Oper Graz: „DIE MACHT DES SCHICKSALS“ – 2.10.2021 (Premiere)
Copyright: Oper Graz/ Werner Kmetitsch/Photowerk
Obwohl in der Originalsprache Italienisch gesungen, kündigt die Grazer Oper ihre Eröffnungspremiere der neuen Spielzeit mit dem deutschen Titel an. Vielleicht auch, um Publikumsschichten, die Italienisch nicht verstehen, darauf hinzuweisen, dass das Schicksal der heimliche Hauptdarsteller in dieser Oper ist. Regisseurin Eva-Maria Höckmayr hat dies auch noch dadurch betont, indem sie das Schicksal in Gestalt der Schicksalsgöttin Fortuna personifiziert auf die Bühne bringt. Und so sieht man schon zu den ersten Akkorden der Ouvertüre (dem Schicksalsmotiv) auf den Vorhang projiziert, wie Göttin Fortuna das Schicksalsrad in Bewegung setzt und damit die Handlung um ein unglückliches Liebespaar, Rache, Hass und unüberwindbare Ehrbegriffe in Gang bringt.
Für das Bühnenbild hat sich Momme Hinrichs etwas Besonderes einfallen lassen: um den starken Einfluss der katholischen Kirche in diesem Stück betonen zu wollen, gibt es eine Dreiteilung der Bühne in der Form eines gotischen Flügelaltars. In der Mitte befindet sich Leonora (manchmal mit einer Madonna überblendet), auf der linken Seite (Glückversprechen) befindet sich Don Alvaro, auf der rechten Seite (Unheilversprechen) Don Carlo. Und unter dem Triptychon ist einen Reliquienschrein, der im Verlauf der Handlung noch benötigt wird. Daneben wird dieser Rahmen auch verwendet, um zwischendurch auch immer wieder bildgewaltig berühmte Gemälde (darunter besonders eindrucksvoll da Vincis „Abendmahl“ und El Greco-Werke) nachzustellen.
Von Anfang an befindet sich eine alte grauhaarige Frau auf der Bühne, deren Bedeutung erst am Ende des Abends zum Verständnis der Handlung beiträgt. Im ersten Akt singt sie zwar Leonoras Dienerin Curra, aber später entpuppt sie sich als das Alter Ego von Leonora, die sich am Ende ihres Lebens an die ganzen Vorgänge noch einmal erinnert. Leonora gibt sich nämlich die Schuld am Tod ihres Vaters, hervorgerufen durch ihr Zaudern bei der geplanten Flucht mit Alvaro. Und so ist Curra eigentlich nur eine innere Stimme Leonoras, die im 1. Akt zur Flucht drängt, während Leonora noch zaudert und dadurch das Zusammentreffen Alvaros mit ihrem Vater und dessen Tod verschuldet. Den tödlichen Schuss gibt übrigens hier die Schicksalsgöttin ab, die omnipräsent ist und immer wieder in die Handlung eingreift. So spielt sie u.a. in der Klosterszene die Orgel. Der sterbenden Leonora erscheint im Finale Padre Guardiano in der Gestalt ihres Vaters. Die versöhnlichen Worte Guardianos sind für sie somit die ersehnten Worte der Versöhnung und Vergebung ihres Vaters. Die Macht des Schicksals. Die Regisseurin will uns damit wohl die Frage stellen, ob es höhere Mächte gibt, die unser Leben vorbestimmen, oder ob wir nicht selbstbestimmte Wesen sind, die unser Schicksal selbst in die Hand nehmen können. Damit gelang der Regisseurin eine glaubhafte und überzeugende Interpretation dieser Oper, die oft wegen ihres anachronistischen und unlogischen Librettos unterschätzt wird.
Mit einer erstklassigen Besetzung konnte die Grazer Oper auch in musikalischer Hinsicht punkten. Aurelia Florian als Leonora berührte mit ihrem warm timbrierten Spinto-Sopran sowohl mit zarter lyrischer Stimmführung als auch in den dramatischen Passagen. Jordan Shanahan (er sprang im August auch einmal für Bryn Terfel als Scarpia in den Kasematten ein) beeindruckte mit seinem kraftvollen Bariton, strahlenden Spitzentönen und schönem Legato als fulminanter Don Carlo. Nachdem Aldo Di Toro seine Anfangsnervosität abgelegt hatte, begeisterte er als Don Alvaro mit seiner strahlenden Tenorstimme und bombensicheren Höhen. Die Duette der beiden Herren gehörten zu den musikalischen Höhepunkten des Abends. Mareike Jankowski sah als Preziosilla und personifiziertes Schicksal in ihrem roten Kleid und mit roten Haaren nicht nur wunderschön und verführerisch aus, sie war auch stimmlich der sehr anspruchsvollen Partie mit ihrem dunklen, höhensicheren Mezzosopran jederzeit gewachsen. Timo Riihonen verlieh dem Padre Guardiano stimmlich und darstellerisch die Würde eines Abtes, allerdings störten gelegentliche Intonationstrübungen den insgesamt positiven Gesamteindruck. Einen ganz besonders großen Erfolg konnte Neven Crnić als stimmgewaltiger Fra Melitone bei seiner Moralpredigt und der Armenausspeisung verbuchen. Aber auch die kleineren Rollen waren ausgezeichnet besetzt: Corina Koller als Curra, Ivan Oreščanin als Alcalde, Mario Lerchenberger als schönstimmiger Mastro Trabuco, Dariusz Perczak als Chirurg und vor allem Wilfried Zelenka als Marchese di Calatrava. Bewundernswert, wie er nach seinem frühen Bühnentod bis zur Pause im Reliquienschrein liegen musste. Also unter Platzangst dürfte der Bassist sicher nicht leiden. Ausgezeichnet auch die Leistung des Chores und des Extrachores der Grazer Oper (Einstudierung: Bernhard Schneider) sowie der Grazer Philharmoniker (ein besonderes Bravo an den ausgezeichneten Solo-Klarinettisten) unter der musikalischen Leitung von Matteo Beltrami. Dem Dirigenten gelang es von den ersten Schicksalsakkorden bis zum versöhnlichen Finale am Ende die Spannung aufrechtzuerhalten.
Das Publikum dankte dem gesamten Ensemble für eine ausgezeichnete Verdi-Aufführung mit lang anhaltendem Applaus und Jubel, in den sogar das Regieteam miteingeschlossen wurde.
Walter Nowotny