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GRAZ/ Kasemattenbühne Schlossberg: FIDELIO. Dem grollenden Himmel zum Trotz: erhebendes Musiktheater!

24.08.2020 | Oper


Foto: Photowerk

Graz: „FIDELIO“ auf der Kasemattenbühne 22.8. 2020-
Dem grollenden Himmel zum Trotz: erhebendes Musiktheater!

Angesagter Beginn: 20,00 Uhr. Der verzögerte sich nur um etwa 15 Minuten. Trotz alles Vorhergehenden. Als ich um ca.  18,30 Uhr den Schlossberg hinaufzuwandern begann, hatte sich der Himmel westlich von Graz bereits verdüstert. Fernes Grollen kam langsam näher und wurde um 19,00 Uhr, unter bereits kohlschwarzem Himmel – bei immer noch trockenen Wegen – lauter. Noch waren Wege und Stege trocken und reges Leben in den Gaststätten und bei diversen Aussichtspunkten schien dem Kommenden Trotz bieten zu wollen. Um 19,30 begann es zu schütten. Wer noch an der Abendkasse seine Karten abzuholen hatte, stand im Regen. Dann schnelle Flucht unter Dach. Gott sei Dank war der riesige (mit den derzeit üblichen freien Plätzen dazwischen) ausgebuchte Kasemattensaal inklusive der Bühne überdacht. Was aber den gewaltigen Lärm, den der Wettergott veranlasst hatte, nicht minderte. Fast während des gesamten 1. Aktes grollte der Himmel weiter.

Es wurde eine der musikalisch schönsten „Fidelio“-Aufführungen, die ich gehört habe. Unglaublich? Ja, vielleicht für Außenstehende. Aber was der junge Dirigent Marcus Merkel da zuwege gebracht hat, konnte nur helle Begeisterung auslösen. Der aus Berlin gebürtige Grazer Opernkapellmeister hatte die Idee geboren, hiemit an historisch bedeutsamer Stelle Beethovens Oper aufzuführen. Ursprünglich ab 1782 als Gefängnis für Schwerverbrecher genutzt, wurde die 1937 neu eingerichtete Kasemattenbühne mit „Fidelio“ feierlich eingeweiht und 1997  war letztmals wieder „Fidelio“ dort gespielt worden. Für insgesamt 1950 Besucher (incl. der Corona-bedingten Freiräume) konnten nun 3 konzertante Aufführungen geboten werden.
Aber: Es wurde kein „Konzert“ geboten, sondern eine vollgültige Aufführung des Beethovenschen Musikdramas! Und von Anfang an ein hoffnungsträchtiges Stück.

Marcus Merkel hatten wir ‚Merker‘ natürlich schon längst als außergewöhnliches Talent entdeckt. Ob bei Mozart, Verdi („Don Carlo“), Rossini („Barbiere“), Johann Strauß („Fledermaus“) oder „Kiss me Kate“, ein Musiker, der auch schon als Komponist, Pianist und Sänger Preise gewonnen hat. In Berlin hat er die Junge Philharmonie gegründet und in Graz die „Jungen Konzerte“.

Im gegenwärtigen „Fidelio“ haben Mitglieder der „Grazer  Philharmonie“ gespielt. Der Maestro dirigierte ohne Noten.
Erstaunlich war  zunächst, wie locker die Ouvertüre gebracht wurde. Sie versprach ein humanes Stück mit glücklichem Ende. Sie zerfiel  nicht in mehrere Teile. Generalpausen wurden zu neuem Spannungsaufbau genützt.  Keinerlei Tempi wurden forciert. Alle schienen vollkommen natürlich zu kommen. Immer im Dienste des theatralischen Geschehens und dem Charakter der jeweils singenden Person entsprechend. Eine natürliche Spannung ließ den gesamten, nicht ganz 2 Stunden währenden Abend nie nach. Mit ganz schlichter Zeichengebung gab Merkel jedem Sänger volle Sicherheit, ebenso wie er suggerierte, was die nächste Musiknummer ausdrücken sollte. Da die Sprechtexte weggelassen wurden – mit Ausnahme der Verlesung von Pizarros „Brieftext“(„Der Minister hat in Erfahrung gebracht…“), der ja zur folgenden Arie gehört, und die melodramatische Szene im Kerker zwischen Rocco und Leonore -,  sorgte der Dirigent dafür, dass nach den einzelnen Musiknummern klar deklarierte Applauspausen geboten wurden.

Alle Sänger waren in ihren Rollen (nicht nur „Partien“!) glaubwürdig, obwohl sie sich mit einem Minimum an Bewegungen und Gesten präsentierten.

