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GRAZ / Oper: TANNHÄUSER – Neuinszenierung

Kraftvolle Bereicherung des Repertoires

02.12.2024 | Oper in Österreich
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Erica Eloff (Elisabeth) und Nikita Ivasechko (Wolfram). Alle Fotos: Oper Graz / Werner Kmetitsch

GRAZ / Oper: TANNHÄUSER – Folgevorstellung mit einer neuen Venus

Dezember 2024 (Premiere 5. Oktober 2024)

Von Manfred A. Schmid

Hochgelobt wurde die anspruchsvolle Neuinszenierung von Wagners Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg, mit der der Oper Graz einen fulminanten Start in die Saison 2024/25 hingelegt hatte. Sowohl Publikum wie auch Presse reagierten euphorisch, kein Wunder also, dass auch die vorvorletzte Vorstellung der herbstlichen Aufführungsserie vor einem prall gefüllten Haus stattfindet. Aus Krankheitsgründen gibt es sogar ein aufmerksamkeitsheischendes Rollendebüt: Statt Mareike Jankowski ist diesmal Dshamilja Kaiser als Venus zu erleben. Eine Rolle, in der die Mezzosopranistin, in Graz ohnehin keine Unbekannte, vor dem Sommer in Frankfurt schon erfolgreich auf der Bühne gestanden ist. In einem Silberkleid, das aus der Werkstatt Gustav Klimts stammen könnte, und mit einer warmtimbrierten, eleganten Stimme betört Venus Tannhäuser, einen Minnesänger auf Abwegen, der an seinem inneren Konflikt zerbricht, von der opferbereiten Elisabeth aber erlöst und letztlich von Gott höchstpersönlich gerettet wird. So weit die Geschichte. In Wahrheit aber ist es wohl die herrliche, magische Kraft der Musik, die dieses Wunder vollbringt. Wagner, der ja auch im Holländer, Lohengrin und Parsifal wankelmütige Männer gerne von Frauen, die dabei dann meistens draufgehen, erlösen lässt, erteilt sich – der beim Umgang mit Frauen seiner Mäzene, Freunde und Förderer bekanntlich nicht zimperlich war – mit seiner himmlischen Musik vielmehr selbst die Absolution.

Tannhäuser, in der Regie von Evgeny Titov, ist ein Künstler, der für sich in Anspruch nimmt, kraft seiner künstlerischen Berufung nicht an die gesellschaftlichen Konventionen und Moralstandards gebunden zu sein, sondern seine hedonistischen Triebe voll ausleben zu dürfen. Eben erst aus dem Venusberg heimgekehrt, wo er sich einem ausschweifenden, orgiastischen Leben hingegeben hat, bis er davon genug bekommen hat  und angewidert die Reißleine zieht (zuviel Stress?), gelingt es ihm nicht, sich wieder in das bürgerliche Leben der Minnesängergesellschaft einzugliedern. Ein enfant terrible, der geradezu zwanghaft die Umwelt schockieren muss. Als beim Wettsingen Wolfram die platonischen Ideale des Minnesangs beschwört, rastet er aus, schwärmt von der körperlichen, sinnlichen Liebe und geht sogar so weit, einer Harfenistin das Kleid vom Leib zu reißen und sie zu entblößen. Ein Skandal. Tannhäuser wird vom Landgraf Hermann dazu verdonnert, sich einer Pilgergruppe anzuschließen, die unterwegs nach Rom ist, um beim Papst um Vergebung zu bitten. Verbittert kehrt er zurück, der Papst selbst hat seine Verdammnis ausgesprochen. Aber: Siehe oben…

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Erica Eloff (Elisabeth), Sanuel Sakker (Tannhäuser) und Pilger

