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GRAZ / Oper: Premiere von SCHWANDA DER DUDELSACKPFEIFER

19.12.2021 | Oper in Österreich
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Petr Sokolov (Schwanda) in der Hölle. Alle Fotos: Oper Graz / Peter Kmetitsch

GRAZ / Oper: Jaromir Weinbergers SCHWANDA DER DUDELSACKPFEIFER

18. Dezember 2021 (Premiere)

Auf Die Perlenfischer tags darauf Schwanda der Dudelsackpfeifer: eine logistische wie auch künstlerische Herausforderung. Aber Corona macht vieles möglich und erzwingt so manches. So sind anscheinend Komödien und Unterhaltung wieder mehr gefragt. Die komischen Opern von Rossini und Donizetti sind freilich schon zur Genüge bekannt und auf- und abgespielt. Da fällt einem wenig Neues ein. Puccinis Gianni Schicchi vielleicht, oder die viel zu selten gespielte musikalische Komödie Der Zerrissene von Gottfried von Einem.

In dieser Situation hätte sich die Oper Graz wohl kaum ein besseres Stück aussuchen können als Jaromir Weinbergers frohsinnig-übermütige, ungemein unterhaltsame und abwechslungsreiche Vertonung der legendären Abenteuer des Dudelsackpfeifers Schwanda. Der Bauer und Musikant Schwanda ist eine Mischung aus Til Eulenspiegel und dem Lieben Augustin, dem Bänkelsänger, Dudelsackspieler, Sackpfeifer, Stegreifdichter und Stadtoriginal von Wien, der bekanntlich die damalige Pandemie, Pest genannt, heil überlebt hat. Wie Augustin entkommt auch südböhmisches Pendant dem drohenden Tod, als Schwanda, von der über ihn und von ihm enttäuschten Eiskönigin zum Tode verurteilt, vom gefinkelten Räuber Babinský in letzter Minute vor dem Fallbeil gerettet wird, indem dieser dem verdutzten Scharfrichter flugs einen Besen in die Hand zaubert.

Das erinnert freilich auch an den verschmitzten Helden aus der Tondichtung Til Eulenspiegels lustige Streiche von Richard Strauss, der, ebenfalls zum Tode verurteilt, seiner Hinrichtung entkommt. Zu guter Letzt gelingt auch noch, wieder mit Hilfe Babinskys, der tschechischen Ausgabe eines mit allen Wassern gewaschenen Räubers à la Robin Hood, die Rettung Schwandas aus der Hölle. Und das, obwohl er seine Seele bereits leichtfertig, wenn auch aus Liebe zu seiner Frau Dorotka, die er dadurch schützen will, dem Teufel vermacht hat. Mit diesem turbulenten, vielleicht etwas zu lange geratenen Schlusspunkt findet die märchenhafte, burleske Handlung ihre Erfüllung.

Musikalisch steht die perfekt instrumentierte Partitur ganz im Bann der böhmischen Volksmusik mit ihren unverkennbaren Tänzen und Liedern. Weinbergers großes Vorbild ist dabei Bedrich Smetana, vor allem dessen Oper Die verkaufte Braut. Seine amalgamierende Kompositionsweise nimmt aber auch Anregungen seines Lehrers Max Reger auf. Zu finden sind weiters Anklänge an Strauss, Cornelius (Hänsel und Gretel) und Schreker. Bühnenwirksam ist Weinbergers Musik allemal, hat er doch sein erstes Geld als Komponist von Bühnenmusiken verdient und dabei wichtige Erfahrungen gemacht: „Und so begann ich meine Opernkarriere mit dem Einatmen des Bühnenstaubs, erinnert er sich 1956 In seiner autobiographischen Notiz „Was mir blieb…“.

1927 in Breslau uraufgeführt, erobert seine Volksoper Schwanda der Dudelsackpfeier die damalige Opernwelt, wird in 17 Sprachen übersetzt und u.a. auch in London und New York gespielt. Sowie, fast ein Jahr noch vor Wien, 1929 auch schon in Graz. Ab 1932, mit Beginn der Nazizeit, beginnt sein Stern zu verblassen. Im Exil in Amerika kann er nicht auf Dauer Fuß fassen, wird depressiv und nimmt sich 1967 das Leben. Das tragische Schicksal eines Künstlers, der mangels Publikums und Zuspruchs in seiner Kreativität allmählich verdorrt.