Marzelline und Jaquino standen an der Rampe, links und rechts vom Dirigenten. Die Armenierin Narine Yeghiyan spielte und sang ohne Soubrettengehabe ein charmantes verliebtes Mädchen mit angenehmem, warmem Sopran, gekrönt von ihrer Arie.  Der in Graz ausgebildete junge Tenor Mario Lerchenberger war ein sympathischer, schön singender  Jaquino. Immer wieder überrascht es mich ein wenig, wenn Peter Kellner als Bass auftritt. Für den Vater Rocco ist er doch noch ein bisschen jung. Er singt tadellos und alles klingt bei ihm ganz natürlich, aber sein Temperament und Spieltalent ruft einfach nach aktiveren Bassbaritonrollen – Mozarts Figaro, Don Giovanni etc.etc. Immerhin konnte er seine komödiantische Begabung auch dem Kerkermeister einverleiben.

Sehr gut passte das Quartett, bei dem die vier Sänger jeweils erst zu ihrem ersten Einsatz auftraten. Merkel schaffte es, daraus ein zwingendes Ganzes zu machen, mit passender emotionaler Zurückhaltung, aber für die Zuhörer mühelos verständlich.

Barbara Krieger, aus Wiesbaden gebürtig,  in weißem Hosenanzug und mit sommerlich braun gebranntem Gesicht, gestaltete  optisch glaubwürdig den Fidelio. Die vertrackte Partie kann es vertragen, dass verschiedene Stimmlagen der Sängerin unterschiedlich klingen. In der Mittellage passend, in den lyrischen Passagen vielleicht manchmal etwas zu angestrengt, schaffte sie die dramatischen Höhen mit einiger Kraft, was aber der mutigen Retterin ihres Mannes nicht schadet.

Die militärische Überleitungsmusik hatte „drive“.  Sir Bryn Terfel sang mit seiner enormen Stimmkraft sehr glaubwürdig den Pizarro, der meint, alle seine Ziele mit Gewalt erreichen zu können. Das Publikum dankte ihm mit dem stärksten Soloapplaus des Abends!

Mitglieder des Grazer Opernchores (mit schwarzen Masken!) sangen ein wirklich wunderbar befreiendes „Oh welche Lust in freier Luft…“ , bekräftigt durch Ks. Reiner Goldberg, der sich die Minipartie des Ersten Gefangenen gewünscht hatte: „Wir wollen mit Vertrauen auf Gottes Hilfe bauen…Wir werden frei...“

Nach Absage von Peter Seifferth übernahm nochmals Roberto Saccà den Florestan. Er konnte glauben machen, wie schlecht es ihm ging, und bewältigte dies gesanglich und optisch. Dass es edlere Timbres und Künstlerpersönlichkeiten gibt, die daraus einen großen Träumer und Idealisten machen, wissen wir. Die Dirigent versuchte orchestral zu ergänzen, was an vokaler Betörung vermisst wurde.

Hochdramatik fand dann Einsatz mit Pizarros Auftreten im Kerker, musikalisch ganz klar strukturiert, sodass man jede Stimme tadellos heraushörte, aber die allgemeine Erregung, die sich natürlich aufs Publikum übertrug, einen Höhepunkt erreichte.

Der glückliche Spannungshöhepunkt war dann – ohne Zwischentext – die „namenlose Freude!“, die ich seit den „Fidelio“-Dirigaten von Peter Schneider nicht mehr so tränentreibend in den Jubel-Crescendi gehört habe wie jetzt unter Marcus Merkel.  Nun war – leider, wohl  „Corona“-bedingt ohne 3. Leonoren-Ouvertüre – die Stimmung für ein glückliches Finale aufgebaut. Das jubelnde Ehepaar und das jubelnde Orchester ließen jenes  Meisterwerk Klang werden, das wir zu Jahresbeginn bei den Wiener Aufführungen der früheren Fassungen so schmerzlich vermisst hatten.

Wieder übernahm das Orchester unter Merkels Führung den Übergang zum Freuden-Finale, den an der Wiener Staatsoper in der Otto Schenk-Inszenierung die fallende Zugbrücke mitgestaltet. Das Finale wurde von allen Mitwirkenden so gestaltet, als hätte es nie anders sein können. Der Minister in Gestalt von Neven Crnic, aus Bosnien/Herzogowina, Grazer Ensemblemitglied, aus dem Young Singers Projekt der Salzburger Festpiele hervorgegangen, hatte die Ehre, das liebende Paar endgültig wieder zu vereinen.  Pizarro verschwand unauffällig vom Schauplatz, Marzelline akzeptierte den Jaquino und alle anderen jubelten, wie es nur Beethoven  so symphonisch fesselnd und so menschlich glaubwürdig vermocht hat.  Und Marcus Merkel sah offenbar keine Veranlassung, da noch irgendwelche übertriebenen Akzente zu setzen.  Sie waren alle da  – dank Beethoven.

Dass es  nach der bejubelten Aufführung noch kräftig regnete, hat wohl weiterhin die Luft gereingt. Zumindest in Graz.
Die Welt wäre eine andere, wenn solche Ereignisse weltweit die Regel wären.

Sieglinde Pfabigan

 

 

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