Foto: Oper Graz/ Werner Kmetitsch
OPER GRAZ – Friedrich von Flotow: MARTHA (3. März 2019)
Vor rund sechs Wochen ging am Müncher Gärtnerplatztheater die 125. Aufführung von „Marha“ in der legendären Inszenierung von Loriot, 1986 für das Staatstheater Stuttgart geschaffen und auch auf DVD dokumentiert, über die Bühne (der Schreiber dieser Zeilen war ein paar Tage später in einer Aufführung). Ob die aktuelle Produktion der Grazer Oper, Premiere war am 12. Jänner, auch nur einen ähnlichen Kultstatus erlangen wird, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.
Peter Lund, der zuletzt an der Volksoper als Regisseur der auch im ORF übertragenen „Csardasfürstin“ durchaus erfolgreich war, hat „Martha“ in Graz nicht unumstritten inszeniert. Die Kritiken der Premiere waren, vorsichtig formuliert, ziemlich durchwachsen und keineswegs euphorisch. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Lund die Szene in das Londoner Bethlem Royal Hospital verlegt hat. In einem auf der Homepage der Grazer Oper abrufbaren Video erklärt er zwar in klugen Worten, warum er diese Interpretation des Stückes gewählt hat, überzeugend ist das Konzept aber nicht. Ganz im Gegenteil – der Charme dieser vom Text nicht wirklich tiefschürfenden oder hintergründigen Oper, selbst eine Parodie der Oper von Nestroy erltt Schiffbruch, geht dadurch weitgehend verloren. Das können auch die historischen Kostüme (Daria Kornysheva) und das teils pittoreske Bühnenbild samt diverser technischer Spielereien (Ulrike Reinhard) nur sehr bedingt kaschieren. Und warum das Porterlied samt der zugehörigen Szene der Strichschere zum Opfer fiel, darf ebenso gerätselt werden, wie über einen Affen inmitten der Jägerinnen.
Richmond liegt in der Interpretation von Lund also in einer Klinik, den in der gewählten Spielzeit wohl gebräuchlicheren Begriff „Irrenanstalt“ vermeide ich, und die Patienten dürfen Theater spielen. Die adeligen Financiers dieser Klinik kommen gönnerhaft auf Besuch und spielen mit. In dieser Rahmenhandlung nimmt die unter Opernfreunden als bekannt vorauszusetzende Geschichte ihren Lauf. Dass dieses Konzept mit der Inhaltsangabe auf der Homepage nur bedingt kompatibel ist und sich auch in der im Programmheft abgedruckten nicht spiegelt, muss man zur Kenntnis nehmen.
Da die Kritiken auch nicht voll des Lobes über die musikalische Seite dieser Neuproduktion waren, durfte der aus Wien angereiste Besucher gespannt sein, wie es knapp zwei Monate nach der Premiere klingen würde. Flotow, der in Paris am Consevatoire studiert hatte, war mit Offenbach befreundet und mit der Musik von Rossini und Donizetti vertraut. Einflüsse, die sich in der Partitur der „Martha“ finden. Diese Spritzigkeit gab es am gestrigen Sonntag im Orchestergraben (Dirigent: Robin Engelen) nur bedingt zu hören, aber vielleicht ist das ja Konzept und soll die triste Spielfläche der Anstalt untermalen.
Die nicht unwichtigen Kleinpartien am Markt in Richmond, drei Mägde und zwei Pächter, werden wie häufig von Mitgliedern des Opernchores gesungen und diese beweisen die Qualität dieses Klangkörpers (Chorleitung: Bernhard Schneider, Georgi Mladenov). Dem gegenüber bleibt der ebenfalls aus dem Chor besetzte Richter als Person wie auch stimmlich eher blass. Wilfried Zelinka formt stimmschön einen rollengerecht blasierten Lord Tristan und gibt somit eine wunderbare Karikatur des verliebten Gockel mit allen auch in den Noten stehenden Finessen. Eine Luxusbesetzung als Plumkett wäre der als Ensemblemitglied der Staatsoper in Graz nur mehr gastierende dem Publikum langjährig vertraute Peter Kellner, dürfte er auch das Porterbier loben. Der noch junge slowakische Bass ist dank seiner schön geführten Stimme und überzeugenden Darstelung eine perfekte Besetzug für diese Rolle und ein Lichtblick der Aufführung. Wie er ist auch die Nancy Anna Brull Preisträgerin des Österreichischen Musiktheaterpreiseses – und das, nimmt man die gestrige Aufführung zum Maßstab, gleich ihrem Kollegen durchaus berechtigt. Ausdrucksstark und überzeugend im Spiel kann sie auch mit schöner Stimme punkten. Der Schlussbeifall weist sie als Lebling des Publikums aus. Die Premierenkritiken über den Lyonel von Ilker Arcayürek klangen nahezu durchgehend keineswgs begeistert, was ich nach gestern auch nachvollziehen kann. Ich möchte nicht apodiktisch urteilen, bleibe also (sehr) subjektiv; aber mir fehlt in seiner Stimme ganz allgemein der rollengeforderte Schmelz wie auch tenoraler Glanz in der Höhe. Für die titelgebende Martha konnte die Grazer Oper für drei Vorstellungen Jennifer O´Loughlin gewinnen, die mit dieser Partie gestern ein überzeugendes Hausdebut gab. Überzeugend als Figur, mit schön geführter Stimme und einer in dieser Perfektion von aktuellen auch prominenteren Fachkolleginnen nicht oft erlebbaren Pianokultur konnte sie das Publium begeistern und für sich einnehmen.
Da Resümee des Ausfluges nach Graz – eine in Summe szenisch wie musikalisch diskussionswürdige Auffährung, die mit Sicherheit nicht kalt lässt.
Michael Koling