
Daeho Kim (Micha), Andzelika Wisniewsdka (Háta), Wilfried Zelinka (Kecal), Sieglinde Feldhofer/Alternativbesetzung) und Ensemble. Alle Fotos: Oper Graz / Werner Kmetich
GRAZ / Oper: DIE VERKAUFTE BRAUT
8. Jänner 2023 (Premiere Ende November 2022)
Von Manfred A. Schmid
Die rasante Ouvertüre zu Bedrich Smetanas komischer Oper Die verkaufte Braut, oft mit Mozarts Ouvertüre zu Le nozze di Figaro sowie mit der zur Operette Die Fledermaus von Johann Strauß verglichen, ist gerne in Konzertprogrammen zu finden und gehört zu den beliebtesten Stücken, die von Streichern bei Probespielen für eine Stelle in einem Orchester abverlangt werden. Smetana hat sie komponiert, noch bevor er das Libretto in den Händen hatte, wusste aber über den Inhalt der Oper Bescheid. So ist es nicht verwunderlich, dass in ihr die folgenden Ereignisse, atmosphärisch verknappt, appetitanregend bereits ankündigt werden: Geschäftiges Treiben, gesellige Zusammenkünfte, ausgelassenes Feiern, unbändige Lebensfreude sowie Streitigkeiten, nicht zu vergessen der Hauch von Liebe und Zärtlichkeit. Und das alles in einem kleinen böhmischen Dorf, weshalb Anklänge an Volksweisen und Tänze natürlich nicht fehlen dürfen und auch im weiteren Verkauf der Handlung immer wieder auftauchen. Die Grazer Philharmoniker sind dieser Herausforderung bestens gewachsen und gehen durchaus musikantisch an sie heran. Nicht nur die Streicher, auch die Holzbläser verdienen erwähnt zu werden, allen voran die oft eingesetzte Klarinette. Dass das Ganze dann nicht zu einem Potpourri von Melodien und Tänzen wird, liegt an der genialen Partitur, aber auch an der Gestaltungskraft von Dirigent Roland Kluttig, der die das Ganze nie aus den Augen verliert und die großen Bögen sorgsam herausarbeitet und dabei auf den dahinter steckenden Witz und die Ironie nicht vergisst. Der „Furiant“, die Zirkusmusik, mit der der 3. Akt eingeleitet wird, entzündet ein Feuerwerk an Begeisterung, geprägt von Taktwechsel zwischen 2/4 und 3/4 Takt. Es gibt aber auch lyrische Momente des Innehaltens und der Reflexion, so etwa Maries traurige, geradezu wagnerisch angelegte Reaktion auf die schockierende Erkenntnis, von ihrem Geliebten um 300 Gulden an einen anderen Freier „verkauft“ worden zu sein, was sich erst im Nachhinein als Missverständnis und als geschickt platzierte Finte herausstellt.
Die Inszenierung stammt von der Schauspielerin, Regisseurin und Autorin Adriana Altaras, die eher traditionell arbeitet und mit dem modischen Regietheater wenig zu tun hat. Altaras versetzt die ursprünglich in der Mitte des 19. Jahrhundert stattfindende Handlung in die 70er bis 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Das böhmische Dorf hat hier zuweilen eher alpenländische Züge und könnte durchaus auch in der Steiermark oder in der deutschen Schweiz angesiedelt sein, wenn etwa im 2. Akt ein Alpenpanorama mit hohen, schneebedeckten Gipfeln entfaltet wird, was bei einer Koproduktion mit dem Konzert Theater Bern durchaus Sinn machen würde. Andere Aspekte, wie der Allzwecksaal, der im 1. Akt als Schauplatz dient (Bühne Christoph Schubiger), verweisen hinwiederum auf osteuropäische Gegebenheiten, wie sie vor der Wende existiert haben könnten. Das alles aber bleibt in der Schwebe, und das ist gut so. Mit vielen guten und gut dosierten Einfällen gelingt es der Regisseurin, eine unterhaltsame Umsetzung zur erreichen, das Publikum zu unterhalten. Hier geht es nicht um verbissenes Hinterfragen, sondern darum, eine nachvollziehbare, nette wie auch komische Geschichte zu erzählen. Nur manchmal wird hier über die Stränge geschlagen. Ein Mann im Kleid und mit Stöckelschuhen im Dorf hätte ausgereicht.
