der Bühnenmitte das Hochzeitslager aus. Pinkerton streift die Hosenträger ab. Dann verdeckt eine riesige Schmetterlingprojektion samt aufspießendem Nagel die Szenerie. Der Dirigent bezeichnet im Programmheft dieses Duett als eines der schönsten Liebesduette in der gesamten Operngeschichte. Ich gestehe gerne, dass ich das in dieser vergröbernden Szenerie nicht so erleben konnte!

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Szenenfoto: Oper Graz © Werner Kmetitsch

Im 2. Akt  wird offenbar der oben erwähnte „Fortschritt“  nach drei Jahren des Wartens gezeigt: Cio-Cio-San tritt barfuß, rauchend und offensichtlich alkoholisiert im amerikanischen schwarzen Cocktailkleid auf, Fürst Yamadori wirbt um sie im Cut. Das Ende des 2.Akts ist wieder konventionell – Programmheft: Ein Kanonenschuss meldet die Ankunft von Pinkertons Schiff: Butterfly schmückt sich und ihr Haus mit Blüten.Cio-Cio-San ist beim Kirschblüten-Duett wieder in ihrer traditionellen japanischen Kleidung.

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Szenenfoto: Oper Graz © Werner Kmetitsch

 Im 3.Akt überlagern sich die Zeitebenen zu  irrealen Bildern. Junger und erwachsener Sohn treten gleichzeitig auf, es gibt Harmonie vorspiegelnde Familienfotos. Insgesamt fand ich das Regie-Konzept bemüht und durchdacht, wenn es auch für mich keinerlei Bereicherung des Werks und meines bisherigen Butterfly-Bildes bedeutete. Die Museums-Idee ist wahrlich nicht neu – das hatten wir schon z.B. in Stefan Herheims mehrfach wiederaufgenommener Grazer  Carmen-Produktion oder in der Salzburger Festspielproduktion von Il Trovatore in der Regie von Alvis Hermanis. Positiv sei angemerkt, dass auch für Menschen, die Butterfly noch nie gesehen haben, der Handlungsstrang konsequent und verständlich dargestellt wird. Spezielle Feinheiten der Personenführung sind mir nicht aufgefallen – Suzuki trippelt wie seit Jahrzehnten, Pinkerton ist eher ungeschlacht und unbeteiligt, Sharpless sympathisch ratlos, Goro wie eh und je schleimig. Das Regie-Konzept wird in sachlicher Trockenheit umgesetzt. Für mich kam da keine Puccini-Stimmung auf – und es fehlte mir die blutvolle und hin und wieder auch augenzwinkernde Intensität eines Stefan Herheim.

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Szenenfoto: Oper Graz © Werner Kmetitsch

 Der musikalische Gesamteindruck war positiv. Die finnische Sopranistin Marjukka Tepponen in der Titelpartie war das unbestrittene Zentrum. Man kennt sie in Graz schon als Mimi und kann sich auf die in dieser Saison folgende Katja Kabanowa freuen. Die Stimme sitzt in allen Lagen und allen dynamischen Abstufungen absolut sicher. Im Spiel überzeugte und berührte sie mich erst im 3.Akt in der großen Szene Tu, tu piccolo Iddio. Im 2.Akt musste sie sich in diesem Konzept allzu hysterisch geben. Den ukrainischen Tenor Mykhailo Malafii  kennt man in Graz aus der letzten Don-Carlo-Premiere. Das ist eine robuste Stimme, die mühelos alle Spitzentöne schafft, wenn auch ab der höheren Mittellage für meine Ohren das gutturale Organ allzuweit hinten sitzt. Das Grazer Hausensemble war mit  den Rollen von Sharpless und Suzuki ausgezeichnet vertreten. Neven Crnic beeindruckte mit seinem nobel-pastosen Bariton und Mareike Jankowski mit ihrem warm-getönten, in allen Lagen ausgewogenen Mezzo. Manuel von Senden als Goro, Daeho Kim als Bonzo und Martin Fournier als Yamadori  waren gebührend scharf gezeichnete Charaktere. Die zahlreichen Kleinstrollen übernahmen erfolgreich Chorsolisten. Der Chor der Oper Graz (Leitung: Bernhard Schneider) war – wie seit Jahren! – eine verlässliche Stütze der Aufführung.

Gegenüber der 2020 vorbereiteten Produktion gab es eine wesentliche Änderung. Die musikalische Gesamleitung hatte nun der noch nicht vierzigjährige ungarische Dirigent Gábor Káli, der erstmals in Graz auftrat und  der 2018 den „Salzburg Festival Young Conductors Award“ gewonnen hatte. Für mich präsentierte er sich als versierter Musiker – wenn auch ohne spezielles Profil. Mit den gut disponierten Grazer Philharmonikern bot er eine sehr gute, wenn auch nicht außergewöhnliche Leistung. Am Anfang gab es einige nicht zu überhörende Unebenheiten zwischen Orchestergraben und Bühne. Das besserte sich rasch – und ich gestehe, dass mich wahrscheinlich die Aufmerksamkeit einfordernde Inszenierung von der Musik  ablenkte, sodass für mich die differenzierten großen lyrischen Aufschwünge ein wenig untergingen. Mir schien alles ein wenig gleichförmig. Ich nehme an, da werden in den nächsten 11 Vorstellungen noch mehr Facetten herausgearbeitet können.

Die insgesamt sehr solide Produktion wurde vom Publikum mit viel Beifall aufgenommen – den intensivsten Beifall gab es für Marjukka Tepponen in der Titelpartie.

 Hermann Becke, www.deropernfreund.de. 16. 10. 2022

 

 

 

 

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