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GRAZ/ Kasematten: FIDELIO. Sir Bryn Terfel debutiert unter Marcus Merkel in Graz mit Pizarro!

24.08.2020 | Oper


Die Kasematten-Bühne: Foto: Photowerk

GRAZ / Kasematten: FIDELIO am 23. August 2020

Sir Bryn Terfel debutiert unter Marcus Merkel in Graz mit Pizarro!

Entschlossen und souverän tritt der junge Grazer Kapellmeister Marcus Merkel um Punkt 20 Uhr an das Pult der Mitglieder der Grazer Philharmoniker in den beeindruckenden Kasematten der Schlossbergbühne Graz und dirigiert ganz ohne Noten (!) Beethovens dritte Version seines „Fidelio“ von 1814 (Gott sei Dank, wenn man an das kürzlich so missglückte Abenteuer der Wiener Staatsoper denkt) mit einer musikalischen Selbstsicherheit, die auch einen Weltstar wie Sir Bryn Terfel beeindrucken musste. Er gab – Corona machte es möglich – ausgerechnet hier oben auf dem Grazer Burg-Berg, von dem der Außenstehende sonst meist nur den Uhrturm kennt, sein spätes Rollendebut als Pizarro. Wie Sir Terfel mir in einem Anfang August entstandenen Interview mitteilte, war es auch Marcus Merkel, der ihn über seine Mitwirkung in einer „Sweeney Todd“-Produktion kennen lernte und fragte, ob er für Pizarro nicht nach Graz kommen wolle. Und er sagte Ja!

Die Kasematten auf dem Burg-Berg haben eine dunkle Vergangenheit, die allerdings frappierend an die Story von „Fidelio“ erinnert, weshalb das Werk hier nach Umbau zum Theaterraum 1937 bereits aufgeführt wurde. Die Kasematten, die heute zum UNESCO-Weltkulturerbe der Stadt Graz gehören, entstanden um 1594 als Kellergewölbe des Hauses des Schlosshauptmannes und dienten dem Kaiserreich ab 1782 als Gefängnis für Schwerverbrecher, also kurz nachdem der älteste Sohn Maria Theresias, Joseph II., nach deren Tod 1780 die Alleinherrschaft übernommen hatte. Als Schwerverbrecher bezeichnet man bekanntlich auch heute noch nur allzu oft politische Gefangene – „Fidelio“ ist also in der Tat nicht weit…

Es war die letzte von drei Aufführungen. Da man wegen des Corona-bedingten Sitzplatzabstandes jeweils nur etwa 700 Besucher unterbringen konnte, gab man „Fidelio“ dreimal, um die volle Sitzplatzkapazität der Kasemattenbühne, wie sie im Volksmund genannt wird, von knapp 1.800 zu erreichen. Man wählte eine halb-konzertante Aufführungsform – es gab also keine Notenpulte – mit einer schlichten szenischen Einrichtung von Andrea Tortosa Baquero und zum Thema bestens passenden, auf Schwarz und Weiß abstellenden Kostümen von Emma Sophie Hoffmann. Die Protagonisten bemühten sich dementsprechend um stets gelungene und bisweilen sogar szenisch aufregende Interaktion mit intensiver Körpersprache und Mimik, die mit der von Marcus Merkel mit dem Orchester ständig aufrecht erhaltenen Spannung das Publikum in den Bann zog und die bereits (unter Weglassung aller Rezitative und einigem mehr) auf knapp zwei Stunden gekürzte Vorstellung noch kurzweiliger werden ließ. Im Prinzip hörte man alle „Leckerbissen“ des „Fidelio“, also die bekannten Arien und Duette sowie die gemeinsamen Auftritte mehrerer Protagonisten, zumal in der Minister-Szene im 2. Akt. Feinfühlig gewährte Merkel dem Publikum die Möglichkeit zu immer wieder beherztem Applaus, ohne die dramaturgische Dynamik zu stören. Dieser Applaus entfaltete sich nach der schon mit Spannung erwarteten Arie von Bryn Terfel als Pizarro „Er sterbe…“ gleich zu einem Bravosturm. Das heizte die gute Stimmung ungemein an.


Barbara Krieger, Marcus Merkel, Bryn Terfel. Foto: Photowerk

Terfel ließ wirklich das ganze Register seines Könnens in diese beängstigend aggressiv gesungene Arie des Pizarro einfließen, mit klar artikulierter Tongebung und großer Strahlkraft seines heldisch betonten Bassbaritons. Hinzu kommt seine überaus authentische, bisweilen magisch wirkende Mimik und Charakterisierung der Rolle, die wahrlich nichts zu wünschen übrig lassen. Im Zwiegespräch mit dem zuvor durch seine großartige Musikalität und einen wohlklingenden warmen Bass mit exzellenter Führung und perfekter Diktion aufgefallenen Peter Kellner, der sich – auch wenn er jünger als die meisten Roccos ist – zuvor als absolut souverän in den Szenen mit Marzelline und Jaquino darstellte, ließ Terfel ihn mit der Intensität seiner Anweisungen wie ein dramaturgisches „Würstchen“ aussehen. Solche Intensität an stimmlich-mimischer Präsenz ist nicht oft in szenischen Aufführungen zu erleben und gehörte zu den Höhepunkten des Abends. Sie erinnerte mich im Übrigen an Kommentare Bryn Terfels, die er in dem oben erwähnten Interview machte. Da betonte er, dass ein Singen ganz ohne Requisiten und szenische Beeinflussung der stimmlichen Qualität besonders förderlich sei, indem er niemand geringeren als Hans Hotter zitierte: “I am not sure if it’s true, but Hans Hotter famously said that the best performance of Wagner he had was in his music room, so you take away all the sets and all the movements and… I have even in the role of Wotan particularly enjoyed the concert semi-staged versions that we did in Tanglewood in the Edinburgh Festival. It solidifies the mind, the body, frees up the technical capabilities of the voice. When you’re doing big Wagnerian roles you have the spears and the heavy costumes…”. Damit ist einiges gesagt… Ob die Geldknappheit für Neuinszenierungen, die infolge der Corona-Krise zu erwarten ist, uns gewollt oder ungewollt in eine solche Richtung führt? Wir werden es bald sehen.