Christian Schmidt hat für Graz eine Einheitsbühne entworfen, die tadellos funktioniert. Im Mittelpunkt eine kraterähnliche Grube, die sowohl als Venusberg wie auch als Versammlungsort der Minnesänger  und als Treffpunkt für die Begegnungen Elisabeths mit Tannhäuser und Wolfram dient. In der Anfangsszene, als Tannhäuser sich von Venus trennt, ist von einer paradiesischen Grotte, wie von Wagner angedacht, nichts mehr zu sehen. Sie hat sich in seiner Wahrnehmung längst in eine verwahrloste Deponie mit riesigen blauen, mit Müll gefüllten Plastiksäcken verwandelt. Dazu ein desolates Klavier, an dem er sich abmüht. Ein deutliches Signal, dass er bei seinem emsigen Umgang mit Venus, seiner Muse, seine künstlerische Arbeit sträflich vernachlässigt hat. Wenn er dort dann im 2. Akt auf die Minnesänger trifft, ist die Grube vom Unrat geleert. Eine Stiege führt hinauf in eine kahle Halle, wo die geschickt im Raum verteilten Auftritte des Volkes und der Pilger erfolgen. Wohin ein weiterer Treppenaufgang führt, ist nicht zu erkennen. Ein Fluchtweg aus der engstirnigen Welt? Mehrmals gibt es Hinweise darauf, dass vieles, was Tannhäuser berührt, ohnehin nur in seiner Fantasie abläuft. So etwa, wenn die Venus auch im späteren Verlauf auf der Bühne erscheint, zuweilen sogar in mehrfacher Ausfertigung zugleich, wobei auch der junge Hirte (Ekaterina Solunya) in dieser Inszenierung als Venus auftritt.

Die Besetzungsliste sieht eine stattliche Reihe von Männern und nur zwei große Frauenrollen vor. Neben der bereits erwähnten, eindrucksvollen Venus von Dshamilja Kaiser kommt der frommen, unschuldsvollen, aber hier auch durchaus willensstarken Elisabeth eine wichtige Rolle zu. Die aus Südafrika stammende Erica Eloff, Ensemblemitglied am Musiktheater Linz und im September mit dem Österreichischen Musiktheaterpreis in der Kategorie „Beste weibliche Hauptrolle“ ausgezeichnet, gibt ein starkes Debüt an der Oper Graz. Ihre Elisabeth kontrastiert stimmlich gut zu Widersacherin, steigert sich von Akt zu Akt und erreicht in ihrer Gestaltung des Gebets im dritten einen grandiosen Höhepunkt. Mit feiner Tongebung, zarte Pianissimo und berührender Ausdruckskraft.

Samuel Sakker wurde als indisponiert angesagt, schafft aber die ungemein fordernde und gefürchtete Tenor-Rolle des Titelhelden gottseidank bis zum Ende erfreulich gut. Souverän und nobel gestaltet der Grazer Paradebassist Wilfried Zelinka seine Auftritte als Landgraf Hermann. Dem Bariton Nikita Ivasechko, seit Herbst Ensemblemitglied und aus dem Wiener Opernstudio kommend, gelingt als Wolfram von Eschenbach ein toller Einstieg in Graz. Seine mit warmem Glanz gesungene Arie an den Abendstern lässt aufhorchen.

Mehr als zufriedenstellend agieren die übrigen Minnesänger Walter von der Vogelweide (Ted Black), Biterolf (Markus Butter), Heinrich der Schreiber (Euiyoung Peter Oh) und Reinmar von Zweter (Will Frost).

Die starke Ensembleleistung der Oper Graz bestätigt sich auch in den tollen, von Johannes Köhler bestens einstudierten Einsätzen des durch den Extrachor und den Philharmonia Chor Wien verstärkten Chors der Oper Graz.

Was aber wäre alles das ohne die exzellente Arbeit der Grazer Philharmoniker! Schon beim Erklingen der ersten Takte hat man das Gefühl, einem musikalischen Hochfest beizuwohnen, in dem geradezu magische Kräfte am Werk sind. Ein Eindruck, der sich bis zum strahlenden Ende durchhält. Feine Streicherklänge sowie bestens eingestimmte Holz- und Blechbläser sorgen unter der Leitung von Johannes Braun für einen nuancenreichen Klang.

Die Aufführung wird enthusiastisch gefeiert. Die von Regisseur Evgeny Titov mit großem handwerklichem Können gestaltete und  gedanklich nicht überfrachtete Neuinszenierung ist eine vortreffliche Bereicherung des Repertoires. Mal sehen, wie im Vergleich dazu die Wiener Tannhäuser-Inszenierung (Premiere 22. Mai 2025) ausfallen wird. Graz hat dafür die Latte jedenfalls recht hoch gestellt.

Manfred A. Schmid

PS:

Es gibt schon am Nikolaustag, am 6. 12. die nächste Aufführung, und die letzte dann am 8. Jänner!   

 

 

 

 

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