Im Mittelpunkt dieser Oper, Inbegriff der tschechischen „Nationaloper“, stehen nicht große, verehrungswürdige Helden, sondern die „kleinen Leute“ und die Außenseiter, die sich geschickt und mit Schmäh und Witz gegen die Ein- und Übergriffe der Oberen – in diesem Fall der reiche Bauer Micha und der machtbewusste und geschäftstüchtige Dorfgendarm Kecal – zur Wehr setzt, Hier werden nicht die öffentliche Konfrontation und die tätliche Auseinandersetzung gesucht, bei der man nur verlieren kann, sondern den Sieg erreicht Hans, der verstoßene Sohn, durch seine geistige Überlegenheit, durch seine List, mit der er seine Gegner düpiert: Eine Schwejkiade, die auch deshalb so herrlich unterhält, weil Hans die Geldgier seiner Gegner gegen sie dreht und sie so bloßstellt.
Wilfried Zelinka ist als gefinkelter Kecal eine Amtsperson, die es liebt, im Ort sich durchzusetzen und alle nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Bis er sich gegenüber Hans geschlagen geben muss. Prächtig dargestellt in seiner präpotenten, angeberischen und suggestiven Überzeugungskraft und auch erstklassig gesungen.

Albert Memeti (Wenzel) und Tetiana Miyus (Marie)
Mario Lerchenberger als Hans, über dessen Herkunft alle Welt rätselt und der deshalb etwas an den gesellschaftlichen Rand gedrängt wird, entwickelt eine ausgeklügelte Strategie, wie er sich schließlich doch Respekt verschaffen kann, ein angesehenes Mitglied der Gemeinschaft wird und seine Marie letztendlich doch heiraten wird. Ein heller, kräftiger, wendiger Tenor mit Ausstrahlung.
Als Marie, Objekt der Begierde des reichen Micha (Daeho Kim), der sie als Frau seines etwas merkwürdigen, unangepassten Sohnes Wenzel sehen will, gerät Tetiana Miyus, die einen anderen, nämlich Hans liebt, in einen Strudel einander widersprechender Aktionen. Darstellerisch und gesanglich eine Freude. Gut auch ihre Eltern, von denen ihre Mutter Ludmila (Mareike Jankowski) sie unterstützt, wenn sie auf ihrer Liebe zu Hans besteht, während ihr Vater Krusina (Markus Butter) sie Wenzel versprochen hat, weil er damit hofft, seiner Schulden bei Micha ledig zu sein.
Wenzel, der als schüchterner, etwas weltfremder Sohn, mit einer Henne im Arm durch den Ort streift, wird von der Dorfbevölkerung ausgegrenzt. Er, der von allen – auch vom Publikum – verlachte, wird von Smetana und dessen Librettisten Karel Sabina besonders liebevolle behandelt. Als er, von Marie durch Drohungen psychisch in die Enge getrieben wird und der Verzweiflung nahe ist, darf er in einer wunderschönen Arie sein Los beklagen. Albert Memeti gestaltet diesen bedauernswerten jungen Mann nicht als Dorftrottel, sondern als einen jungen Mann, der sich den ihm auferlegten Rollenbildern verweigert und sich schließlich in die Zirkuskomödiantin Esmeralda verliebt. Mit dem Entschluss, sich der Zirkustruppe anzuschließen und das Dorf zu verlassen, gelingt es ihm, sich der Dominanz seiner ehrgeizigen, alles kontrollierenden Mutter (großartig Andzelika Wisniewska) zu entziehen. Dass er, endlich in die künstlerische Freiheit entlassen, bald auch zu stottern aufhören wird, ist ebenfalls anzunehmen. (Wobei anzumerken wäre, dass Stotterer beim Singen nicht stottern, was aber unzählige Komponisten nicht daran gehindert hat, in Buffomanier vor allem Advokaten immer wieder stottern zu lassen.)
Gute Stimmung, viele Lacher und begeisterter Applaus im – auch Wochen nach der Premiere – noch immer so gut wie ausverkauften Haus. Eine Reise nach Graz ist durchaus empfehlenswert. Aber es gibt am kommenden Sonntag in ORF III auch die Möglichkeit, eine Aufzeichnung der erfolgreichen Grazer Neuproduktion zu sehen!