Leider hatte Ks. Peter Seiffert den Florestan abgesagt, aber der international bekannte deutsch-italienische Tenor Roberto Saccà sprang ein und meisterte die tragische Rolle des politischen Gefangenen mitnehmend. Saccà verfügt über einen kraftvollen Tenor. Das „Gott, welch Dunkel hier…“ ging durch Mark und Bein. Aber die Stimme weist, zumal in der Höhe, doch eine gewisse Enge auf, die den hier gewünschten großen heldischen Aplomb vermissen lässt. Mario Lerchenberger war ein absolut erfreulicher Jaquino, mit einem sicher geführten Tenor, mit dem er die Facetten des Leidens diese jungen Mannes um Marzelline bestens darstellte. Seine Angebetete war, ebenfalls aus dem Grazer Ensemble, die Armenierin Narine Yeghiyan mit einem klangschönen mädchenhaften Sopran, also bestens zur Rolle passend, die sie auch mit der gewünschten Emotionalität zu interpretieren wusste. Für einen respektvollen Auftritt sorgte schließlich der Minister Neven Crnic, ebefalls ein junges Ensemblemitglied der Grazer Oper, hervorgegangen aus dem Young Singers Project der Salzburger Festspiele 2018. Er beeindruckte mit einem kräftigen, wenn auch (noch) etwas herben Bassbariton als souveräner Friedensbringer und ließ gutes Entwicklungspotential erkennen.

Leider fiel Barbara Krieger außer einer ansprechenden darstellerischen Leistung stimmlich als Leonore signifikant gegen dieses gute Ensemble ab und offenbarte gesangliche Schwächen in fast allen Bereichen. Ihr Sopran klang verbraucht und gedämpft, bei mangelnder Wortdeutlichkeit und Schwierigkeiten sowohl bei den Koloraturen wie Registerbrüchen in der Tiefe. Krieger schien für mich oft wie neben der Rolle zu stehen – die Stimme entwickelte keine vokale Leuchtkraft. Der mittlerweile 80jährige (!) Ks. Reiner Goldberg beeindruckte allein schon durch seinen Auftritt mit dem kurzen und durchaus ansprechend gesungenen Monolog des 1. Gefangenen. Es wirkte in guter Manier des fliegenden Holländers wie eine gute (!) Erinnerung an die „Ferne längst vergangener Zeiten“… Richard Jähnig komplettierte mit einem prägnant singenden 2. Gefangenen das Ensemble. Die Mitglieder des Grazer Opernchores erschienen beim ersten Auftritt Terfels mit Masken, was aber der vokalen Prägnanz keinen Abbruch tat. Auch das größere Ensemble später beeindruckte durch stimmliche Fülle und Transparenz sowie gute Abstimmung unter den Gruppen.

Zum Schluss nochmals zu Marcus Merkel und seinen Grazer Philharmonikern, deren Kapellmeister er seit 2015 ist und wo er auch als Pianist agiert. Wie er mit der Bestimmtheit und Exaktheit seines Dirigats die Musiker zu Bestleistungen animierte, ist als eine ganz besondere persönliche Leistung zu würdigen. So war es verständlich, dass das Orchester ihm eine überlangen persönlichen Applaus zukommen ließ. Man merkte in jedem Moment, dass man mit Leib und Seele bei der Sache war und selbst unter eingeschränkten Bedingungen gut geprobt hatte. Der Orchsterklang, auch begünstigt durch die überraschend gute Akustik der Kasematten, war klar und prägnant, und man hörte immer wieder auch instrumentale Einzelleistungen gut heraus. Mittlerweile fünf Jahre Erfahrung mit diesem Musikerensemble waren Merkel an diesem Abend anzusehen, bzw. anzuhören.

Vielleicht denkt nicht nur der Veranstalter Junge Konzerte Graz – Kunst- und Kulturverein in Kooperation mit den Grazer Spielstätten, sondern aus die Grazer Oper selbst hier im Frühsommer oder Frühherbst einmal Oper zu machen. Dass sich solch eine Spielstätte gut für Oper eignen kann, führte vor einigen Jahren die Rahvusooper Estonia vor, als sie in einer ebenso langen U-Bootwerft der Zarenzeit (2013!) im Peter-Hafen von Tallinn 2011 Wagners „Parsifal“ aufführen ließ – und zwar szenisch! Lediglich Sicherheitsbedenken setzten später dem faszinierenden Projekt ein Ende. Diese hat man in Graz ja nicht…  

  Klaus Billand                                                                                                                                                                                         

 

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