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Graz/Opernhaus: DER FLORENTINER HUT von Nino Rota. Premiere

14.05.2023 | Oper in Österreich

Graz: „DER FLORENTINER HUT“ –  Oper, 13.5. 2023(Premiere)

flp
Foto: Fotowerk/ Kmetitsch

 Lange Zeit gehörten die Lustspiele von Eugène Labiche (1815 1888) zum festen Bestandteil des deutschen Theaterrepertoires. Sein beliebtestes Werk war wohl „Un chapeau de paille d’Italie“, das im deutschen Sprachraum meistens unter dem Titel „Der Florentinerhut“ lief. Das Stück war so beliebt, dass sogar in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus eine Filmversion mit Heinz Rühmann gedreht wurde. Ich selbst kann mich noch an Aufführungen im Burgtheater (1980 mit Frank Hoffmann) und im Wiener Volkstheater (1996 mit Georg Schuchter) erinnern.

Der Komponist Nino Rota (1911 – 1979) ist uns heute vor allem als Filmmusikkomponist bekannt. Besonders intensiv war die Zusammenarbeit mit Federico Fellini. Nino Rota komponierte bis zu seinem Tod die Musik für sämtliche Filme Fellinis ab 1952 (darunter für Filmklassiker wie „La strada“ oder „La dolce vita“). Aber auch für Luchino Visconti („Der Leopard“) und Franco Zeffirelli („Der Widerspenstigen Zähmung“, „Romeo und Julia“) oder für Filmklassiker wie „Tod auf dem Nil“ schuf Nino Rota die Musik. Für die Musik zum zweiten Teil von Francis Ford Coppolas Filmtrilogie „Der Pate“ erhielt Nino Rota sogar den Oscar.

Viel weniger bekannt ist, dass Nino Rota schon als Wunderkind zu komponieren begann, dann bei Giacomo Orefice, Ildebrando Pizzetti, Alfredo Casella und später in den USA bei Rosario Scalero und Fritz Reiner studierte, von Arturo Toscanini gefördert wurde, mit Igor Strawinky befreundet war und einer der Lehrer von Riccardo Muti war. Neben der Komposition von ca. 150 Filmmusiken hat Nino Rota auch zehn Opern, 23 Ballett- und Bühnenkompositionen, drei Sinfonien, drei Klavierkonzerte, drei Cellokonzerte, ein Kontrabasskonzert, ein Posaunenkonzert, ein Fagottkonzert, ein Harfenkonzert, Kammer- und Klaviermusik sowie Chorwerke geschaffen. An der Wiener Staatsoper ist meines Wissens nach bisher nur eine Oper Nino Rotas gespielt worden, die Kinderoper „Aladdin und die Wunderlampe“, die es in den Jahren 2005 – 2012 immerhin auf 74 Vorstellungen gebracht hat.

Von seinen zehn Opern hat sich aber eigentlich nur „Il cappello di paglia di Firenze“ durchgesetzt. Diese „farsa musicale“ in vier Akten das Libretto erstellte der Komponist selbst zusammen mit seiner Mutter Ernesta Rota entstand in den Jahren 1944/45, wurde aber erst am 21. April 1955 am Teatro Massimo in Palermo uraufgeführt und war ein großer Erfolg. Im Jahr 1963 hat die Volksoper im Redoutensaal diese Oper auf Deutsch dem Wiener Publikum erstmals präsentiert (mit Peter Minich als Fadinard, Renate Holm als Elena und Hilde Konetzni als Baronin von Champigny). Und im Jahr 2001 konnte man diese Oper in der Originalsprache an der Wiener Kammeroper sehen.

Nun folgte also die Grazer Erstaufführung, Corona-bedingt mit zweijähriger Verspätung und damit eigentlich ungeplant als Abschiedsproduktion der scheidenden Intendantin. (Man hat 2021 in der Corona-Zwangspause die musikalische Einstudierungsarbeit genutzt, um die Oper auf CD einzuspielen. Die Gesamtaufnahme ist bei CAPRICCIO erschienen und kann im Foyer der Oper bzw. an der Tageskasse der Grazer Oper erworben werden.)   

Nur ganz kurz zum turbulenten Inhalt der Oper:  Auf dem Weg zu seiner Hochzeit mit Elena, der Tochter des Landwirts Nonancourt, frisst das Pferd von Fadinard den Florentiner Hut der Dame Anaide Beaupertuis, die sich gerade mit ihrem Liebhaber in einem Gebüsch vergnügt. Ohne den Hut traut sich die Dame nicht zurück zu ihrem eifersüchtigen Mann, und so muss Fadinard einen neuen Florentiner Hut besorgen.  Es beginnt eine abenteuerliche Jagd, die Fadinard durch halb Paris führt, vom Hutladen bis zum Salon der Baronin von Champigny, die gerade die High Society zu einem Konzert mit einem berühmten italienischen Geiger in ihrem Haus versammelt, und Fadinard mit diesem verwechselt. Die Hochzeitsgesellschaft vom Land, die die ganze Zeit Fadinard auf den Fersen folgt, fällt über das Buffet im Hause der Baronin her, im Glauben, dass dies das Hochzeitsessen sei. Ausgerechnet dem Ehemann der Dame, Herrn Beaupertuis, erzählt Fadinard sein Missgeschick. Schließlich findet sich unter den Hochzeitsgeschenken ein Strohhut, der dem zerstörten Hut gleicht. Die Ehre der Dame ist gerettet und Fadinard kann sich endlich seiner Elena und der Hochzeit widmen.  

