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GRAZ / Oper: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

Herr Wagner ist sich selbst im Weg

02.05.2022 | Oper in Österreich
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Ensemble. Alle Fotos: Oper Graz / Werner Kmetitsch

GRAZ / Oper: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

1. Mai 2022 (Premiere 23.4.22)

Von Manfred A. Schmid

Die Regisseurin Sandra Leupold lässt in ihrer Grazer Inszenierung den Komponisten selbst mitspielen. Das ist zwar nichts Neues, bewegt sich, mit der hier gebotenen Penetranz, allerdings schon sehr nahe an der Grenze zur Lächerlichkeit. Zunächst ist Richard Wagner (Stephan Offenbacher) nur ein ergriffen gestikulierender Zaungast, der das Geschehen auf der Bühne aus der Ferne – von oben herab – mitverfolgt und zuweilen mitdirigiert. Später mischt er sich in das Geschehen ein, begrapscht Senta, beschwört sie stumm, wagt ein Tänzchen mit ihr und betätigt sich – als Helfer oder Hemmer – beim Fallen und Heben des Vorhangs. Am Schluss läuft Senta in panischer Angst vor ihm davon und flüchtet sich in den Zuschauerraum, so als sei er in seiner Selbstinszenierung furchterregender als der vom Holländer mehrfach zitierte Satan. Leupold hat dazu verlauten lassen, dass Augenzwinkern angebracht wäre. Augenschließen wäre vermutlich angebrachter.

Die Bühne von Mechthild Feuerstein besteht aus einem leeren schwarzen Raum ohne Mobiliar, wenn man von einem metallenen Rechteck absieht, das Senta als Rahmen für das Porträt des Holländers dient, das sie aus einer Vorlage nach dem originalen Bühnenbild der Münchener Erstaufführung aus dem Jahr 1864 ausschneidet, wie im Programmheft zu lesen ist. Später dient der Rahmen als Tor der Begegnung zwischen Senta und dem verwunschenen Seefahrer und markiert so den Übergang von einer Welt in eine gänzlich andere Welt. Auch die Kleidung des Holländers und seiner Mannschaft (Kostüme Jochen Hochfeld) folgt getreu dem Münchener Vorbild und ist in spanischer Tracht gehalten. Der Sinn dieses merkwürdigen Aufeinandertreffens von modernem (Regie-)Theater und historischer Aufführungspraxis will sich dem Betrachter nicht entschließen und wirkt letztlich nur wie ein mutwilliger Gag ohne tieferen Sinn.

Die Personenführung ist nicht sehr ausgefeilt, die Hauptakteure stehen viel herum, auch die Massenszenen sind eher statisch angelegt. Warum der Chor mehrmals rückwärtsgehend die Bühne betreten muss, einmal mit Wagner als Einweiser, bleibt rätselhaft. Wagnerseidank aber sind das unheimliche Treiben auf Hoher See, sind Stürme, hochspritzende Gischt und höchste Erregung in der Musik hochromantisch ausgedrückt. Roland Kluttig bringt mit den Grazer Philharmonikern Wagners reichhaltige Partitur zum Erklingen. Die Blechbläser, vor allem Trompeten und Posaunen, sorgen für Donner und Blitz, und die Streicher lassen die Wogen hochgehen. Auch der von Bernhard Schneider einstudierte Chor ist ein Hörgenuss. Das schaurige „Johohoe“ der Matrosen auf dem Geisterschiff kontrastiert stark mit der biedermeierlichen Anmut des Mädchenchors beim Spinnen – diesmal nicht in der warmen Stube, sondern im kahlen, dunklen Raum.

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Helena Juntunen (Senta), Kyle Albertson (Holländer)

Gesanglich sehr gelungen und eindrucksvoll erweisen sich die Hausbesetzungen. Wilfried Zelinka ist ein stimmsicherer Dalland. Sein wohltönender Bass strahlt väterliche Sorge aus, aber auch Autorität im Umgang mit seinen Seeleuten. Dass er dem Glanz des Goldes erliegt, das ihm vom Holländer angeboten wird, ist Teil seines Charakters und erinnert an den Kerkermeister Rocco in Beethovens Fidelio. Dass er deshalb in dieser Inszenierung das ihm übergebene Schatzkästchen immer mit sich tragen muss, ist eine Zumutung.

Der junge Tenor Mario Lerchenberger verfügt über eine strahlend helle Stimme. Dank phänomenaler Technik und feinem Legato gelingt es ihm mühelos, sich an Bord des sturmumtosten Schiffes gegenüber dem mächtig aufrauschenden Orchester zu behaupten. Bewundernswert auch sein zunehmendes Entsetzen, als er miterleben muss, wie die von ihm heimlich angebetete Senta von ihrem Vater an den Holländer verschachert wird. Ein auch darstellerisch überzeugender Tenor mit Zukunft, der beim Schlussapplaus auch entsprechend gefeiert wird.

Nicht ganz so überzeugend ist eine weitere Hausbesetzung. Die vielseitig einsetzbare Mareike Jankowski bleibt diesmal als gouvernantenhafte Mary etwas blass, was aber auch an der Inszenierung liegt. Der Szene mit dem Mädchenchor, die von ihr dominiert wird, zerfleddert in der großen kahlen, schwarzen Einheitsbühne heillos.

Als Jägersmann, der hilflos miterleben muss, wie seine Braut in den Armen des unseligen Holländers landet, kommt Maximilian Schmitt zum Einsatz. Ein klarer, warm klingender Tenor, der im Theater an der Wien schon in Mendelssohns Elias auf sich aufmerksam gemacht hat und zudem auch als Octavio im Haus am Ring zu erleben war. Für den Erik wirkt er eine Spur zu resignativ. Etwas mehr Kampfesmut könnte nicht schaden.

Für die beiden zentralen Figuren werden Gäste aufgeboten, die die hohen Erwartungen nur zum Teil erfüllen. Dem Bariton des Amerikaners Kyle Albertson fehlt es in der Tiefe an Durchschlagskraft, die Registerwechsel sind nicht ausgefeilt genug, es mangelt aber auch an der erforderlichen Ausstrahlung für diese geheimnisvolle, vom Schicksal schwer getroffene Figur.

Der Sopran der finnischen Sängerin Helena Juntunen blüht in der Ballade noch einigermaßen auf, erweist sich im weiteren Verlauf aber leider als zu klein dimensioniert für diese Partie. Darstellerisch liefert sie die Karikatur einer höchst neurotischen, hysterischen Frau.

Ziemlich zufriedener Beifall im gutbesuchten Grazer Opernhaus.

 

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