Für den Erfolg der Grazer Neuproduktion ist – neben der höchst passgenau ausgesuchten Besetzung – vor allem das leading team dieser Neuinszenierung verantwortlich. Der Regisseur Dirk Schmeding scheut keinen Aufwand, die wechselnden Schauplätze, auf die es Schwanda auf seinem abenteuerlichen Ausflug, angeregt von Babinsky verschlägt, jeweils mit prall-buntem Leben zu füllen. Da ist einmal der von Schwanda und seiner Frau bewirtschaftete Bauernhof mit seinem allgegenwärtigen Hühnervieh, das auch im Vorspann während der Ouvertüre (Video Krzysztof Honowski) mit allerlei Schnappschüssen und Videoeinspielungen für komische Effekte am laufenden Band sorgt. Es folgt die frostig-schöne Welt der Eiskönigin (Bühne Martina Segna), deren Untertanen als putzige Pinguine (Kostüme Frank Lichtenberg) durch die erstarrte Gegend watscheln. Und schließlich erwartet Schwanda die Hölle, eine Saunagesellschaft, bevölkert von grotesk beleibten Insassen und einer Handvoll Teufel, die aber kaum als Aufseher in Erscheinung treten, sondern sich unter die bedrohlichen Fleischmassen mischen. Da ist immer was los, Gewusel und Getue (Choreographie Beate Vollack), und doch verliert man das jeweilige Zentrum des Geschehens kaum je aus den Augen, wofür u.a. auch das punktgenaue Lichtdesign von Sebastian Alphons sorgt.

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Petr Sokolov (Schwanda), Matthias Koziorowski (Babinsky) und Polina Pastirchak (Dorotka)

Petr Sokolov in der Titelrolle ist, sowohl stimmlich wie auch darstellerisch, eine ideale Besetzung für den naiven, gutmütigen, aber auch abenteuerlustigen Dorfmusikanten, der seinen Prinzipien entschieden treu bleibt und sich standhaft weigert, dem Teufel auf dem Dudelsack etwas vorzuspielen. Er kehrt, nach bestandenen Abenteuern, gerne auf den Bauernhof und zu seiner geliebten Frau Dorotka zurück (entzückend und quirlig die in Budapest geborene Sopranistin Polina Pastirchak), wiewohl zu erwarten ist, dass er für seine Musikauftritte weiterhin Freiraum in Anspruch nehmen wird.

Der umtriebige und vielseitig begabte Räuber Babinsky ist eine Paraderolle für den deutschen Tenor Matthias Koziorowski. Er steht, gemeinsam mit seinem Schützling Schwanda, nahezu ständig auf der Bühne, hat eine Unmenge zu singen und ist auch als Schauspieler gefordert. Die sympathisch ausgespielte Eitelkeit, das Kokettieren mit dem Publikum (auf der Bühne wie auch im Zuschauerraum) sind zwerchfellerschütternd komisch und parodistisch gekonnt dargeboten. Ein charismatischer und komödiantischer Entertainer durch und durch.

Die Mezzosopranistin Ester Pavlu ist eine elegante Eiskönigin, deren Herz durch Schwandas Musizieren aufgetaut wird, so dass sie sich auf der Stelle in ihn verliebt. Als urplötzlich dessen Ehefrau auftaucht und etwas dagegen einzuwenden hat, dass er sie tatsächlich auch heiratet, wird sie sauer und ihr Herz friert – argwöhnisch beobachtet, kontrolliert und drangsaliert vom Magier (der Bassist Daeho Kim) – zusehends wieder ein.

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Daeho Kim (Magier), Ester Pavlú (Königin), Petr Sokolov (Schwanda), Polina Pastirchak (Dorotka)

Eine rundum perfekt komische Figur – in diesem Fall als Fleischkoloss ungeahnten Ausmaßes – macht auch Wilfried Zelinka als Teufel, der von Babinsky bei Kartenspiel über den Tisch gezogen wird und seinen Einsatz – die Seele Schwandas – wieder verliert.

Der von Bernhard Schneider geleitete Chor & Extrachor ist in dieser Inszenierung nicht nur gesanglich, sondern auch darstellerisch extrem gefordert und macht seine Sache ausgezeichnet. Die Grazer Philharmoniker unter der Leitung des tschechischen Dirigenten Robert Jindra beweisen wieder einmal die Vielseitigkeit ihres Könnens und spielen vor allem auch die komplexen Zwischenspiele mit höchster Präzision und Ausdruckskraft und bleiben dem sinfonischen Anspruch dieser Musik nichts schuldig.

Nach der österreichischen Erstaufführung der Operette Die polnische Hochzeit von Joseph Beer nimmt sich die Oper Graz mit der Oper Schwanda der Dudelsackpfeifer erneut eines Werkes an, das von einem in die Wüste des Exils vertriebenen und damit an der gediehlichen Fortsetzung seiner Karriere gehinderten Komponisten stammt. Eine nachhaltige, nicht hoch genug einzuschätzende Entscheidung. Umso erfreulicher, dass auch diese Oper zu einem großen Publikumserfolg werden wird, wie sich schon jetzt, nach der gelungenen Premiere und angesichts des enthusiastischen Beifallsjubels, ohne jedes Risiko voraussagen lässt. Also: Auf nach Graz. Im Neuen Jahr warten weitere Aufführungen!

 

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