Die Musik Nino Rotas ist durchgängig tonal und durchkomponiert, die Instrumentation ist durchsichtig. Der Komponist integriert Zitate aus seinen eigene Filmmusiken, aber auch Anklänge an Rossini, Donizetti, Bellini, Offenbach, Puccini, Johann und Richard Strauss bis zu Schostakowitsch in genialer Weise in seine Partitur. Wenn sich die dunklen Wolken zu einem Gewitter zusammenbrauen hört man die Walküren durch die Luft reiten, die Gewittermusik fängt dann so ähnlich an wie die Gewittermusik aus Rossinis „Barbier von Sevilla“  und geht dann in der Steigerung über zu der großen Sturmszene aus dem 1. Akt von Verdis „Otello“. Das Liebesduett zwischen Fadinard und Elena ist ganz im Belcanto-Stil eines Bellini oder Donizetti komponiert und das turbulente Finale im 3.Akt erinnert sehr an die großen Opernfinali von Rossini. Wenn es leidenschaftlich wird, blitzt Puccini durch, und irgendwann flimmert auch die „Salome“ von R. Strauss durch. Für einen Musikkenner macht es wirklich Spaß aufmerksam zuzuhören und die jeweiligen Anklänge herauszufinden. Aber das Großartige an Nino Rotas Musik ist, dass er das alles kunstvoll zu seinem eigenen Stil zusammengebaut hat.

Regisseur Bernd Mottl hat bereits mehrmals an der Oper Graz („Il Viaggio a Reims“ und „Der Opernball“)  und an der Volksoper („Kiss me, Kate!“) bewiesen, dass er humorvoll und temporeich Musikkomödien inszenieren kann und ein besonderes Händchen für „Timing“ hat, denn wie leicht können humorvoll erdachte Regieeinfälle in billigen Klamauk abgleiten! Aber dies geschieht hier glücklicherweise nie. Die Pointen sitzen, das Timing passt perfekt. Friedrich Eggert hat dazu ein geniales, witziges Bühnenbild geschaffen, das aus überdimensionalen Geschenkpaketen und Hutschachteln besteht, die zu einer Stadtlandschaft zusammengebaut sind. Durch die Drehbühne sind diese Schachteln immer wieder aus einem neuem Blickwinkel zu sehen und ermöglichen so rasche Szenenwechsel von einem Salon zu einem Modisten-Laden (köstlich, wie die Arbeiterinnen des Hutladens alle in einer riesigen Hutschachtel sitzen), von einem Badezimmer zu einem Platz mit einem Wärterhäuschen etc. Da das Bühnenbild und die phantasievollen Kostüme (Alfred Mayerhofer) größtenteils in Schwarz-Weiß gehalten sind, hat man beinahe den Eindruck, als würde man einen alten Schwarz-Weiß-Film sehen. 

Piotr Buszewski, der die Hauptrolle des Fadinard singt, ist der einzige Gast an diesem Abend. Der polnische Tenor, der auch schon an der Covent Garden Opera London und an der Metropolitan Opera New York aufgetreten ist, brilliert darstellerisch und mit schönem, lyrischen Stimmmaterial als rastlos durch Paris eilender Bräutigam. Alle übrigen Rollen können aus dem Ensemble der Grazer Oper hervorragend besetzt werden: Daeho Kim als drollig charakterloser Schwiegervater in spe Nonancourt, Anna Brull mit sinnlichem Timbre als umwerfend komische, exaltierte Baronin von Champigny, Tetiana Miyus mit lyrischer Stimme und perfekten Koloraturen als bezaubernde, aber naive Braut Elena, Ivan Oreščanin als eifersüchtig-beschränkter Beaupertuis, Andżelika Wiśniewska als flatterhafte Anaide mit Damenallüren, Dariusz Perczak als deren gar nicht so mutiger Liebhaber Emilio und Martin Fournier als komischer, tauber Onkel Vézinet. In den kleineren Partien ergänzen noch Ivana Ristić, Majkend Hasa, Adrián Berthely, Yalun Zhang und Mátyás András die Besetzungsliste. Auch der hervorragende Chor der Oper Graz (Einstudierung: Bernhard Schneider) ist wieder mit viel Spielfreude bei der Sache.

Der Dirigent Daniele Squeo findet mit den brillanten Grazer Philharmonikern eine perfekte Balance zwischen der Melodienseligkeit und dem Parlandostil.

 

2015 startete Nora Schmid als Intendantin der Oper Graz mit einer sensationellen Aufführung von Franz Schrekers „Der ferne Klang“. Und mit dieser letzten Premiere verabschiedet sich die Intendantin nun nach acht erfolgreichen Jahren von Graz. So viel gelacht wurde schon lange nicht mehr in einer Opernvorstellung. Jubel für alle Mitwirkenden und auch für das Regieteam. Besser hätte der Abschied nicht gelingen können. „Tutto nel mondo è burla!“

 

Walter Nowotny

 

 

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